Nigeria: Afrikanischer Schulterschluss gegen Boko Haram "wird Erfolg haben"
In Nigeria bleiben
die mehr als 200 entführten Schulmädchen verschwunden. Die schleppend anlaufende Arbeit
der Politik und der Sicherheitskräfte hat zu internationalem Protest und einer Welle
der Solidarität mit den Mädchen und ihren Familien geführt – und das hat sein Gutes.
Denn vier afrikanische Anrainerstaaten von Nigeria haben nun mit Nigeria Zusammenarbeit
im Kampf gegen Boko Haram vereinbart: Kamerun, Niger, Benin und Tschad. Das Abkommen
wurde in Paris auf Einladung des französischen Präsidenten Francois Hollande eingefädelt.
In Nigeria erreichten wir Obiora Ike. Der Generalvikar der Diözese Enugu und Fachmann
für interreligiöse Friedensarbeit räumt dem afrikanischen Schulterschluss gegen die
islamistische Terrorsekte großes Potential ein.
„Die Bekämpfung des Terrorismus
weltweit ist eine gemeinsame Sache. Inzwischen wissen wir von der Erfahrung der USA,
Europas und anderer Länder, dass Terrorismus weltweit nicht allein bekämpft werden
kann. Nigeria, ein riesiges Land, hat im Nordosten eine Grenze mit Kamerun, Niger,
Tschad und nicht weit von dort ist sogar noch Sudan und die Zentralafrikanische Republik.
Es gibt eine islamistische Bewegung in Darfur, eine andere in Mali. In diesen Wüstengegenden,
wo Armut vorhanden ist und islamischer Fundamentalismus herrscht, floriert auch der
Zugang zu al Kaida-ähnliche Gruppen, wozu auch Boko Haram gehört. Wenn die Länder,
die in dieser Gegend leben um Tschad herum, in Paris wie vorgesehen eine Abmachung
treffen, dann wird das riesige Erfolge haben. Dann wird es die terroristische Bewegung
unterminieren, weil damit haben sie keine ausländische Kraft, wenn die Länder sich
einig werden und zusammenarbeiten.“
Die tragische Entführung der Schulmädchen,
die schon vor vier Wochen stattfand, habe wenigstens zu einem positiven Einschreiten
geführt, sagt Ike. Der katholische Priester sitzt auch in einer Untersuchungskommission
des nigerianischen Präsidenten Goodluck Jonathan, die Licht in die Hintergründe der
Entführung bringen soll. Dass nun die gesamte westliche Welt „Bring back our girls“
skandiert, sei ein Zeichen des Aufwachens.
„Das stimmt – die westlichen
Länder schlafen, was Afrika angeht. Sie haben kein starkes Interesse an Afrika, außer
wirtschaftliche. Ich bin froh, dass westliche Länder endlich einmal durch Druck und
unsere Mädchen Interesse haben. Wobei das auch noch ein Politikum ist, denn wir wissen
nicht genau, wie es zu dieser Entführung überhaupt gekommen ist.“
Dass
das afrikanische Abkommen gegen Boko Haram auf Vermittlung Frankreichs zustande kam,
fällt aus Ikes Sicht nicht unter Einmischung. Bloß fundamentalistische Kreise würden
das so sehen – sie hätten Interesse daran, dass alles beim Alten bleibt.
„Terrorismus
hat nicht mit Einmischung zu tun. Als Amerika von Bin Laden attackiert wurde, hat
man eine Kommission der Willigen gemacht. Terrorismus geht alle an. Nigerianer sind
aufgeschlossen, aber Islamisten in Nigeria wollen es nicht – und darum geht es. Nigeria
ist ein land mit Muslimen und Christen, viele muslimische Politiker wollen nicht,
dass Amerika oder westliche Länder in unsere Sicherheitssachen eingreifen. Aber gerade
auf ihrem Gebiet ist Terrorismus stark. Daher muss man fragen: Warum wollen sie es
nicht? Wollen sie Boko Haram weiterhin schützen? Sind sie selbst Boko Haramisten?
Es geht um Menschen, es geht nicht um Politik in diesen Fragen.“
Bei der
Suche nach den verschleppten Schülerinnen helfen bereits die USA, Großbritannien und
Frankreich. Washington schickte ein Expertenteam nach Nigeria, Frankreich eine Gruppe
von Geheimdienstfachleuten. Die nigerianische Regierung lehnt Verhandlungen mit Boko
Haram über die Freilassung der Schülerinnen bisher ab.
Doppeltes Attentat
in Jos: „Ein sehr harter Schlag“
Trotz der internationalen Mobilisierung
führt Boko Haram weiter blutige Attentate in Nigeria durch. Die Terrorgruppe steht
offenbar auch hinter dem Doppelanschlag vom Dienstag in Jos: Mindestens 118 Menschen
starben bei den zwei Explosionen in der Hauptstadt des Bundesstaates Plateau, der
genau auf der Bruchlinie zwischen dem eher muslimischen Norden und dem eher christlichen
Süden Nigerias liegt. Von einem „sehr harten Schlag“ spricht der Erzbischof von Jos,
Ignatius Ayau Kaigama, er fühle „eine unendliche Traurigkeit“. Sehr vieles, was in
den letzten Jahren an Friedensbemühungen geleistet sei, liege jetzt in Trümmern, so
Kaigama, der auch die nigerianische Bischofskonferenz leitet.
Nach seiner
Beobachtung wird die Gewalt „systematischer“: Boko Haram wolle offenbar „Chaos säen,
ein nationales Desaster“, und zwar nur, „um Aufmerksamkeit zu erregen“. Die Bergungsmaßnahmen
in Jos werden an diesem Mittwoch fortgesetzt, in den nicht betroffenen Stadtvierteln
„geht das Leben seinen normalen Gang“, berichtet Erzbischof Kaigama: „Die Leute haben
viel erlitten und Antikörper gegen die Gewalt gebildet.“