Die Regierungsbildung im Irak stockt, und das Land droht auseinanderzubrechen. Immer
mehr Zivilisten sterben, immer mehr Menschen müssen fliehen. In Bagdad wurde die Sitzung
des Parlaments am Montag vorzeitig abgebroche: Die Parteien konnten sich nicht einigen
auf einen Kandidaten für das Amt des Parlamentspräsidenten. Währenddessen gehen die
Kämpfe weiter und die Bedrohung durch die Terrorgruppe ISIS wird immer größer. Die
Kurden kündigten indes ein Referendum über eine Abspaltung der kurdischen Autonomieregion
an. Radio Vatikan hat mit dem Bischof von Erbil, Bashar Warda, über die aktuelle Situation
im Nordirak gesprochen.
„Was wir von der internationalen Gemeinschaft erwarten
ist, dass sie mehr Druck auf die irakischen Politiker ausübt. Im Moment gibt es so
gut wie keine Regierung. Wir wollen, dass der Prozess, das Land zu einigen,
beschleunigt wird und dass es so schnell wie möglich eine Einheitsregierung gibt.
Denn die Situation ist wirklich chaotisch, und das führt zu noch mehr Problemen und
Depressionen. Die Menschen hier sind nicht nur besorgt und verängstigt, sondern wirklich
depressiv – auch bezüglich der Ungewissheit ihrer Zukunft und der Zukunft des Landes.
Und wir in der Kirche sagen: ‚Bitte, wenn ihr das Land teilen wollt, dann macht das
in Frieden, ohne Gewalt.‘“
Angesichts der zugespitzten Lage werden die
unterschiedlichen Gruppen im Irak umso sichtbarer: Schiiten, Sunniten und Kurden.
Eine Einigung unter ihnen ist nicht in Sicht, daher wird das nächste Treffen zu einer
möglichen Regierungsbildung voraussichtlich erst nächsten Dienstag stattfinden. Staaten
wie die USA fordern den irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki auf, sich zurückzuziehen
und Platz für eine gleichberechtigte Koalition aus Sunniten, Schiiten und Kurden zu
machen. Die kurdischen Autonomiegebiete wollen nun ihre Unabhängigkeit. Der Präsident
Barzani hat bereits ein Referendum „in den nächsten Monaten“ angekündigt.
Befürchtungen,
dass das Land nun auseinanderbricht, teilt auch der Bischof. Dennoch sieht er nicht
in dieser Teilung das Problem – es seien mehrere Verstrickungen von Problematiken,
die im Irak aufeinanderträfen und an die Geschichte des Landes gekoppelt seien. Und
eigentlich wolle die Mehrheit auch etwas anderes, zeigt sich Bischof Bashar Warda
überzeugt:
„Aber tief im Innern wollen alle ein Irak so sehen, wie
es war: Irak.“
In den letzten drei Tagen seien mehr als 20.000 Menschen
geflüchtet, die Flüchtlingswellen wollten nicht abbrechen. Für die Kirche sei das
nicht leicht, so der Bischof:
„Es ist traurig, dass die Menschen sich darauf
vorbereiten ihr Land zu verlassen – von Qaragosh bis Ankawa. Viele der christlichen
Gemeinden wollen wirklich das Land verlassen, weil sie es satt haben. Sie haben es
satt, sind verängstigt, terrorisiert.“
Laut Bischof Warda muss die internationale
Gemeinschaft nun agieren, ansonsten werde es keine Vielfalt mehr im Irak geben. Und
wenn alle Minderheiten, darunter auch die Christen, das Land verließen, werde etwas
fehlen, so Warda:
„Man darf sie nicht dem Schicksal überlassen. Wenn ihre
Rechte nicht gesetzlich verankert sind, dann werden sie nicht in dem Land bleiben.
Sie sind aber doch der Reichtum des Landes! Also, es handelt sich nicht darum,
Christ zu sein, sondern Mensch zu sein, eine Minderheit zu sein. Wir haben so viele
Minderheiten im Irak, und deswegen sagen wir: ‚Bitte tut etwas!‘“
Die Zahl
der Opfer ist auf einem neuen Höchststand angelangt. Allein im Juni starben laut der
UNO-Mission im Irak (Unami) mehr als 2.400 Menschen, fast 2.300 seien verletzt worden.
Sowohl bei den Toten als auch bei den Verletzten sind weit mehr als die Hälfte der
UNO zufolge Zivilisten.