2014-06-04 11:25:18

Syrien: Du hast keine Wahl - also nutze sie...


RealAudioMP3 „Eine Farce“: Das Urteil der EU und der USA über die Präsidentenwahlen stand schon vorher fest. Und es stimmt ja auch: Was soll eine Wahl in einem vom Bürgerkrieg zerstörten Land, in dem die Regierung noch nicht einmal die Hälfte des Territoriums kontrolliert? Demokratisch war die Wahl vom Dienstag auch nicht – das war übrigens noch nie eine Wahl in Syrien. Und trotzdem: Präsident Baschar al-Assad könnte mit seiner Entscheidung, die Wahlfarce durchführen zu lassen, bei vielen kriegsmüden Syrern einen Nerv getroffen haben.

„Die Leute hier wollen ihre Meinung sagen und sich an der Wahlurne ausdrücken, trotz aller Angst.“ Das sagt im Gespräch mit Radio Vatikan der Ordensmann Georges Sabe aus Aleppo. „Es sind der Westen und die Opposition, die sich ein legales Vakuum in Syrien wünschen. Aber wir haben ein Recht darauf, zu wählen! Es ist uns wichtig, dass es in diesem Land kein konstitutionelles Vakuum gibt.“

Sabe sagt das im Namen der christlichen Minderheiten, aber auch vielen Muslimen in Aleppo spricht er damit aus der Seele. Dass die Wahlen wichtig waren, haben die Menschen in Aleppo aus dem Raketenbeschuss in den Tagen und Wochen vor der Wahl geschlossen.

„Ein paar Wochen lang liefen Gerüchte um, dass die Rebellen ihren Beschuss auf Wohnviertel von Aleppo verstärken würden, um das Abhalten der Wahlen zu verhindern – und sie haben auch Wort gehalten! Fast die ganze Stadt hat Granaten bekommen, von allen Seiten. Es gibt viele Verletzte, viel Zerstörung, viele Obdachlose. Vor allem im al-Midan-Viertel, wo Armenier und Christen leben und – weil es nicht so teuer ist – viele ärmere Flüchtlinge, haben die Granaten und Bombardements nicht aufgehört. Viele haben die Nacht im Keller verbracht.“

Die Menschen leiden Unsägliches, so Bruder Georges, „sie fühlen sich absolut vergessen“:

„In so einer Lage zur Wahl zu gehen, heißt: Wir wollen kein legales Vakuum, wir wollen Frieden! Wir wollen zusammenleben! Wählen können heißt, Frieden zu wählen, trotz aller Leiden, die wir und unsere Familien im Moment durchmachen.“

Assads Wahlen – eine „Parodie der Demokratie“, wie man im Westen sagt. Aber gleichzeitig für viele Verzweifelte eine Hoffnung. So zynisch das ist: Was können sie sonst tun außer wählen? Ein Jesuit, den wir am Dienstagabend in Homs erreichten, schilderte uns den Wahltag so in der Stadt, die einmal die „Hauptstadt der Revolution“ war, aber vor einem Monat von den Rebellen geräumt wurde:

Es ist völlig ruhig; hier und da hört man Militärlieder über Syrien und den Präsidenten. Homs ist jetzt fast vollkommen unter der Kontrolle der Regierung; das ist ein Gefühl hier wie an einem Feiertag. Zwar geht die Arbeit auf den Baustellen weiter, und Schüler legen ihre Examen ab, trotzdem herrscht hier so eine gewisse Ruhe... Rund um unser Haus hängen überall Plakate mit dem Bild Baschar al-Assads, und viele Leute feiern schon im Voraus seinen Sieg. Bestimmt gibt es auch Menschen, die jetzt Angst haben und deswegen in ihren Häusern bleiben, aber im allgemeinen geht das Leben weiter.“

Das ist es, was sich die kriegsmüden Syrer am meisten wünschen: dass das Leben irgendwie weitergeht. Wenn`s sein muss, dann auch mit Assad. Als könnte alles wieder werden wie früher. Auf dieses Gefühl zielt die Assad-Wahl vom Dienstag, deren Ergebnis am Donnerstag bekanntgegeben wird. Auch wenn es eigentlich heute schon feststeht.

„Früher bin ich oft spaziergegangen, um die Stimmung in der Stadt zu fühlen“, sagt uns der Bischof von Aleppo, Antoine Audo. „Heute gehe ich nicht mehr durch die Strassen, weil das immer riskant ist. Ich sage mir: Es ist sinnlos, solche Risiken einzugehen.“


(rv 04.06.2014 sk)







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