Pille, homosexuelle Partnerschaften, wiederverheiratete Geschiedene: Worüber die Synodenväter
reden
Der Vatikan hat die
Antworten aus den im Vorjahr verschickten Fragebögen zur Familie ausgewertet. Die
Ergebnisse sind in das Arbeitspapier eingeflossen, das der kommenden Bischofssynode
zur Familienseelsorge im Oktober als Diskussionsgrundlage dient. An diesem Donnerstag
wurde dieses Arbeitspapier, das so genannte „Instrumentum Laboris“, im Pressesaal
des Heiligen Stuhles vorgestellt. Bei der Lektüre des knapp 90 Seiten starken Textes
wird klar, dass sich die Synoden-Teilnehmer mit einer großen Bandbreite heutiger Lebensrealitäten
von Familie und familienähnlichen Gemeinschaften in- und außerhalb der Kirche beschäftigen
werden: von unehelichen und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften über Geburtenkontrolle,
Patchworkfamilien, Polygamie, Singles und Alleinerziehenden bis hin zur Frage der
wiederverheirateten Geschiedenen und ihr Ausschluss von den Sakramenten.
Auch
die Kurznachricht von Papst Franziskus von diesem Donnerstag passt zur Vorstellung
des Instrumentum Laboris: "Die Familie ist ein grundlegendes Element für jede nachhaltige
Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft", schreibt der Papst. Das Arbeitspapier
trägt den Titel „Die pastoralen Herausforderungen im Hinblick auf die Familie im Kontext
der Evangelisierung“ und gliedert sich in drei Teile. Gudrun Sailer fasst sie zusammen.
„Erster Teil: Heute das Evangelium der Familie vermitteln“
Was
in der Bibel über die Familie steht, wissen viele Gläubige einigermaßen. Doch die
Lehre der Kirche zu Ehe und Familie ist weitgehend unbekannt oder, wo bekannt, kaum
akzeptiert, heißt es in dem Papier. Oft würden „Teilelemente der christlichen Lehre
genannt“ und mit verschiedenen Graden an Widerstand geäußert, so etwa über Verhütung,
zweite Ehe, Homosexualität, künstliche Befruchtung. Für den schlechten Informations-
und Akzeptanzgrad der kirchlichen Lehre zu diesem Themenfeld machten einige der eingegangenen
Bemerkungen auch die Bischöfe verantwortlich, weil diese aufgrund unzureichenden Wissens
Themen wie Sexualität und Fruchtbarkeit lieber umschifften. Dort aber, wo die Lehre
der Kirche zu Ehe und Familie gut vermittelt werde, nehme ein Großteil der Gläubigen
sie „mit Freude“ an.
Breite Einigkeit besteht darüber, dass die Bildung verbessert
werden muss. Besonders bei Jugendlichen sei anzusetzen, „lange bevor sie sich zur
Eheschließung anmelden“. Eine Chance biete hier der neue „Wunsch nach Familien, in
denen eine treue und unauflösliche Liebe gelebt werden“ kann, ein „echtes Zeichen
der Zeit“, wie das Papier registriert. Als besonders hilfreich habe sich das Zeugnis
alter christlicher Ehepaare erwiesen. Auch in stark säkularisierten Gegenden empfänden
Jugendliche hohe Wertschätzung für solche Eheleute, die auch nach vielen Ehejahren
Liebe und Treue füreinander aufbringen.
„Zweiter Teil: Die Familienpastoral
angesichts neuer Herausforderungen“
Mit Sorge blickt das Vatikan-Papier
auf die immer mehr zersplitternde und in Auflösung begriffene Institution Familie.
Gewalt und Missbrauch in den Familien werden benannt, Pädophilie und - „in einigen
Regionen“ wie Afrika und Asien – Inzest, Sucht nach Drogen, Alkohol und Pornographie,
„welche teilweise gemeinsam in der Familie konsumiert wird“, Glücksspiel, Internet
und soziale Netzwerke. Medien tragen nach Darstellung des Arbeitspapiers zumindest
eine Mitschuld an der Auflösung der Familie: sie verbreiteten „Anti-Modelle“ mit falschen
Werten und seien mit ihrer Allgegenwart „ein echtes Hindernis für den Dialog unter
den Familienmitgliedern“. Auch von außen sei die Familie bedroht, so durch einen immer
erbitterteren Kampf um den Lebensunterhalt, durch fehlende Jobs oder erzwungene Arbeitsmigration.
Die Kirche erwarte sich da vom Staat mehr „Hilfen für die Familien und die Kinder“,
etwa in Form von Arbeitsschutzgesetzen, insbesondere für berufstätige Mütter, hält
das Papier aus dem Vatikan fest.
Nicht wenige jener katholischen Gläubigen
in aller Welt, die den Fragebogen ausfüllten, klagten dem Arbeitspapier zufolge über
Missstände in der Kirche, bei Priestern wie Laien, Missstände, die das Vertrauen
in die Kirche und ihre Lehre schmälere: Pädophilie durch Kleriker, ein „häufig auffallend
wohlhabende(r) Lebensstil der Priester“, ein Widerspruch zwischen ihrer Verkündigung
und ihrer Lebensführung, sowie Laien, die ohne Demut auftreten und ihren Glauben „wie
in einem Theater“ zur Schau stellen. „Besonders wird der Eindruck unterstrichen, dass
getrennt Lebende, Geschiedene oder alleinerziehende Eltern von Seiten einiger Pfarrgemeinden
zurückgewiesen zu werden scheinen, sowie das unnachgiebige und wenig sensible Verhalten
einiger Priester“. Hier bestehe das Verlangen nach einer „offenen und positiven Pastoral,
die in der Lage ist, durch ein glaubwürdiges Zeugnis all ihrer Glieder wieder Vertrauen
in die Institution zu schenken.“ Als weitere besonders dornige Herausforderungen für
die Familie nennt das Papier Krieg, Migration, Krankheit, esoterische Praktiken und
gemischtreligiöse Ehen, in denen der katholische Teil sich besonderen Schwierigkeiten
ausgesetzt sieht.
Deutliche Anklänge an Papst Franziskus formuliert das Arbeitspapier
im Abschnitt über „die pastoral schwierigen Situationen“. Hinter solchen Situationen
„verbergen sich oft Geschichten großen Leids“, aber auch „Zeugnisse echter Liebe“.
Die kirchliche Seelsorge müsse diesen Menschen ermöglichen, „gesund zu werden und
sich gemeinsam mit der ganzen Gemeinschaft der Kirche wieder auf den Weg zu machen“.
Familienpastoral dürfe sich „nicht mit einem legalistischen Blick begnügen“, sondern
müsse immer an die Berufung des Menschen zur Liebe erinnern. Als Beispiele „pastoral
schwieriger Situationen“ werden die Ehe ohne Trauschein, Geschiedene, Singles und
Alleinerziehende genannt. Bei allen diesen Kategorien von Menschen, besonders bei
den jungen ledigen Müttern, wie das Papier betont, sei die Kirche dazu aufgerufen,
sich ihrer anzunehmen.
Auf vergleichsweise breitem Raum, rund sieben Seiten,
widmet sich das „Instrumentum Laboris“ dem in der westlichen Welt vieldiskutierten
Problem der wiederverheirateten Geschiedenen. Nicht wenige Menschen in „irregulären
Situationen“ – wozu etwa auch die Ehe ohne Trauschein gehört – seien sich nicht im
Klaren über ihre Lage, andere dächten fälschlich, auch Getrennte und Geschiedene ohne
zweite zivile Ehe seien von den Sakramenten ausgeschlossen. Von jenen, die sich über
ihre eigene Lage bewusst seien, litten andererseits viele daran, dass sie die Sakramente
nicht empfangen können. Viele fühlten sich „frustriert und ausgegrenzt“ und empfänden
sich für ihre Lebenssituation von der Kirche auch noch bestraft. Einige Bischofskonferenzen
hätten angeregt, dass die Kirche „sich selbst jene pastoralen Instrumente gibt“, die
es ihr erlauben, mehr „Barmherzigkeit, Güte und Nachsicht im Hinblick auf die neuen
Verbindungen üben zu können“.
Besonders in Europa und Lateinamerika gingen
wiederverheiratete Geschiedene mit ihrem Problem zu einem Priester, in der Hoffnung,
von ihm wieder zu den Sakramenten zugelassen zu werden. Bei abschlägiger Antwort entfernten
sich manche Gläubigen dann von der Kirche. Aber: „In verschiedenen, nicht nur europäischen
Ländern, reicht diese individuelle Lösung vielen Menschen nicht. Sie wollen eine öffentliche
Wiederzulassung zu den Sakramenten von Seiten der Kirche“, referiert das Arbeitspapier.
Diese Gläubigen hätten offenbar Schwierigkeiten anzuerkennen, dass ihre Situation
in der Kirche als irregulär gilt. Einige Antworten aus den Fragebögen hätten lobend
auf die orthodoxen Kirchen verwiesen, die den Weg zu einer zweiten oder dritten Ehe
mit Bußcharakter öffnen, wobei diese Praxis die Zahl der Scheidungen nicht mindere.
Außerdem referiert das Arbeitspapier den Wunsch nach einer Vereinfachung und
Beschleunigung der kirchlichen Eheverfahren, vulgo „Ehe-Annullierungen“. Andere wiederum
hätten die Sorge geäußert, dass effizientere Verfahren die irrige Vorstellung einer
„Scheidung auf katholisch“ beförderten.
Auf jeden Fall gelte für die Seelsorge
an Menschen in schwierigen persönlichen Lebenslagen: die Kirche dürfe „sicher nicht
die Haltung des Richters einnehmen, der verurteilt, sondern die einer Mutter, welche
ihre Kinder immer annimmt“.
Mit Blick auf homosexuelle Lebensgemeinschaften
registriert das vatikanische Arbeitspapier sehr verschiedene Rahmenbedingungen je
nach geographisch-kultureller Region. Gläubige in Mittel-Ost-Europa beispielsweise
empfänden die Anerkennung der sogenannten „Homo-Ehe“ durch ihre Staaten als „Auferlegung“
einer fremden Kultur. Alle Bischofskonferenzen hätten bekundet, man suche nach einem
Gleichgewicht zwischen kirchlicher Lehre über die Familie und einer „respektvollen,
nicht verurteilenden Haltung“ gegenüber Menschen in homosexuellen Beziehungen. In
Ländern, die solche Verbindungen gesetzlich anerkennen, „äußern sich viele Gläubigen
zu Gunsten einer respektvollen und nicht verurteilenden Haltung gegenüberdiesen Menschen,
sowie zu Gunsten einer Pastoral, die sie annimmt“; das bedeute nicht, dass diese Gläubigen
eine Gleichstellung zwischen der Ehe und den homosexuellen Verbindungen wünschten.
Andere sorgten sich, ein besonderes kirchliches Augenmerk auf Homosexuelle
könnte „als eine Anerkennung ihrer Partnerschaften verstanden werden“. Jedenfalls
zeigten die Fragebögen, dass es in der Weltkirche heute „noch keinen Konsens hinsichtlich
der konkreten Art und Weise“ gibt, wie Menschen in homosexuellen Verbindungen anzunehmen
sind. Viele Antworten in den Fragebögen wünschten sich eine „theologische Bewertung“
der Homosexualität. Immer drängender stelle sich auch die Herausforderung der Sexualerziehung
in der Familie und in den Schulen.
„Dritter Teil: Die Offenheit für
das Leben und die erzieherische Verantwortung“
Pille, Kondom, natürliche
Verhütungsmethode: Viele Gläubigen empfinden die „moralische Wertung der unterschiedlichen
Methoden der Geburtenregelung“ als „Einmischung in das Intimleben“, hält das Papier
unumwunden fest. Nicht wenige Katholiken sähen den Unterschied zwischen „natürlichen“
und „künstlichen“ Methoden der Verhütung überhaupt nicht, und viele thematisierten
ihre Praxis der Empfängnisregelung nicht mehr bei der Beichte. Generell werde die
Lehre der Kirche „vorschnell als rückständig abgelehnt“, ohne sich mit dem christlichen
Menschenbild auseinanderzusetzen.
Ein Zusammenhang, der klar aus den beantworteten
Fragebögen aufscheine, sei der zwischen der Offenheit für Kinder und sozialen und
Arbeitsmarktfragen. Deshalb gebe es auch eine „zivile Verantwortung der Christen,
Gesetze und Strukturen zu fördern“, die eine positive Haltung zu Kindern fördern.
Kinder zu erziehen, ist – so fasst das Papier weiter zusammen – „erstrangige
Verantwortung der Eltern“, die der Staat anzuerkennen und zu fördern habe. Das „Instrumentum
Laboris“ geht hier nochmals auf die religiöse Erziehung von Kindern aus Familien ein,
die in „irregulären Situationen“ leben. Auch religiös gleichgültige Getaufte bitten
oft um Taufe und Erstkommunion der Kinder, äußern aber dann „Zurückhaltung und Desinteresse“
für die begleitenden Katechesen. Allerdings sei auch der gegenteilige Fall zu beobachten,
dass eine solche verstärke Hinwendung im Zug einer Vorbereitung zur Taufe eines Kindes
dann zur Neuentdeckung des Glaubens führe. Jedenfalls brauche die pastorale Tätigkeit
„eine Erneuerung, Kreativität und Freude, um wirksamer und anregender zu sein“, wenn
es um mehr wechselseitige Durchdringung zwischen Ausbildung der Kinder und Glaubensbildung
der Eltern geht.
Im Oktober 2014 findet im Vatikan die erste von zwei
Bischofssynoden über Familienseelsorge statt; die zweite – eine Generalversammlung
der Synode – folgt ein Jahr darauf. Sie soll vom 4.-25. Oktober 2015 unter dem Titel
"Jesus Christus offenbart das Geheimnis und die Berufung der Familie" tagen, wie der
Generalsekretär der Bischofssynode, der italienische Kardinal Lorenzo Baldisseri,
an diesem Donnerstag bekanntgab. Unter seiner Regie wurde das „Instrumentum Laboris"
für die Bischofssynode im kommenden Oktober zusammengestellt.