2014-07-17 13:23:57

Algerien: „Froh über diesen neuen Ton“


RealAudioMP3 „Werden in Algerien Synagogen und Kirchen wiedereröffnet?“ Diese Meldung einer Nachrichtenagentur ließ an diesem Dienstag aufhorchen. In Algerien ist der Islam Staatsreligion, und in den neunziger Jahren mussten nicht-islamische Kultorte wegen eines blutigen Bürgerkriegs dichtmachen – aus Sicherheitsgründen. Könnten sie bald wieder ihre Tore öffnen? Diese Frage stellten wir dem Bischof von Constantine, dem französischen Jesuiten Paul Desfarges. Er erklärte uns, dass es tatsächlich gar nicht um Kirchen geht. Vielmehr habe der algerische Religionsminister, Mohamed Aïssa, unlängst folgendes gesagt:

Wenn der Augenblick reif sei, dann könnte man eventuell eine Synagoge wieder eröffnen, aber der Moment sei noch nicht gekommen, die Sicherheit sei noch nicht genug gewährleistet.“

Aïssa verstehe sich selbst als für alle Kulte im Land zuständig, nicht nur für den Islam. Darum habe der Staat die Restaurierung von Kirchen in Algier und Annaba finanziell unterstützt, und darum halte er – der Minister – Kontakt zur kleinen jüdischen Gemeinde von Algier. Bischof Desfarges kommentiert:

Meine Reaktion ist sehr positiv, und viele algerische Freunde haben mich angerufen, weil sie sehr froh sind über diesen neuen Ton. Das liegt zwar auf einer Linie mit dem früheren Minister, aber es ist jünger und dynamischer geworden, das tut gut! Dem Minister geht es vor allem darum, den algerischen Islam vor, wie er das nennt, sektiererischen Verirrungen zu bewahren. Das zielt auf Fatwas, also islamische Rechtsgutachten, die aus dem Ausland kommen und von theologischen oder gar ideologischen Strömungen geprägt sind, die den Islam verzerren: Wahhabismus, Salafismus, speziell Theologien aus Saudi-Arabien. Der Minister sagt: Wir haben einen spezifischen, algerischen Islam, wir sind keine Tunesier oder Iraner, sondern eben Algerier! Und wir müssen unseren Islam leben und beschützen. Dazu gehört etwa, dass Fasten etwas strikt Privates ist.“

„Radikale sind in der Minderheit“

Damit will Aïssa Fundamentalisten den Wind aus den Segeln nehmen, die jetzt im Ramadan in vielen islamischen Ländern starken sozialen Druck ausüben, dass das Fastengebot wirklich eingehalten wird. Der Minister hingegen betont die Gewissensfreiheit des Einzelnen, beim Fasten wie in anderen Fragen.

„Das sind einige Punkte, die die Zuhörer wirklich beeindruckt haben durch den klaren, offenen Ton. Ich bin froh darüber! Auch viele Muslime sind ausgesprochen zufrieden, vor allem über die Betonung der Freiheiten, denn viele Muslime leiden unter dieser Invasion - das ist vielleicht zu stark formuliert - unter diesen radikaleren Strömungen, die sektiererische Fatwas verbreiten und die junge Leute in Gruppierungen locken, die hier keine Daseinsberechtigung haben.“

Dass der Minister sich so freundlich über Juden und Christen äußert und sie als „in Algerien willkommen“ bezeichnet, hat allerdings am letzten Freitag Demonstranten in der Hauptstadt Algier auf den Plan gerufen. Bischof Desfarges rät dazu, solchen Szenen keine übertriebene Bedeutung beizumessen:

„Ich glaube, dass die radikale Strömung in Algerien in der Minderheit ist. Die machen allerdings Lärm und veranstalten Demonstrationen; die Vorstellung, dass eines Tages eine Synagoge in Algerien wiedereröffnet werden könnte, hat einige Leute aufgeregt. Es war sehr mutig vom Minister, die Dinge trotzdem so auszusprechen, wie sie sind - und zwar als Minister aller Kulte, der er ja sein will.“

Desfarges ist seit Ende 2008 Bischof von Constantine. Der gebürtige Franzose arbeitet seit 1976 in Algerien, unter anderem war er Psychologie-Dozent an der Universität von Constantine und Provinzial der algerischen Jesuiten in Algier. Das Bistum Constantine liegt im nordöstlichen Teil Algeriens; auf seinem Territorium liegt das antike Hippo, heute Annaba, die Bischofsstadt des heiligen Kirchenlehrers Augustinus.

(rv 17.07.2014 sk)








All the contents on this site are copyrighted ©.