Selten hat „Seine
Heiligkeit“, der Papst, einen Besucher im Vatikan, den er ebenfalls mit „Heiligkeit“
anspricht. An diesem Donnerstag aber war das der Fall: Da kam das Oberhaupt der Armenisch-Apostolischen
Kirche, Aram I., zu Franziskus. Aram ist seit 1995 „Katholikos“, also einer der Führer
der sechs Millionen armenisch-orthodoxen Gläubigen. Die beiden „Heiligkeiten“ versicherten
sich ihres guten Willens in Sachen Ökumene und beteten im Vatikan zusammen.
Für
einen Moment war es ein Déjà-Vu: Vor vier Wochen hatte Papst Franziskus schon den
anderen armenischen „Katholikos“, Karekin II., zu Besuch, vor zwei Wochen betete er
in Jerusalem mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, diesmal traf er
sich mit dem „Katholikos der Großen Kirche von Zilizien“. Aram, der schon Johannes
Paul II. und Benedikt XVI. im Vatikan aufgesucht hat, engagiert sich sehr in der Ökumene,
vor allem im Genfer Weltkirchenrat; dafür lobte ihn Papst Franziskus ausdrücklich.
„Ich will auch nicht den qualifizierten Beitrag verschweigen, den Eure
Heiligkeit und Eure Vertreter zur gemischten Dialogkommission zwischen der katholischen
und den orthodoxen Ostkirchen leisten. Lassen Sie mich sagen, dass uns auf diesem
Weg zur vollen Einheit dieselben Hoffnungen und derselbe unermüdliche Einsatz verbinden
– wir wissen, dass wir so den Willen unseres Herrn Jesus Christus erfüllen!“
„In
der Wüste der Gleichgültigkeit“ Heikel wird es immer, wenn ein Papst auf
den Massenmord an den Armeniern in der Türkei des frühen 20. Jahrhunderts zu sprechen
kommt. Auch Papst Franziskus vermied in seiner Ansprache an diesem Freitag den sensiblen
Begriff „Völkermord“.
„Eure Heiligkeit repräsentieren einen Teil der christlichen
Welt, der zutiefst von einer Geschichte des Leidens und der Prüfungen gezeichnet ist...
Die Armenisch-Apostolische Kirche sah sich dazu gezwungen, zu einem pilgernden Volk
zu werden, wodurch sie auf einzigartige Weise das auf-dem-Weg-Sein zum Reich Gottes
erlebt hat. Die Geschichte der Emigration, der Verfolgung und des Martyriums so vieler
Gläubiger hat tiefe Wunden in den Herzen aller Armenier hinterlassen. Wir müssen sie
als Wunden des Leibes Christi selbst sehen: Gerade dadurch werden sie für uns dann
auch zur Ursache unerschütterlicher Hoffnung auf die fürsorgliche Barmherzigkeit des
Vaters.“
Der Papst erinnerte an die „Gewalt und die Konflikte“, denen viele
Christen im Nahen Osten ausgesetzt sind. Er mahnte zu mehr „Vertrauen und Hoffnung“
unter den Christen verschiedener Konfessionen und Riten:
„Oft drohen wir
uns in den Wüsten der Gleichgültigkeit und des Gottesvergessens zu verlieren oder
im Konflikt mit den eigenen Brüdern zu leben, oder aber in unseren inneren Kämpfen
gegen die Sünde zu unterliegen. Als Jünger Jesu müssen wir lernen, demütig einer des
anderen Last zu tragen.“
Aram I. war am 3. Juni nach Rom gekommen; er bleibt
noch bis Freitag. Während seines Rom-Aufenthaltes führt er Gespräche mit dem Päpstlichen
Einheitsrat und anderen Einrichtungen der Römischen Kurie. In der Armenisch-Apostolischen
Kirche führen zwei Kirchenmänner den Titel „Katholikos“; einer residiert in Etschmiadzin,
der andere in Antelias. Sie stehen in voller kirchlicher Gemeinschaft untereinander,
leiten aber eigene Verwaltungen. Außerdem gibt es zwei Patriarchen: den von Jerusalem
und den von Konstantinopel. Sie hängen in geistlichen Dingen vom „Katholikos“ aus
Etschmiadzin ab. Zwischen der katholischen und der Armenisch-Apostolischen Kirche
haben sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil neue Beziehungen entwickelt.