Die Freiheit und der Heilige Geist: Warum Papst Franziskus so leitet, wie er leitet
Vom ersten Moment seines Pontifikates an schien Papst Franziskus genau zu wissen,
was er wollte. Die Symbole, die Sprache, das Auftreten, gefolgt von den Entscheidungen
der ersten Tage: Leadership nennt man das auf Neudeutsch, Führungsqualität. Das kann
man nicht lernen, wenn man eine Aufgabe übernimmt, das muss der Papst bereits mitgebracht
haben.
Jeder Papst leitet
die Kirche, dieser Papst tut das auf ganz eigene Weise. Manchmal durch Kommissionen,
manchmal spontan, manchmal unerwartet, aber immer überzeugend, wenn wir den Sinn auch
manchmal nicht nachvollziehen können. Warum also leitet der Papst so, wie er leitet?
Fragen wir jemanden, der sich ausgiebig damit befasst hat: Chris Lowney, Buchautor
und „leadership-consultant“, also Fachmann für das, dem wir heute nachgehen. Er ist
Vorsitzender des Aufsichtsrates der „Catholic Health Inintiative“, einem großen katholischen
Krankenhausverbund in den USA, er bringt also reichlich eigene Erfahrung mit. Und
nicht nur auf diesem Gebiet.
„Ich selber war einmal ein Jesuit, nach meiner
Schule für etwa sechs Jahre, habe dann aber gesehen, dass das nicht mein Weg ist,
Jesuit zu sein. Danach habe ich erst einmal für siebzehn Jahre als Investmentbanker
bei JP Morgan gearbeitet. Mir ist damals immer wieder aufgefallen, dass das zwei völlig
verschiedene Organisationen sind, mit ganz und gar anderen Zielen. Aber jede menschliche
Organisation hat auch Dinge gemeinsam: Es geht um Motivation unserer selbst und anderer,
es geht um Pläne und wie man sie erfüllen kann, es geht um das Setzen von Zielen und
so weiter. Damals habe ich begonnen, mich für die Jesuiten als Firma zu interessieren,
also sie in einer Unternehmens-Perspektive zu sehen. Wo sind die Leitungs-Werte dieser
Organisation? Daraus ist dann ein Buch entstanden, „Heroic Leadership“,
und viele Jahre später, als dann erstmals ein Jesuit Papst wurde, hat mein Verleger
mich gebeten, etwas über diesen Papst zu schreiben und deswegen habe ich das als Fallstudie
betrachtet: Wer ist dieser Mensch und was ist der Hintergrund seiner Leitungskompetenz?“
Also
ist das zweite Buch der Beweis, dass das erste Buch recht hatte?
„(Lacht)
So gewagt würde ich das nicht formulieren.“
Wie charakterisieren Sie nun
die Art und Weise des Papstes, zu leiten?
„Wissen Sie, die erste Formulierung,
an die ich denke, ist überhaupt kein Fachausdruck, es ist etwas, was mir einige Freunde
nach den ersten Tagen des Pontifikates gesagt haben. Diese Freunde sind keine praktizierenden
Katholiken, haben aber fast denselben Kommentar gemacht, nämlich dass sich dieser
Papst in seiner Haut wohl zu fühlen scheint. In anderen Worten, sie waren erstaunt,
dass jemand, der sich nicht sein ganzes Leben darauf vorbereitet hat, diesen Job zu
bekommen, ihn nun auf so völlig natürliche Weise ausübt. Das war dann mein erstes
Thema: Wie bekomme ich die Leitungs-Kompetenz, bevor der Moment kommt, wo ich sie
brauche. Als Franziskus Papst wurde, hat ihm keiner eine Woche Zeit gegeben oder ein
Buch, diese Aufgabe zu lernen. Er musste sofort beginnen, an diesem ersten Abend.
Wir denken immer erst dann an die Bedeutung von Leitung, wenn wir selbst in eine solche
Situation kommen. Aber die Realität ist anders: Man muss sehr viel früher daran denken
und vor allem sich vorbereiten.“
Was hat er gelernt? In Ihrem Buch erwähnen
Sie Dinge wie die Fähigkeit, alleine zu sein, verschiedene Perspektiven einzunehmen,
klar zu entscheiden und so weiter. Was von alledem finden Sie in Papst Franziskus?
„Drei
davon kann ich gleich nennen und alle drei sind sehr eng mit seinen jesuitischen Wurzeln
verbunden, der jesuitischen Kultur und Tradition. Das bedeutet nicht, dass die Jesuiten
eine bessere Ausbildung haben als alle anderen, sondern nur, dass das seine Ausbildung
war. Das erste ist, was wir „Investition in sich selbst“ nennen, es geht
um Identität und Werte und so weiter. In jesuitischer Sprache: Er hat die Exerzitien
gemacht und zwar in ihrer Vollform von 30 Tagen. Und das Leben als Jesuit schießt
auch jährliche kurze Exerzitien ein, es liegt also eine große Betonung darauf, sich
selbst tiefer zu verstehen und das sieht man sehr klar in diesem Papst. Der
zweite Aspekt, der charakteristisch ist für seinen jesuitischen Hintergrund, ist der
Wunsch und das Verlangen, aktiv zu sein und sich in die Welt zu stürzen. Sich im Apostolat
zu engagieren, um religiöse Sprache zu benutzen, so wollte Ignatius den Orden, aktiv.
Gleichzeitig muss man, um erfolgreich dabei zu sein, fähig sein, sich zurück zu ziehen,
täglich, um zu reflektieren, zu beten. Der dritte Punkt, den ich anführen
würde, ist was ich den „Geist der Freiheit“ nennen würde. In jesuitischer Sprache
bedeutet das, „indifferent“ zu sein, frei von „ungeordneten Anhänglichkeiten“. Mich
erstaunt immer wieder, dass der Papst sehr häufig von Freiheit spricht, wir müssen
frei sein von Gier oder Dingen, die uns auf einen falschen Weg führen. Oder er benutzt
es auf eine andere Art: Wir dürfen nicht bleiben, wer wir sind, das ist das Sklavenhaus
Ägyptens, wir müssen frei sein, dahin zu gehen, wohin der Geist und führt. Das
sind drei Dinge, die mir sehr „jesuitisch“ erscheinen bei seiner Weise, zu leiten.“
Sie
haben das Buch sehr bald nach der Wahl geschrieben, erkennen Sie heute – ein Jahr
später – das was Sie beschreiben nicht nur in seinen Worten sondern auch in seiner
Weise, den Vatikan zu strukturieren, Dialoge zu beginnen wie etwa bei der bevorstehenden
Bischofssynode. Erkennen Sie diese Prinzipien da auch?
„Lassen Sie mich
es so sagen: Einer der Jesuiten, den ich für mein Buch interviewt habe, ein Argentinier,
der unter Pater Bergoglio als Rektor seine Ausbildung zum Jesuiten absolviert hat,
hat zu mir über den Papst gesagt „Chris, weißt du, was ich heute sehe ist genau dasselbe
wie das was ich damals gesehen habe, und was ich heute höre habe ich auch schon damals
gehört.“ Dasselbe würde ich nun nach einem Jahr sagen. Damit meine ich nicht, dass
der Papst langweilig wäre oder nichts Neues zu sagen hätte, sondern dass er konsistent
ist in seiner Leitung. Da ist etwas, was sich nicht nach dem Wind dreht oder auf den
Einfluss anderer reagiert. Jeder sieht, dass Franziskus ein Jahr später noch derselbe
ist. Mir scheint auch, dass er ein Mann ist, der voller Frieden ist und
ganz frei. Viele Menschen machen sich Sorgen, ob das Erfolg haben wird und ob der
Papst dieses oder jenes ändern wird. Er scheint mir der einzige Mensch zu sein, der
sich darüber keinerlei Sorgen macht. Das ist die Tugend der Freiheit vor dem Heiligen
Geist. Er lässt sich von ihm leiten und vertraut ihm.“
Wenn man ihm zuschaut,
kann man schon ein wenig verwirrt sein. Da ist der spontane Papst, der fast täglich
von Protokoll und Programm abweicht, von Redetexten einmal ganz zu schweigen. Er ruft
an, zeichnet Botschaften auf, etc. Dann ist da der Papst, der sehr viel Expertise
von außen in den Vatikan bringt, die Beratungsfirmen KPMG, McKinsey und andere etwa.
Und dann ist da der Papst, der den Verfahren vertraut, wie bei der so genannten Vatikanbank.
Er wartet auf das Ende der internen Untersuchung aller Konten und Abläufe, bevor er
eine Entscheidung trifft. Das alles sind ganz verschiedene Handlungsweisen, bekommen
Sie die zusammen?
„Wissen Sie, wenn ich das ansehe dann erinnert mich das
an meine Tätigkeit in der Wirtschaft, und damals hat mich ein Buch beeindruckt, dass
„build to last“ heißt, „errichtet um zu bleiben“. Darin ging es um Firmen, die über
lange Zeit erfolgreich waren und um die Gründe dafür. Eine der stärkten
Thesen war, dass starke Organisationen – und das kann man auf starke Leitung ausdehnen
– auf der einen Seite ein klares Verständnis von nicht verhandelbaren Dingen haben,
vom Kern, an den man glaubt. Das ist eine Art Anker oder Kompass für sie. Auf der
anderen Seite sind sie auch bereit alles andere auf den Tisch zu legen. Es ist die
kreative Spannung zwischen diesen beiden Haltungen, welche gute Leitung hervorbringt. Wenn
man also nur ändert ohne einen Sinn für die Kernbotschaft, kommt man in Schwierigkeiten.
Wenn man auf der anderen Seite so eng ist, dass man sich gar nicht vorstellen kann,
dass sich irgendwelche Verfahren oder Leitungsprinzipien ändern, dann kommt man genauso
in Schwierigkeiten. Wenn ich auf den Papst schaue, dann sehe ich diese Spannung.
Er ist ein Mann, der sehr offen ist, auf der anderen Seite gibt es Dinge, die nicht
zur Debatte stehen.“
Ihre Prinzipien klingen sehr abstrakt, kann man wirklich
den Heiligen Geist, Jesus Christus, den Glauben an Gott von all dem trennen und nur
über Leitungs-Kompetenz sprechen?
„Danke für diese Frage, denn ich muss
dazu natürlich etwas Wichtiges sagen. Was den Papst angeht, interessiert es sich kein
bisschen für Leitungs-Theorie oder Kompetenz-Erwerb oder irgendetwas in dieser Richtung.
Er ist ein kluger Mann und ich benutze nur eine Linse, um ihn besser zu verstehen.
Aber schlussendlich läuft es darauf hinaus, dass er Jesus nachfolgt. Ich bin mir sicher,
dass das das Einzige ist, was ihn beschäftigt. Er selber spricht sehr klar davon,
dass wir uns vom Heiligen Geist leiten lassen sollen offen sein sollen dafür, wohin
der Geist die Kirche führen will. Ich benutzte nur einen Rahmen, um zu verstehen,
wie Leitungspersönlichkeiten und Organisationen funktionieren. Ich würde aber auch
sagen, dass niemand, auch nicht in säkularen Organisationen, in Leitungsverantwortung
erfolgreich sein kann, wenn sie nicht Menschen voller tief sitzender Werte und Überzeugungen
sind. Einige Menschen bekommen diese aus ihrer religiösen Überzeugung, andere sind
woanders verwurzelt, aber ich glaube, dass das der Kern guter Leitung ist.“
Diesem
Papst geht es um Reform, um Bekehrung, die Reform der Gemeinschaft als betender und
glaubender Gemeinschaft, es geht ihm aber auch um die Reform von Strukturen, von Kommunikation
innerhalb der Kirche. Glauben Sie, dass er mit der Leitung dieses Projektes Erfolg
haben wird?
„Das ist eine wichtige Frage, ich möchte einmal ganz persönlich
antworten. Was ich von diesem Papst verstehe, ist dass er will, dass wir in unserem
Lebensstil einfacher werden. Er selber ist ein Modell dafür, aber das ist eine Botschaft
für uns alle. Ich, Chris, bin kein Bischof und arbeite auch nicht im Vatikan, aber
ich, Chris, bin katholisch und das bedeutet, dass ich Werte verkörpern soll, die gegen
unsere von Konsum getriebene Gesellschaft stehen. Das ist ein Teil seiner Vision. Dann
geht es ihm darum, dass wir viel mehr an die Seite der Armen und Marginalisierten
der Welt stehen. Auch das betrifft nicht nur den Vatikan, sondern auch meine eigenen
Handlungen. Drittens – wie ich es verstehe – will er von uns mehr Einsatz in der Verkündigung.
Wie bringen wir die Botschaft zu denen, die sich abgewandt haben, die kein Interesse
mehr daran haben, zu Menschen die uns für abergläubisch oder verrückt halten, kurz:
Wie interagiere ich mit der modernen Welt? Wenn Sie jetzt fragen, ob er
es schaffen wird, diese Vorhaben umzusetzen, dann sehen wir zwar ein gutes Vorbild
in dem Papst, es gibt aber eine große Lücke zwischen dem Vorbild und dem Wandel von
Chris Lowney, zu seiner Bekehrung um seine Worte zu benutzen. Dass ich mein Leben
ändere. Ein Teil der Herausforderung der Institution oder um unsere katholische
Sprache zu benutzen Teil des Werkes des Heiligen Geistes ist es nun, diesen Schwung
aufzunehmen. Hier geht es nicht um eine einzelne Person, das ist eine Bewegung. Der
Papst leitet und inspiriert, einige einflussreiche Leitungspersönlichkeiten in der
Kirche nehmen das auf, aber wir müssen nun diesen Schwung in uns aufnehmen. Irgendwann
werden wir dann – säkular ausgedrückt – an einem Wendepunkt ankommen, wenn die Dynamik
alle ergreift. Das aber ist die Herausforderung. Jede Organisation muss sich dem auf
eigene Weise stellen: Wir ändere ich eine Kultur oder eine Bewegung so, dass das tiefe
Auswirkungen hat. Als ich bei JP Morgen war, waren wir bloß Menschen mit
Flip-Charts und Memos und Papier, als Katholik glaube ich, dass wir teil von etwa
ganz anderem sind. Der Geist wirkt in uns, in unserer Gemeinschaft. Das ist der entscheidende
Unterschied.“