„Eine Farce“: Das
Urteil der EU und der USA über die Präsidentenwahlen stand schon vorher fest. Und
es stimmt ja auch: Was soll eine Wahl in einem vom Bürgerkrieg zerstörten Land, in
dem die Regierung noch nicht einmal die Hälfte des Territoriums kontrolliert? Demokratisch
war die Wahl vom Dienstag auch nicht – das war übrigens noch nie eine Wahl in Syrien.
Und trotzdem: Präsident Baschar al-Assad könnte mit seiner Entscheidung, die Wahlfarce
durchführen zu lassen, bei vielen kriegsmüden Syrern einen Nerv getroffen haben.
„Die
Leute hier wollen ihre Meinung sagen und sich an der Wahlurne ausdrücken, trotz aller
Angst.“ Das sagt im Gespräch mit Radio Vatikan der Ordensmann Georges Sabe aus
Aleppo. „Es sind der Westen und die Opposition, die sich ein legales Vakuum in
Syrien wünschen. Aber wir haben ein Recht darauf, zu wählen! Es ist uns wichtig, dass
es in diesem Land kein konstitutionelles Vakuum gibt.“
Sabe sagt das im
Namen der christlichen Minderheiten, aber auch vielen Muslimen in Aleppo spricht er
damit aus der Seele. Dass die Wahlen wichtig waren, haben die Menschen in Aleppo aus
dem Raketenbeschuss in den Tagen und Wochen vor der Wahl geschlossen.
„Ein
paar Wochen lang liefen Gerüchte um, dass die Rebellen ihren Beschuss auf Wohnviertel
von Aleppo verstärken würden, um das Abhalten der Wahlen zu verhindern – und sie haben
auch Wort gehalten! Fast die ganze Stadt hat Granaten bekommen, von allen Seiten.
Es gibt viele Verletzte, viel Zerstörung, viele Obdachlose. Vor allem im al-Midan-Viertel,
wo Armenier und Christen leben und – weil es nicht so teuer ist – viele ärmere Flüchtlinge,
haben die Granaten und Bombardements nicht aufgehört. Viele haben die Nacht im Keller
verbracht.“
Die Menschen leiden Unsägliches, so Bruder Georges, „sie fühlen
sich absolut vergessen“:
„In so einer Lage zur Wahl zu gehen, heißt: Wir
wollen kein legales Vakuum, wir wollen Frieden! Wir wollen zusammenleben! Wählen können
heißt, Frieden zu wählen, trotz aller Leiden, die wir und unsere Familien im Moment
durchmachen.“
Assads Wahlen – eine „Parodie der Demokratie“, wie man im
Westen sagt. Aber gleichzeitig für viele Verzweifelte eine Hoffnung. So zynisch das
ist: Was können sie sonst tun außer wählen? Ein Jesuit, den wir am Dienstagabend in
Homs erreichten, schilderte uns den Wahltag so in der Stadt, die einmal die „Hauptstadt
der Revolution“ war, aber vor einem Monat von den Rebellen geräumt wurde:
„Es
ist völlig ruhig; hier und da hört man Militärlieder über Syrien und den Präsidenten.
Homs ist jetzt fast vollkommen unter der Kontrolle der Regierung; das ist ein Gefühl
hier wie an einem Feiertag. Zwar geht die Arbeit auf den Baustellen weiter, und Schüler
legen ihre Examen ab, trotzdem herrscht hier so eine gewisse Ruhe... Rund um unser
Haus hängen überall Plakate mit dem Bild Baschar al-Assads, und viele Leute feiern
schon im Voraus seinen Sieg. Bestimmt gibt es auch Menschen, die jetzt Angst haben
und deswegen in ihren Häusern bleiben, aber im allgemeinen geht das Leben weiter.“
Das
ist es, was sich die kriegsmüden Syrer am meisten wünschen: dass das Leben irgendwie
weitergeht. Wenn`s sein muss, dann auch mit Assad. Als könnte alles wieder werden
wie früher. Auf dieses Gefühl zielt die Assad-Wahl vom Dienstag, deren Ergebnis am
Donnerstag bekanntgegeben wird. Auch wenn es eigentlich heute schon feststeht.
„Früher
bin ich oft spaziergegangen, um die Stimmung in der Stadt zu fühlen“, sagt uns
der Bischof von Aleppo, Antoine Audo. „Heute gehe ich nicht mehr durch die Strassen,
weil das immer riskant ist. Ich sage mir: Es ist sinnlos, solche Risiken einzugehen.“