2014-07-31 12:34:57

Naher Osten: Vom arabischen Frühling zur Krise der arabischen Welt


RealAudioMP3 Es ist noch gar nicht lange her, dass wir von dem „Arabischen Frühling“ gesprochen haben, Aufbrüche in Ägypten und ganz Nordafrika haben hoffen lassen, dass eine demokratische Zukunft anbrechen könnte. Davon ist heute wenig übrig geblieben, heute sprechen wir viel mehr von einer Krise der arabischen Welt. Matthias Vogt ist Länderreferent bei Missio, Radio Vatikan hat ihn gefragt, wie es dazu kommen konnte.

„Der arabische Frühling hat ja tatsächlich sehr hoffnungsvoll mit echten Bürgerbewegungen in Ägypten und auch in Tunesien angefangen, auch in Syrien war es am Anfang eine richtige Bürgerbewegung, die gegen die Diktatur aufgetreten ist und die als Forderungen Freiheit und Gerechtigkeit und Menschenwürde immer wieder aufgestellt hat. Das ist gekippt und es ist in unterschiedlicher Weise gekippt.

In Ägypten hat das Volk im Laufe des Prozesses an entscheidenden Stellen immer wieder die Stimme ergriffen und ist auf die Straße gegangen. Insofern läuft es in Ägypten zwar mit ‚Aufs und Abs‘, aber doch kontinuierlich in eine Richtung zu mehr Gerechtigkeit und Menschenwürde.

In Syrien ist es in die andere Richtung gekippt, da ist es in die Gewaltspirale geraten, weil das Assad-Regime mit großer Gewalt auf die friedlichen Proteste reagiert hat. In Syrien ist die Tragik, dass aus diese Bürgerbewegung immer mehr gekapert wurde Islamisten, denen es eigentlich nicht um Syrien geht, sondern um die Errichtung eines islamischen Staates und damit stehen sie eigentlich gegen die Ideale und die Ziele der ursprünglichen Revolution, in der es auch darum ging, ethnische und konfessionelle Diskriminierung in den jeweiligen Ländern aufzuheben.

Ähnlich ist die Entwicklung im Irak mit der Errichtung des islamischen Staates im Norden rund um Mossul und der Vertreibung der Christen, Schiiten und anderer Minderheiten.
Es gibt aus meiner Sicht eigentlich für diese Länder keine staatliche Perspektive mehr, und auch keine demokratischen Handlungsträger mehr, die eine gewisse Erfahrung hätten und eine Verankerung in der Bevölkerung. Das ist die große Schwierigkeit gerade im Irak und in Syrien.“


Warum ist das so, dass die Islamisten oder Terroristen so viel stärker sind als dieses demokratische Anfangsmoment der Bürgerbewegungen, die Sie zitiert haben?


„Der Islam und vor allem die Muslimbrüderschaft – in Ägypten und Syrien – sind die einzigen Gruppen, die zur Zeit von Mubarak in Ägypten und zu Assad in Syrien sich irgendwie organisieren konnten. Andere zivilgesellschaftliche Gruppen, die oppositionell ausgerichtet waren, hatten gerade in Syrien überhaupt keine Chance, auch zur Zeit von Saddam Hussein im Irak nicht. Das heißt, dass die Muslimbrüder und Islamisten einen Vorsprung hatten, den sie vor allem in Syrien genutzt haben und in Gewalt umgesetzt haben. Die demokratischen Gruppen sind bis heute nicht nachgekommen und die einmal entfachte Gewalt ist nur schlecht wieder einzudämmen.

Das Ganze ist dann noch einmal übernommen worden von extremistischen Gruppen, die auch von der überwiegenden Mehrheit der Muslime abgelehnt werden.“


Würden Sie dann auch über die „Arabische Krise nach dem Arabischen Frühling“ sprechen oder wie würden Sie das Phänomen bezeichnen?


„Ich würde nicht in allen Ländern von „arabischer Krise“ sprechen. Ich würde von einer „Krise der Institutionen“ in vielen arabischen Ländern sprechen. Da kann man dann auch wieder differenzieren: In Ägypten gibt es eine Institution, die weiterhin funktioniert, das ist das Militär. Sie hatte immer schon eine starke Rolle. Sie hat zwar den Herrscher gestellt, war aber nicht so stark an Mubarak gebunden, wie die Armeen von Saddam Hussein oder der Sicherheitsapparat von Baschar al Assad mit dem Herrscher verbunden sind, so dass die Armee in Ägypten als Institution den Prozess weiter führen konnte und zu einer Stabilisierung des Landes beitragen kann.

Ähnliche Institutionen haben wir im Irak und in Syrien nicht. Der Sicherheitsapparat und damit der Staatsapparat sind in weiten Teilen zusammen gebrochen und haben damit diese Krise eröffnet. Und diejenigen, die am meisten unter dieser Instabilität und diesem Chaos zu leiden haben sind eben die Minderheiten. Das betrifft Christen, das betrifft Alawiten in Syrien, das betrifft Jesiden im Irak in ganz besonders schlimmer Weise.“


Ihre Aussicht: Was glauben Sie wird in den kommenden Monaten dort passieren?


„Das ist sehr schwer voraus zu sehen. Ich befürchte was Syrien angeht einen sehr lang weiter gehenden Bürgerkrieg. Assad sind gewisse militärische Erfolge in den letzten Monaten gelungen, aber es wird schwer sein, das ganze Land wieder unter Kontrolle zu bekommen. Also: Langer Bürgerkrieg in Syrien.

Irak ist noch schwerer vorherzusehen, weil unklar ist, wie sich die Zentralregierung in Bagdad organisieren kann, ob sie es schafft, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden und auch die Sunniten in den nationalen Dialog einzubeziehen. Denn nur auf Grund der Unterstützung der sunnitischen Stämme im Norden ist es ISIS möglich gewesen, ihre Kontrolle über diese Gebiete so schnell zu erringen und auch bislang zu festigen.

Die Herrschaft könnte zusammen brechen, wenn die sunnitischen Stammesführer von ISIS abrücken. Ob der schiitischen Zentralregierung das gelingen wird, die Sunniten einzubinden, ist schwer vorher zu sagen. Das wäre aber eine Bedingung für die Befriedung des Nordiraks.“

(rv 31.07.2014 ord)








All the contents on this site are copyrighted ©.