Papst besucht Gefangene – „Nie wieder Opfer der Mafia!“
„Der heilige Franziskus
kam nicht bis Cassano“ – das sagte eine Frau, die in einer Bar des Städtchens an der
Kasse sitzt, an diesem Samstag zu Journalisten. Als „Schlangennest“ soll Franz von
Assisi das Städtchen Cassano allo Jonio bezeichnet haben, und tatsächlich sind es
vor allem Mafia-Meldungen, die diese Ecke Kalabriens immer wieder mal in die Schlagzeilen
bringen. Umso mehr freuen sich die Menschen über den Papstbesuch bei ihnen.
Gegen
7.30 Uhr ist Franziskus am Morgen per Hubschrauber aus dem Vatikan aufgebrochen; kurz
nach 9.00 Uhr landete er in Castrovillari vor dem örtlichen Gefängnis. Hier sitzen
u.a. Familienangehörige von Cocò ein: Das ist ein dreijähriger Junge, der vor ein
paar Monaten von der örtlichen Mafia, der Ndrangheta, in einem Auto bei lebendigem
Leib verbrannt wurde, zusammen mit seinem Großvater und dessen Freundin. Der dreifache
Mord hat in ganz Italien Entsetzen ausgelöst. Papst Franziskus sprach im Gefängnis
kurz mit den zwei Großmüttern und der Mutter des getöteten Kindes: „Nie wieder Gewalt
gegen Kinder, nie wieder Opfer der Ndrangheta!“, sagte er zu ihnen. Er bete für den
kleinen Cocò und für alle Kinder, die Furchtbares durchmachen müssten. Der Ortsbischof,
der den Papst begleitete, sprach hinterher von einem sehr emotionalen Moment.
Ein
weiterer Insasse des Gefängnisses, das der Papst besuchte, ist ein 27-jähriger Rumäne,
der – so die Anklage – am 3. März den Priester Lazzaro Longobardi umgebracht hat.
Am Nachmittag wollte der Papst auch kurz in der Kirche von Sibari beten, wo der Mord
geschah und wo eine Stele an den getöteten Pfarrer erinnert.
„Gott ist
ein Fachmann für Resozialisierung“
„Heiliger Vater, willkommen
bei uns, und danke für diesen Moment, den Sie uns schenken!“, sagte einer der Häftlinge
in einer kurzen Begrüßungsrede. Heute würden die Worte Jesu wahr, dass man den verlorenen
Schafen nachgehen solle. Franziskus ermunterte in seiner kurzen Ansprache zu mehr
Anstrengungen, um Straftäter wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Es reiche
nicht, allein menschenwürdige Haftbedingungen in den Gefängnissen sicherzustellen.
Diese müssten von „konkreten Bemühungen der Institutionen für eine erfolgreiche gesellschaftliche
Wiedereingliederung“ der Straftäter ergänzt werden, so Franziskus. Andernfalls verkomme
die Strafe zum „blossen Instrument der Bestrafung und sozialen Retourkutsche“. Das
schade sowohl dem Betroffenen als auch der Gesellschaft selbst.
Italiens Gefängnisse
sind chronisch überfüllt und bieten oft unzureichende Haftbedingungen. Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte hat das Land dafür im vergangenen Jahr verurteilt.
Er wolle „jedem Mann und jeder Frau in allen Teilen der Welt, die sich im Gefängnis
befinden“, seine Nähe zum Ausdruck bringen, erklärte Franziskus.
Der Papst
betonte vor den etwa zweihundert Häftlingen und Wächtern weiter, dass eine Resozialisierung
von Straftätern nicht nur eine gesellschaftspolitische Frage sei, sondern auch eine
religiöse Dimension habe. Es gehe in diesem Prozess auch um die Begegnung mit Gott,
der imstande sei, menschliche Fehler zu verstehen und zu vergeben, so der Papst.
„Gott
ist ein Fachmann für Resozialisierung. Er nimmt uns an die Hand und führt uns in die
Gesellschaft zurück. Der Herr vergibt immer, begleitet immer, versteht immer; wir
müssen uns einfach nur verstehen, vergeben, begleiten lassen! Ich wünsche jedem von
euch, dass diese Zeit hinter Gittern keine verlorene Zeit ist, sondern eine wertvolle
Zeit, in der ihr von Gott diese Gnade erbittet und erhaltet. Dadurch werdet ihr zunächst
euch selbst, dann aber auch die Gesellschaft besser machen. Denn im Guten wie im Bösen
beeinflussen unsere Taten die anderen und die ganze Menschheitsfamilie.“