2014-06-15 16:21:30

Die Freiheit und der Heilige Geist: Warum Papst Franziskus so leitet, wie er leitet


Vom ersten Moment seines Pontifikates an schien Papst Franziskus genau zu wissen, was er wollte. Die Symbole, die Sprache, das Auftreten, gefolgt von den Entscheidungen der ersten Tage: Leadership nennt man das auf Neudeutsch, Führungsqualität. Das kann man nicht lernen, wenn man eine Aufgabe übernimmt, das muss der Papst bereits mitgebracht haben.

RealAudioMP3 Jeder Papst leitet die Kirche, dieser Papst tut das auf ganz eigene Weise. Manchmal durch Kommissionen, manchmal spontan, manchmal unerwartet, aber immer überzeugend, wenn wir den Sinn auch manchmal nicht nachvollziehen können. Warum also leitet der Papst so, wie er leitet? Fragen wir jemanden, der sich ausgiebig damit befasst hat: Chris Lowney, Buchautor und „leadership-consultant“, also Fachmann für das, dem wir heute nachgehen. Er ist Vorsitzender des Aufsichtsrates der „Catholic Health Inintiative“, einem großen katholischen Krankenhausverbund in den USA, er bringt also reichlich eigene Erfahrung mit. Und nicht nur auf diesem Gebiet.

„Ich selber war einmal ein Jesuit, nach meiner Schule für etwa sechs Jahre, habe dann aber gesehen, dass das nicht mein Weg ist, Jesuit zu sein. Danach habe ich erst einmal für siebzehn Jahre als Investmentbanker bei JP Morgan gearbeitet. Mir ist damals immer wieder aufgefallen, dass das zwei völlig verschiedene Organisationen sind, mit ganz und gar anderen Zielen. Aber jede menschliche Organisation hat auch Dinge gemeinsam: Es geht um Motivation unserer selbst und anderer, es geht um Pläne und wie man sie erfüllen kann, es geht um das Setzen von Zielen und so weiter. Damals habe ich begonnen, mich für die Jesuiten als Firma zu interessieren, also sie in einer Unternehmens-Perspektive zu sehen. Wo sind die Leitungs-Werte dieser Organisation?
Daraus ist dann ein Buch entstanden, „Heroic Leadership“, und viele Jahre später, als dann erstmals ein Jesuit Papst wurde, hat mein Verleger mich gebeten, etwas über diesen Papst zu schreiben und deswegen habe ich das als Fallstudie betrachtet: Wer ist dieser Mensch und was ist der Hintergrund seiner Leitungskompetenz?“

Also ist das zweite Buch der Beweis, dass das erste Buch recht hatte?

„(Lacht) So gewagt würde ich das nicht formulieren.“

Wie charakterisieren Sie nun die Art und Weise des Papstes, zu leiten?

„Wissen Sie, die erste Formulierung, an die ich denke, ist überhaupt kein Fachausdruck, es ist etwas, was mir einige Freunde nach den ersten Tagen des Pontifikates gesagt haben. Diese Freunde sind keine praktizierenden Katholiken, haben aber fast denselben Kommentar gemacht, nämlich dass sich dieser Papst in seiner Haut wohl zu fühlen scheint. In anderen Worten, sie waren erstaunt, dass jemand, der sich nicht sein ganzes Leben darauf vorbereitet hat, diesen Job zu bekommen, ihn nun auf so völlig natürliche Weise ausübt. Das war dann mein erstes Thema: Wie bekomme ich die Leitungs-Kompetenz, bevor der Moment kommt, wo ich sie brauche. Als Franziskus Papst wurde, hat ihm keiner eine Woche Zeit gegeben oder ein Buch, diese Aufgabe zu lernen. Er musste sofort beginnen, an diesem ersten Abend. Wir denken immer erst dann an die Bedeutung von Leitung, wenn wir selbst in eine solche Situation kommen. Aber die Realität ist anders: Man muss sehr viel früher daran denken und vor allem sich vorbereiten.“

Was hat er gelernt? In Ihrem Buch erwähnen Sie Dinge wie die Fähigkeit, alleine zu sein, verschiedene Perspektiven einzunehmen, klar zu entscheiden und so weiter. Was von alledem finden Sie in Papst Franziskus?

„Drei davon kann ich gleich nennen und alle drei sind sehr eng mit seinen jesuitischen Wurzeln verbunden, der jesuitischen Kultur und Tradition. Das bedeutet nicht, dass die Jesuiten eine bessere Ausbildung haben als alle anderen, sondern nur, dass das seine Ausbildung war.
Das erste ist, was wir „Investition in sich selbst“ nennen, es geht um Identität und Werte und so weiter. In jesuitischer Sprache: Er hat die Exerzitien gemacht und zwar in ihrer Vollform von 30 Tagen. Und das Leben als Jesuit schießt auch jährliche kurze Exerzitien ein, es liegt also eine große Betonung darauf, sich selbst tiefer zu verstehen und das sieht man sehr klar in diesem Papst.
Der zweite Aspekt, der charakteristisch ist für seinen jesuitischen Hintergrund, ist der Wunsch und das Verlangen, aktiv zu sein und sich in die Welt zu stürzen. Sich im Apostolat zu engagieren, um religiöse Sprache zu benutzen, so wollte Ignatius den Orden, aktiv. Gleichzeitig muss man, um erfolgreich dabei zu sein, fähig sein, sich zurück zu ziehen, täglich, um zu reflektieren, zu beten.
Der dritte Punkt, den ich anführen würde, ist was ich den „Geist der Freiheit“ nennen würde. In jesuitischer Sprache bedeutet das, „indifferent“ zu sein, frei von „ungeordneten Anhänglichkeiten“. Mich erstaunt immer wieder, dass der Papst sehr häufig von Freiheit spricht, wir müssen frei sein von Gier oder Dingen, die uns auf einen falschen Weg führen. Oder er benutzt es auf eine andere Art: Wir dürfen nicht bleiben, wer wir sind, das ist das Sklavenhaus Ägyptens, wir müssen frei sein, dahin zu gehen, wohin der Geist und führt.
Das sind drei Dinge, die mir sehr „jesuitisch“ erscheinen bei seiner Weise, zu leiten.“

Sie haben das Buch sehr bald nach der Wahl geschrieben, erkennen Sie heute – ein Jahr später – das was Sie beschreiben nicht nur in seinen Worten sondern auch in seiner Weise, den Vatikan zu strukturieren, Dialoge zu beginnen wie etwa bei der bevorstehenden Bischofssynode. Erkennen Sie diese Prinzipien da auch?

„Lassen Sie mich es so sagen: Einer der Jesuiten, den ich für mein Buch interviewt habe, ein Argentinier, der unter Pater Bergoglio als Rektor seine Ausbildung zum Jesuiten absolviert hat, hat zu mir über den Papst gesagt „Chris, weißt du, was ich heute sehe ist genau dasselbe wie das was ich damals gesehen habe, und was ich heute höre habe ich auch schon damals gehört.“ Dasselbe würde ich nun nach einem Jahr sagen. Damit meine ich nicht, dass der Papst langweilig wäre oder nichts Neues zu sagen hätte, sondern dass er konsistent ist in seiner Leitung. Da ist etwas, was sich nicht nach dem Wind dreht oder auf den Einfluss anderer reagiert. Jeder sieht, dass Franziskus ein Jahr später noch derselbe ist.
Mir scheint auch, dass er ein Mann ist, der voller Frieden ist und ganz frei. Viele Menschen machen sich Sorgen, ob das Erfolg haben wird und ob der Papst dieses oder jenes ändern wird. Er scheint mir der einzige Mensch zu sein, der sich darüber keinerlei Sorgen macht. Das ist die Tugend der Freiheit vor dem Heiligen Geist. Er lässt sich von ihm leiten und vertraut ihm.“

Wenn man ihm zuschaut, kann man schon ein wenig verwirrt sein. Da ist der spontane Papst, der fast täglich von Protokoll und Programm abweicht, von Redetexten einmal ganz zu schweigen. Er ruft an, zeichnet Botschaften auf, etc. Dann ist da der Papst, der sehr viel Expertise von außen in den Vatikan bringt, die Beratungsfirmen KPMG, McKinsey und andere etwa. Und dann ist da der Papst, der den Verfahren vertraut, wie bei der so genannten Vatikanbank. Er wartet auf das Ende der internen Untersuchung aller Konten und Abläufe, bevor er eine Entscheidung trifft. Das alles sind ganz verschiedene Handlungsweisen, bekommen Sie die zusammen?

„Wissen Sie, wenn ich das ansehe dann erinnert mich das an meine Tätigkeit in der Wirtschaft, und damals hat mich ein Buch beeindruckt, dass „build to last“ heißt, „errichtet um zu bleiben“. Darin ging es um Firmen, die über lange Zeit erfolgreich waren und um die Gründe dafür.
Eine der stärkten Thesen war, dass starke Organisationen – und das kann man auf starke Leitung ausdehnen – auf der einen Seite ein klares Verständnis von nicht verhandelbaren Dingen haben, vom Kern, an den man glaubt. Das ist eine Art Anker oder Kompass für sie. Auf der anderen Seite sind sie auch bereit alles andere auf den Tisch zu legen. Es ist die kreative Spannung zwischen diesen beiden Haltungen, welche gute Leitung hervorbringt.
Wenn man also nur ändert ohne einen Sinn für die Kernbotschaft, kommt man in Schwierigkeiten. Wenn man auf der anderen Seite so eng ist, dass man sich gar nicht vorstellen kann, dass sich irgendwelche Verfahren oder Leitungsprinzipien ändern, dann kommt man genauso in Schwierigkeiten.
Wenn ich auf den Papst schaue, dann sehe ich diese Spannung. Er ist ein Mann, der sehr offen ist, auf der anderen Seite gibt es Dinge, die nicht zur Debatte stehen.“

Ihre Prinzipien klingen sehr abstrakt, kann man wirklich den Heiligen Geist, Jesus Christus, den Glauben an Gott von all dem trennen und nur über Leitungs-Kompetenz sprechen?

„Danke für diese Frage, denn ich muss dazu natürlich etwas Wichtiges sagen. Was den Papst angeht, interessiert es sich kein bisschen für Leitungs-Theorie oder Kompetenz-Erwerb oder irgendetwas in dieser Richtung. Er ist ein kluger Mann und ich benutze nur eine Linse, um ihn besser zu verstehen. Aber schlussendlich läuft es darauf hinaus, dass er Jesus nachfolgt. Ich bin mir sicher, dass das das Einzige ist, was ihn beschäftigt. Er selber spricht sehr klar davon, dass wir uns vom Heiligen Geist leiten lassen sollen offen sein sollen dafür, wohin der Geist die Kirche führen will.
Ich benutzte nur einen Rahmen, um zu verstehen, wie Leitungspersönlichkeiten und Organisationen funktionieren. Ich würde aber auch sagen, dass niemand, auch nicht in säkularen Organisationen, in Leitungsverantwortung erfolgreich sein kann, wenn sie nicht Menschen voller tief sitzender Werte und Überzeugungen sind. Einige Menschen bekommen diese aus ihrer religiösen Überzeugung, andere sind woanders verwurzelt, aber ich glaube, dass das der Kern guter Leitung ist.“

Diesem Papst geht es um Reform, um Bekehrung, die Reform der Gemeinschaft als betender und glaubender Gemeinschaft, es geht ihm aber auch um die Reform von Strukturen, von Kommunikation innerhalb der Kirche. Glauben Sie, dass er mit der Leitung dieses Projektes Erfolg haben wird?

„Das ist eine wichtige Frage, ich möchte einmal ganz persönlich antworten. Was ich von diesem Papst verstehe, ist dass er will, dass wir in unserem Lebensstil einfacher werden. Er selber ist ein Modell dafür, aber das ist eine Botschaft für uns alle. Ich, Chris, bin kein Bischof und arbeite auch nicht im Vatikan, aber ich, Chris, bin katholisch und das bedeutet, dass ich Werte verkörpern soll, die gegen unsere von Konsum getriebene Gesellschaft stehen. Das ist ein Teil seiner Vision.
Dann geht es ihm darum, dass wir viel mehr an die Seite der Armen und Marginalisierten der Welt stehen. Auch das betrifft nicht nur den Vatikan, sondern auch meine eigenen Handlungen. Drittens – wie ich es verstehe – will er von uns mehr Einsatz in der Verkündigung. Wie bringen wir die Botschaft zu denen, die sich abgewandt haben, die kein Interesse mehr daran haben, zu Menschen die uns für abergläubisch oder verrückt halten, kurz: Wie interagiere ich mit der modernen Welt?
Wenn Sie jetzt fragen, ob er es schaffen wird, diese Vorhaben umzusetzen, dann sehen wir zwar ein gutes Vorbild in dem Papst, es gibt aber eine große Lücke zwischen dem Vorbild und dem Wandel von Chris Lowney, zu seiner Bekehrung um seine Worte zu benutzen. Dass ich mein Leben ändere.
Ein Teil der Herausforderung der Institution oder um unsere katholische Sprache zu benutzen Teil des Werkes des Heiligen Geistes ist es nun, diesen Schwung aufzunehmen. Hier geht es nicht um eine einzelne Person, das ist eine Bewegung.
Der Papst leitet und inspiriert, einige einflussreiche Leitungspersönlichkeiten in der Kirche nehmen das auf, aber wir müssen nun diesen Schwung in uns aufnehmen. Irgendwann werden wir dann – säkular ausgedrückt – an einem Wendepunkt ankommen, wenn die Dynamik alle ergreift. Das aber ist die Herausforderung. Jede Organisation muss sich dem auf eigene Weise stellen: Wir ändere ich eine Kultur oder eine Bewegung so, dass das tiefe Auswirkungen hat.
Als ich bei JP Morgen war, waren wir bloß Menschen mit Flip-Charts und Memos und Papier, als Katholik glaube ich, dass wir teil von etwa ganz anderem sind. Der Geist wirkt in uns, in unserer Gemeinschaft. Das ist der entscheidende Unterschied.“

(rv 14.06.2014 ord)







All the contents on this site are copyrighted ©.