Papst bei Sant’Egidio: „Solidarität ist ein christliches Wort“
Papst Franziskus hat
am Sonntagabend der im Caritas- und Sozialbereich engagierten katholischen Gemeinschaft
Sant'Egidio einen Besuch abgestattet. In der römischen Basilika Santa Maria in Trastevere
nahm er an einem Wortgottesdienst teil, den die Gemeinschaft zusammen mit von ihr
betreuten Armen, Obdachlosen, Flüchtlingen, Behinderten sowie Roma und Sinti gestaltete.
Anschließend besuchte er das nahegelegene Zentrum von Sant'Egidio. Im Zentrum der
Stadt das Evangelium hören, von da aus die Peripherien erkennen und mit Christus dorthin
gehen, so beschrieb der Papst die Dynamik der Gemeinschaft in seiner Ansprache. Besonders
würdigte er den zentralen Platz, den in der Gemeinschaft die Liturgien und Gebete
einnehmen.
„Jede Kirche und jede Gemeinschaft findet sich deswegen im hektischen
und manchmal verwirrenden Leben der Stadt. Alles beginnt mit dem Gebet. Das Gebet
schützt den anonymen Stadtmenschen vor den Versuchungen, die auch die unseren sein
können: die Vorstellung, dass sich alles um uns dreht, die Gleichgültigkeit, das Selbstmitleid.“
Das
Gebet sei deswegen die erste Tätigkeit der Gemeinschaft, und tatsächlich kommen viele
Menschen – Römer wie Pilger und Touristen - tagtäglich in die Basilika von Santa Maria
in Trastevere, um genau das zu tun: zu beten.
„Wer auf den Herrn schaut, der
sieht den Nächsten,“ so der Papst weiter. „Ihr habt gelernt, den Nächsten zu sehen,
vor allem die Ärmsten.“ Im Mai 1968 hatten Studenten in Rom damit begonnen, gemeinsam
zu beten und die Bibel zu lesen, aber dann festgestellt, dass das ohne Dienst an den
Armen nicht geht. Daraus ist seitdem eine internationale Gemeinschaft entstanden,
die weltweit betet und hilft. Die Gemeinschaft bezeichnet das als Freundschaft, nicht
als Hilfsdienst, eine Charakterisierung, auf die auch der Papst einging:
„Eine
Aufmerksamkeit, die langsam dazu übergeht, Begegnung zu werden, Umarmung: Man vermischt
die Helfenden mit den Geholfenen. Wer ist der Handelnde? Beide. Oder besser: die Umarmung.
In den Armen ist Jesus anwesend, er, der sich mit ihnen identifiziert. Ihr seid eine
einzige Gemeinschaft mit den Armen.“
Ausdrücklich lobte der Papst, dass
die Gemeinschaft auch besonders alte Menschen aufnehme: Der Umgang mit den Alten wie
auch mit den Kindern sei ein Indikator für die Qualität einer Gemeinschaft. Der „Bund“
zwischen Alten und Jungen hingegen sei ein Bund mit Gedächtnis und Zukunft.
„Um
das Gleichgewicht in einer Kultur zu halten, in deren wirtschaftlichem Zentrum nicht
Mann und Frau stehen, sondern der Götze Geld, muss man Dinge wegwerfen. So wirft man
Kinder weg: Es gibt keine Kinder mehr. Denken wir nur an die Geburtenraten in Europa
… . Und man wirft die Alten weg. Hinter diesem Verhalten wird eine versteckte Euthanasie
sichtbar. Sie nützen nichts, und was nichts nützt, wird weggeworfen. Was nichts produziert,
wird weggeworfen!“
„Europa ist müde geworden“
Man
habe ihn gefragt, warum er nie über Europa spreche; heute spreche er über Europa,
fuhr Franziskus fort. Europa sei müde geworden. Es müsse die Wurzeln wieder finden,
die es aufgegeben habe. Aufgabe der Glaubenden sei es, dabei zu helfen. Von den Armen
und den Alten aus beginne der Wandel in der Gesellschaft; Franziskus bezeichnete sie
mit Bezug auf das Wort Jesu als einen von den Bauleuten verworfenen „Eckstein“.
„Heute
lässt die Spekulations-Wirtschaft sie immer ärmer werden, sie nimmt ihnen das Nötigste,
wie etwa Haus und Arbeit. Das können wir nicht akzeptieren! Wer die Solidarität lebt,
akzeptiert das nicht, sondern handelt. Man will heute das Wort ‚Solidarität’ aus dem
Wörterbuch streichen, weil es einer bestimmten Kultur wie ein Schimpfwort vorkommt.
Nein! Es ist ein christliches Wort: ‚Solidarität’!“
Der Papst lobte den
Einsatz der Gemeinschaft Sant’Egidio, die Solidarität in vielen Initiativen weltweit
zu leben und weiterzugeben versuche. Besonders ging er auf die Vermittlungsversuche
ein, die Sant’Egidio in vielen Ländern des Planeten zwischen Konfliktparteien unternehme.
Der Einsatz für den Frieden habe keine schnellen Ergebnisse, sondern brauche Geduld,
so Papst Franziskus.
„Geht auf diesem Weg weiter: Gebet, die Armen und
der Frieden. Und dieser Weg hilft, das Mitleid in der Gesellschaft wachsen zu lassen
– das ist die wahre Revolution, die Revolution des Mitleids und der Zärtlichkeit!“
Die
im Mai 1968 in Trastevere entstandene Gemeinschaft Sant'Egidio hat nach eigenen Angaben
heute rund 60.000 Mitglieder in 70 Ländern. Wegen ihrer guten internationalen Kontakte
und aufgrund erfolgreicher Friedensvermittlungen wird die Gemeinschaft mitunter auch
als „UNO von Trastevere“ bezeichnet.