Die Kirche macht Fortschritte
in der Agenda „Frauen”. Das bescheinigt ihr die französische Bibelwissenschaftlerin
Anne-Marie Pelletier, die soeben den diesjährigen Ratzinger-Preis für Theologie zugesprochen
bekam, gemeinsam mit dem polnischen Exegeten Waldemar Chrostowski. Anne-Marie Pelletier
ist nicht nur Universitätsprofessorin, studierte Linguistin und Literaturwissenschaftlerin
sowie dreifache Mutter, sondern auch Fachfrau für den jüdisch-christlichen Dialog.
Überdies hat sie sich häufig mit der Rolle der Frau in der Kirche befasst.
„Ich
habe große Bewunderung dafür, was Frauen tun, im Allgemeinen, und in der Kirche im
Besonderen. Deshalb denke ich, wenn ich diesen Preis entgegennehme, an die anderen,
und ich erweitere die Auszeichnung, die mir zuteil wird, auf die anderen Frauen in
der Kirche.“
Der seit vier Jahren vergebene Ratzinger-Preis gilt als eine
Art „Nobelpreis der Theologie“. Die 68-jährige Anne-Marie Pelletier ist die erste
Frau, die diese Auszeichnung entgegennimmt. Vergeben wird der Preis von der Vatikanischen
Stiftung Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. Kardinal Camillo Ruini, der Präsident des
wissenschaftlichen Komitees der Stiftung, würdigte bei der Vorstellung der diesjährigen
Preisträger Pelletier als „Persönlichkeit von starkem Profil im zeitgenössischen Katholizismus
in Frankreich”. Über die Rolle der Frau in der Kirche beobachtet die Theologin einen
langsamen, aber sicheren Mentalitätswandel.
„Natürlich weiß ich, dass viele
Frauen und auch ich selbst manchmal Stillstand empfinden, sogar Rückschritte, aber
ich glaube, man muss aufmerksam sein auf das, was im Lauf der Jahre wächst. Frauen
sind in der Kirche immer mehr anerkannt für das, was sie tun. Und auf einmal erhalten
sie Verantwortung, die vor einigen Jahrzehnten undenkbar war. Sicher, man kann das
für ungenügend halten, und in bestimmten Fällen stimme ich dem zu, und dennoch neige
ich dazu, in der Hoffnung zu leben, Geduld zu haben und darauf zu verweisen, was sich
entwickelt hat. Besonders seit Johannes Paul II., bestätigt durch Benedikt XVI. und
heute durch Papst Franziskus.”
Als Beispiele nennt die Professorin das
Wirken von Frauen in der Theologie und in einem so zentralen Feld wie der Bildung.
„Frauen unterrichten heute, auch im Priesterseminar. Sie tragen zur Ausbildung
des Klerus von morgen bei. Sie sind Theologinnen und bringen Wortmeldungen ein, die
von Bedeutung sind, denn man denkt nicht auf genau identische Weise als Frau wie als
Mann. Man betreibt dieselbe Theologie, aber zugleich eine leicht andere Theologie.
Und dann stelle ich in der Kirche Frankreichs fest, wie gerade zuletzt Frauen in sehr
bedeutende Funktionen ernannt werden. Zum Beispiel wurde gerade eben die jüdisch-christliche
Freundschaft Jacqueline Cuche anvertraut, die einen Priester an dieser Stelle ersetzt.
Es dreht sich nicht darum, dass die einen den Posten der anderen übernehmen – ich
sehe mich nicht in dieser Logik der Macht und der Postenverteilung; aber ich denke
doch, dass das Anerkennung und Vertrauen für Frauen ausdrückt.”
Papst Franziskus
hat mehrmals darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht der Raum für das Wirken von
Frauen in der Kirche noch lange nicht ausgefüllt ist. Er mahnte als Grundlage eine
„Theologie der Frau” an, sagte, er leide, wenn er Katholikinnen in ihrer Kirche wie
selbstverständlich zur „Fronarbeit” gezwungen sehe, und stellte die Frage, wie es
gelingen könne, Frauen an Stellen mit Verantwortung für die Weltkirche zu engagieren.
Aussagen, die Anne-Marie Pelletier „mit Dankbarkeit” aufnahm.
„Papst Franziskus
scheint uns immer zu sagen, hier ist noch eine offene Baustelle. Einiges ist geschehen,
aber es bleibt noch viel zu tun. Diese Sache mit den Frauen an Stellen mit Verantwortung
ist nicht bloß eine Frage hierarchischer Posten und institutioneller Anerkennung.
Das steckt zwar auch darin, aber wir brauchen – und da stehe ich, wie ich meine, ganz
in der Linie des Papstes – vor allem auch eine ganzheitliche Lehre von der Kirche,
wo die Frauen ihren vollen Platz einnehmen und eine bezeichnende Rolle für das christliche
Leben in seiner grundlegenden Wirklichkeit haben. Frauen haben kein Priesteramt, und
sie werden es auch nicht haben, aber sie werden plötzlich, denke ich, Zeugen der Gnade
des christlichen Lebens, das sie in Fülle besitzen. Sie müssen alle in der Kirche
daran erinnern, auch jene mit hierarchischer Verantwortung, dass hier das Gravitationszentrum
des christlichen Glaubens und Lebens liegt.”