Tomáš Halík: „Mit den Suchenden ein Suchender sein“
Menschen, die auf
der Suche nach einer modernen Weise sind, Christentum zu leben, ist der Name Tomáš
Halík nicht unbekannt. Der tschechische Priester und Psychotherapeut bietet immer
wieder in seinen Büchern und Vorträgen originelle Sichtweisen für unsere Zeit an.
Der vielfach ausgezeichnete Halík legt jetzt ein neues Buch vor, eine Autobiographie,
der Titel ist einem Psalm entnommen: Alle meine Wege sind DIR vertraut.
„Der
Untertitel lautet ‚Aus der Untergrundkirche in das Labyrinth der Freiheit‘“, erläutert
Halík im Gepräch mit uns. „Das ist meine Lebensgeschichte“. Geboren unter dem Stalinismus,
hat er in den Studentenjahren in den 60ern den Prager Frühling miterlebt, ist zum
Katholizismus konvertiert, hat im Geheimen Theologie studiert und wurde ebenso geheim
in Erfurt zum Priester geweiht. Danach war er elf Jahre als Untergrundpriester tätig,
während er offiziell als Psychotherapeut mit Drogensüchtigen arbeitete.
„Ich
schreibe über die Wende - ich war vierzig Jahre sehr eng befreundet mit Václav Havel
- und über die auch komplizierten Jahre nach der Wende. Damals war ich Generalsekretär
der Bischofskonferenz und Berater des Präsidenten Havel, außerdem wurde ich auch zum
Berater euines Päpstlichen Rates für die Belange von Nichtglaubenden.“
Ein
reiches Leben. Es gehe ihm aber vor allem um seinen inneren Weg, nicht nur um Daten
und Fakten und Eindrücke, berichtet Halík: Es gehe auch um Schwierigkeiten, Krisen
und Zweifel. Es will eine Autobiographie sein, die mit Theologie und Spiritualität
zusammengehe, reine Autobiographien schrieben nach seinem Dafürhalten nur Narzissten.
„Ich meine, dass Lebenserfahrungen der Schlüssel zu theologischen Ansichten sind.“
„In
den 70er Jahren, als wir im Untergrund waren, kamen viele Theologen zu uns als Privattouristen,
zum Beispiel der heutige Kardinal Walter Kasper, oder Johann Baptist Metz und viele
andere. Das geschah mit gewissem Risiko. Sie haben uns in Privatwohnungen Vorlesungen
gehalten. J.B. Metz hielt dort einen Vortrag über ‚Gott nach Auschwitz‘, und ich
habe ihm einmal als junger Student gesagt, ‚Ja, aber es gibt auch einen Gott nach
dem Gulag‘. Wir müssen die Erfahrungen aus dem Holocaust sehr ernst nehmen, aber es
gibt auch die Erfahrungen der Menschen, die unter dem Kommunismus gelitten haben!
Das müssen wir auch theologisch reflektieren. Vor einem Jahr bin ich Professor Metz
noch einmal begegnet, und wir haben darüber gesprochen, dass damals viele westliche
Theologen Erfahrungen und Kenntnisse über Südamerika hatten, aber gar nichts über
die Kirche zehn Kilometer von der deutschen Grenze entfernt wussten. Das ist unsere
Aufgabe, wir müssen unsere Erfahrungen aus diesen Zeiten theologisch reflektieren.“
Und
genau dazu will sein Buch einen Beitrag leisten.
Das Schweigen Gottes
ertragen
Vieles von dem, was Halík geschrieben hat und schreibt, liest
sich parallel zu dem, was Papst Franziskus seit einem Jahr immer wieder sagt: Christsein
als Aufbrechen, als Gehen an die Ränder, als Aufgeben von Privilegien. Für Halík war
und ist der erste Schritt der, die Probleme der Menschen ernst zu nehmen.
„Papst
Franziskus hat gesagt, dass die Kirche ein Feldlazarett sein soll und den Leuten nahe,
die viele Probleme haben. Das sind Schwierigkeiten in den zwischenmenschlichen Beziehungen
und so weiter. Ich kenne das aus meiner Praxis als Beichtvater. Manchmal gibt es schwierige
Fragen, auf die ich keine Antworten habe. Da muss ich vielleicht die Menschen ermutigen,
weiter zu gehen und inmitten der Paradoxe zu leben. Wenn die Menschen im geistlichen
Leben keine unmittelbare Antwort von Gott haben, dann müssen sie das Schweigen Gottes
geduldig ertragen.“
Das mache auch eine neue Sicht auf den Glauben aus;
er unterscheide nicht mehr zwischen Gläubigen und Nichtglaubenden, sondern zwischen
den Verbleibenden, wie er sie nennt, und den Suchenden.
„Ich bin überzeugt
davon, dass es auch unter den Gläubigen viele gibt, die Suchende sind, die einen Weg
weiter in die Tiefe suchen. Die Hauptaufgabe für die Kirche heute ist, mit diesen
Suchenden zu kommunizieren. Das empfinde ich als meine Aufgabe, meine pastorale Aufgabe:
Mit den Suchenden ein Suchender sein.“
Tomáš Halík: Alle meine Wege
sind DIR vertraut. Aus der Untergrundkirche ins Labyrinth der Freiheit. Das Buch ist
im Verlag Herder erschienen und kostet etwa 20 €.