Nein, sie haben kein
Stadion gebaut. Dass Fußball gespielt werden kann, dafür haben die Franziskanerinnen
der Schmerzhaften Mutter trotzdem gesorgt: Vor fünfzig Jahren sind sie zu fünft in
ein Armenviertel vor den Toren der brasilianischen Millionen-Metropolo Goiania geflogen.
Die Brasilienreise war die Antwort der Ordensfrauen auf den Missionierungsruf des
heiligen Johannes XXIII. Und aus dem Armenviertel ist mit der Zeit eine blühende Vorstadt
gewachsen: ohne Hochglanzstadion zwar, dafür aber mit Straßenfußball und mit einem
Wachstum, das sich sehen lassen kann. Marion Sendker.
Etwa zwei Autostunden
entfernt vom zweitgrößten Fußballstadion dieser WM in Brasilia liegt Vila Pedroso,
ein Vorort der Millionen-Stadt Goiania. Etwa 35.000 Bewohner leben heute in Vila Pedroso:
Das sind fast 18 Mal so viele als noch vor fünfzig Jahren - und nur halb so viele,
wie in das Fußballstadion in Brasilia hineinpassen. Die deutsche Ordensschwester Antonina
Bauer hat lange als Entwicklungshelferin vor Ort gelebt. Anfang diesen Jahres ist
sie zurückgekehrt nach Vila Pedroso, um ihrer alten Heimat einen Besuch abzustatten:
Sie ist stolz auf die verbesserte Lebenssituation in dem Ort, an dem es vor einem
halben Jahrhundert überhaupt keine funktionierende Infrastruktur gab. Seitdem hat
sich vieles verändert in Vila Pedroso:
„Asphaltstraßen, die Elektrizität
funktioniert gut, Telefon, fließendes Wasser, auch gute Busverbindung zur Stadt, Supermärkte
und auch kleine Einkaufszentren. Auch die schulische und berufliche Ausbildung haben
große Fortschritte gemacht: Es gibt die Möglichkeit zum Studium an den Universitäten
in der nahen Stadt.“
Einer der Jugendlichen, die Schwester Antonina betreut
hatte, arbeitet heute zum Beispiel als Direktor der Katholischen Universität in Goiania.
Andere ihrer Schützlinge haben dank der Missionstätigkeit der Nonnen heute einen sicheren
Arbeitsplatz als Anwalt oder in der Stadtverwaltung. Das wirtschaftliche und soziale
Wachstum hat aber auch seine Schattenseiten, bemerkt Schwester Antonina:
„Leider
ist durch den Fortschritt vieles von der freundschaftlichen, gemütlichen, natürlichen
Art der Begegnung mit den Bewohnern verloren gegangen. Die Wohnhäuser sind nun größtenteils
durch starke Mauern abgeschlossen. Die Kriminalität hat stark zugenommen, und spät
abends ist es nicht mehr ratsam, durch die Dorfstraßen zu gehen.“
Das
war nicht immer so: Aus dem 2.000 Seelen-Dorf ist in den letzten Jahrzehnten eine
echte Vorstadt entstanden. Schwester Antonina erinnert sich noch genau an ihre ersten
Tage in Brasilien. Das war vor 25 Jahren:
„Fünf Häuschen aus Stein, sonst
nur Hütten aus Blech, aus Karton, Palmästen – und die waren dann mit Lehm zusammengestellt.
Bei Regengüssen ist der Lehm natürlich wieder geschmolzen. Im Dorf gab es noch kein
elektrisches Licht, kein Telefon, keine Wasserleitung, jede Familie musste sich einen
Brunnen graben. Es herrschte überall große Armut. Viele kamen ja aus dem Hinterland
und haben noch nicht einmal ein Geburtszeugnis von ihren Kindern gehabt.“
Um
die Menschen in Vila Pedroso kennenzulernen, haben die Schwestern damals zuerst an
alle Hütten geklopft. Trotz der großen Armut waren die Menschen herzlich und haben
die Nonnen aus Europa und Amerika mit offenen Armen empfangen:
„Die Menschen
sehr einfach, sehr gastfreundlich - und sie haben uns das Letzte gegeben: Wenn in
einem Bett schon acht Personen geschlafen haben, wäre auch für uns noch Platz gewesen.“
Dabei
war nicht nur der Schlafplatz knapp, auch vieles anderes hat damals gefehlt. Eine
ausreichende, medizinische Versorgung zum Beispiel gab es so nur in der Stadt Goiania.
Im Schmutz und Staub des Armenviertels sind gerade die Kinder dem Mangel an Hygiene
und Medikamenten zum Opfer gefallen, erinnert sich Schwester Antonina. Provisorisch
haben die Nonnen das sanitäre Loch gestopft und so eine erstes medizinisches Ambulatorium
in Vila Pedroso aufgebaut:
„Eine unserer Schwestern, sie kam aus Amerika
und war schon im Ruhestand, war Technikerin und hat ihre Apparate mitgebracht und
somit sehr gute Arbeit geleistet. So haben wir ein Ambulatorium eröffnet, und dann
haben wir uns in Verbindung gesetzt mit dem Ärzteteam in der Stadt, und die haben
uns immer werde für einige Stunden Arztstudenten geschickt.“
Das Ambulatorium
gibt es heute noch, auch wenn es jetzt vom Staat betrieben wird. „Hilfe zur Selbsthilfe“
war das Rezept der Schwestern der Schmerzhaften Mutter. Vom ersten Tag an gab eine
der Nonnen Abendkurse im Lesen und Schreiben, bevor dann systematisch die Dorfbewohner
in verschiedenen Berufen ausgebildet wurden:
„Da haben wir erst einige Jugendliche
in die Stadt geschickt zur Ausbildung, und die haben das dann weitergegeben. Nähkurse
konnten wir selbst halten, oder wir haben auch Frauen vom Dorf vorbereitet. Friseurkurse,
genauso. Dann für die Mädchen Stickkurse, Strickkurse, auch im Nähen, Häkeln besonders.“
Die
fertigen Arbeiten haben die Bewohner von Vila Pedroso dann in der Stadt auf dem Markt
verkauft und so ihr eigenes Geld verdient. Davon, vor allem aber aus Spendengeldern
und aus finanziellen Mitteln der Kongregation selbst, haben die Schwestern der Schmerzhaften
Mutter gemeinsam mit den Dorfbewohnern dann einen Kindergarten und ein Pfarrzentrum
gebaut, wo Schulungen gehalten und Feste gefeiert wurden.
„Dann haben wir
für eine Musikkapelle bei den Kindern gesorgt, für Fußballmannschaften. Dann haben
wir eine Schule gebaut, mit acht Klassenräumen. In der Schule wurden 800 Kinder betreut:
von der ersten bis vierten Klasse einschließlich.“
Nach einigen Jahren
in Vila Pedroso haben die Nonnen ihr Projekt expandiert: 700 Kilometer entfernt von
Vila Pedroso liegt im Amazonasgebiet das Reservat der Indios vom Stamme der „Xavantes“.
Durch Erste-Hilfe-Leistungen und Versorgung von Medikamenten haben die Schwestern
der Schmerzhaften Mutter dort Indianer betreut:
„Das war natürlich eine
neue Erfahrung für uns, im Urwald zu sein. Völlig abgeschlossen von der Außenwelt
in einer Palmenhütte wohnen, am Boden Feuer machen zum Kochen, in den Fluss zum Baden
gehen. Dort haben wir auch sehr für Hygiene gesorgt und die Frauen in der Kleinkinderpflege
und Hygiene unterrichtet.“
Heute lebt Schwester Antonina in Rom. Durch
die Missionsarbeit in Vila Pedroso und im Indianerreservat ist Brasilien ihr zur zweiten
Heimat geworden. Sie freut sich, dass die Fußballweltmeisterschaft dort stattfindet:
„Die Brasilianer sind doch für den Fußball geboren“, sagt sie, „es liegt ihnen im
Blut.“ Sorge bereitet der Bayerin aber das viele Geld, das Brasilien für die WM ausgegeben
hat: 300 Millionen allein für den Umbau des Stadions in Brasilia. Der Aufbau von Vila
Pedroso hat bei weitem nicht so viel gekostet - und hat trotzdem viel mehr Wert als
das Hochglanzstadion in Brasilia. (rv 20.01.2014 ms)