Hier lesen Sie den Volltext der Predigt von Papst Franziskus bei der Messfeier in
Betlehem am Sonntag in deutscher Übersetzung: »Das soll euch als Zeichen dienen:
Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt« (Lk
2,12).
Welch große Gnade, die Eucharistie an dem Ort zu feiern, wo Jesus
geboren ist! Ich danke Gott, und ich danke euch, die ihr mich auf dieser meiner Pilgerreise
empfangen habt: dem Präsidenten Mahmoud Abbas und den anderen Vertretern des öffentlichen
Lebens; dem Patriarchen Fouad Twal, den anderen Bischöfen und den geistlichen Oberen
des Heiligen Landes, den Priestern, den braven Franziskanern, gottgeweihten Personen
und allen, die sich dafür einsetzen, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe in diesen
Gebieten lebendig zu erhalten; den Vertretern der Gläubigen aus Gaza, aus Galiläa
und den Migranten aus Asien und Afrika. Danke für Euren Empfang!
Das in
Bethlehem geborene Jesuskind ist dasZeichen, das Gott denen gegeben
hat, die das Heil erwarteten, und es bleibt für immer das Zeichen der Zärtlichkeit
Gottes und seiner Gegenwart in der Welt. Der Engel sagt zu seinen Hirten: »Das soll
euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden…« Auch heute sind die Kinder
ein Zeichen. Ein Zeichen der Hoffnung, ein Zeichen des Lebens, aber auch ein „diagnostisches“
Zeichen, um den Gesundheitszustand einer Familie, einer Gesellschaft, der ganzen
Welt zu erkennen. Wenn die Kinder angenommen, geliebt, behütet und beschützt werden,
ist die Familie gesund, wird die Gesellschaft besser und ist die Welt menschlicher.
Denken wir an das Werk, welches das Institut Effetà Paolo VI für taubstumme
palästinensische Kinder entfaltet: Es ist ein konkretes Zeichen der Güte Gottes. Es
ist ein konkretes Zeichen, dass sich die Gesellschaft verbessert.
Gott wiederholt
auch heute für uns Männer und Frauen des 21. Jahrhunderts: »Das soll euch als Zeichen
dienen«, sucht das Kind…
Das Kind von Bethlehem ist zart wie alle Neugeborenen.
Es kann nicht sprechen, und doch ist es das Wort, das Fleisch geworden und gekommen
ist, um das Herz und das Leben der Menschen zu verändern. Jenes Kind ist wie alle
Kinder schwach und bedarf der Hilfe und des Schutzes. Auch heute haben es die Kinder
nötig, angenommen und geschützt zu werden – vom Mutterschoß an.
Leider
gibt es in dieser Welt, welche die raffiniertesten Technologien entwickelt hat, noch
viele Kinder, die unter unmenschlichen Bedingungen an den Peripherien der großen Städte
oder in ländlichen Gebieten am Rande der Gesellschaft leben. Viele Kinder werden noch
heute ausgebeutet, misshandelt, versklavt, sind Opfer von Gewalt und gesetzeswidrigem
Handel. Zu viele Kinder sind heute aus der Heimat vertrieben und auf der Flucht, manchmal
in den Meeren untergegangen, besonders in den Fluten des Mittelmeers. Für all das
schämen wir uns heute vor Gott – vor Gott, der ein Kind geworden ist.
Und
wir fragen uns: Wer sind wir vor dem Kind Jesus? Wer sind wir vor den Kindern von
heute? Sind wir wie Maria und Josef, die Jesus aufnehmen und sich mit mütterlicher
und väterlicher Liebe um ihn kümmern? Oder sind wir wie Herodes, der ihn beseitigen
will? Sind wir wie die Hirten, die eilends gehen, die niederknien, um ihn anzubeten,
und ihre bescheidenen Gaben darbringen? Oder sind wir gleichgültig? Sind wir etwa
Phrasendrescher oder Frömmler, Menschen, welche die Bilder der armen Kinder zu Gewinnzwecken
ausnutzen? Sind wir fähig, bei ihnen zu sein, „Zeit zu verlieren“ mit ihnen? Verstehen
wir es, ihnen zuzuhören, sie zu behüten, für sie und mit ihnen zu beten? Oder vernachlässigen
wir sie, um uns mit unseren Geschäften zu befassen?
»Das soll uns als Zeichen
dienen: Ihr werdet ein Kind finden…« Vielleicht weint jenes Kind; weint, weil es Hunger
hat, weil es friert, weil es in den Armen liegen möchte… Auch heute weinen die Kinder,
sie weinen viel, und ihr Weinen fragt uns an. In einer Welt, die täglich tonnenweise
Nahrungsmittel und Medikamente wegwirft, gibt es Kinder, die vor Hunger oder aufgrund
von Krankheiten, die leicht zu heilen wären, vergeblich weinen. In einer Zeit, die
den Schutz der Minderjährigen proklamiert, werden Waffen gehandelt, die in den Händen
von Kinder-Soldaten landen; werden Produkte gehandelt, die von kleinen Sklavenarbeitern
verpackt sind. Ihr Weinen ist unterdrückt: Das Weinen dieser Kinder ist unterdrückt.
Sie müssen kämpfen, müssen arbeiten, sie dürfen nicht weinen! Doch um sie weinen die
Mütter, Rahel von heute: Sie beweinen ihre Kinder und wollen sich nicht trösten lassen
(vgl. Mt 2,18).
»Das soll euch als Zeichen dienen«: findet ein Kind.
Das in Bethlehem geborene Jesuskind, jedes Kind, das in jedem Teil der Welt geboren
wird und heranwächst, ist ein diagnostisches Zeichen, das uns erlaubt, den Gesundheitszustand
unserer Familie, unserer Gemeinschaft, unserer Nation zu überprüfen. Aus dieser klaren
und aufrichtigen Diagnose kann ein neuer Lebensstil hervorgehen, wo die Beziehungen
nicht mehr durch Konflikt, Unterdrückung und Konsumismus bestimmt sind, sondern Beziehungen
der Brüderlichkeit, der Vergebung und der Versöhnung, des Teilens und der Liebe sind.
O
Maria, Mutter Jesu, die du ihn aufgenommen hast, lehre uns aufnehmen; die du
ihn angebetet hast, lehre uns anbeten; die du ihm nachgefolgt bist, lehre uns nachfolgen.
Amen.