Anti-Folter Anhörung: Kirche will Glaubwürdigkeit zurückgewinnen
Als konstruktiven
Dialog mit wichtigen Klärungen beschreibt der Vatikanvertreter bei der UNO in Genf,
Erzbischof Silvano Tomasi, die gemeinsame Sitzung des UN-Antifolterkomitees und der
Vatikandelegation Anfang dieser Woche. Dabei hat der Heilige Stuhl zum ersten Mal
einen Rechenschaftsbericht zur Anwendung der Antifolterkonvention vorgelegt. Defensiv
ist die Vatikandelegation in Genf jedenfalls nicht aufgetreten – so hatte Tomasi vor
dem Komitee explizit die Erfolge der katholischen Kirche im Kampf gegen Gewalt und
sexuellen Missbrauch aufgezählt. Dabei hatte er am Dienstagnachmittag neue Zahlen
zu Missbrauchsfällen in der Kirche vorgelegt, die in den letzten zehn Jahren an die
Glaubenskongregation gemeldet worden waren. Im Anschluss sagte der Vatikanvertreter
gegenüber Radio Vatikan:
„Der wichtigste Punkt: Man muss die Experten
davon überzeugen, dass die Kirche, der Heilige Stuhl und die Bischofskonferenzen,
die Kirche generell, seit zehn Jahren an vorderster Front steht, um jeden sexuellen
Missbrauch Minderjähriger zu bekämpfen, den Opfern zu helfen und diejenigen zu bestrafen,
die schuldig sind. Wir wollen nicht, dass sich der Eindruck festsetzt, die Kirche
habe nicht genug getan und habe das Problem nicht konfrontieren wollen. Deshalb ist
es notwendig gewesen, genaue Zahlen zu nennen und die Aktivität der Glaubenskongregation
zu demonstrieren, die von 2004 bis 2013 848 Kleriker in den Laienstand zurückversetzt
hat. Zu zeigen also, wie ernst unser Wille ist, diesem Verbrechen ein Ende zu setzen
und das Möglichste zu tun, um es zu verhindern.“
Insgesamt wurden in
den letzten zehn Jahren 3.420 „glaubwürdige Beschuldigungen“ von Klerikern wegen sexuellen
Missbrauchs von Minderjährigen an die vatikanische Glaubenskongregation gemeldet,
referierte Tomasi vor dem UNO-Komitee. Die Beschuldigungen bezogen sich auf Missbrauchsfälle,
die sich in den 1950er, 60er, 70er und 80er Jahren ereignet hätten, so Tomasi. Neben
den 848 entlassenen Geistlichen seien 2.572 mit anderen Strafen belegt worden, berichtete
der Erzbischof weiter.
Laut Titel des Genfer Anti-Folter-Komitees ging
es dort um Folter, nicht um sexuellen Missbrauch von Kindern – dieses Thema hatte
der Vatikan bereits vor einigen Wochen ausführlich vor dem Kinderschutzkomitee der
Vereinten Nationen besprochen. Dass sich die Diskussion in Genf jetzt aber stark auf
sexuellen Missbrauch und Pädophilie verengte, sei allerdings „absehbar“ gewesen, so
Tomasi. Die Antifolterkonvention schließt neben systematischer, politisch motivierter
Folter und Anwendung der Folter als Erpressung auch „andere grausame, unmenschliche
und herabwürdigende Behandlungen“ ein. Also auch sexuellen Missbruach? Dazu präzisierte
Tomasi:
„Nicht jede Aktivität im Bereich sexueller Missbrauch ist ,Folter’,
aber in der Konvention wird unter Artikel 16 klar gesagt, dass unmenschliche und demütige
Behandlungsweisen in diese Konvention gehören. Es ist also auf der einen Seite legitim,
dass die Experten dieses Thema berühren. Auf der anderen Seite muss man darauf bestehen,
dass keine neuen Verbrechen hinzugefügt werden, die nicht in der Konvention selbst
aufgeführt sind, und dass zum Beispiel zwischen der Kinderrechtskonvention und der
Antifolterkonvention klar unterschieden wird."
Nocheinmal betonte Tomasi
die rechtlichen Zuständigkeiten im Fall sexuellen Missbrauchs durch Kleriker.
„Alle Kleriker werden als Verantwortliche betrachtet, die an die Rechtsprechung
des Heiligen Stuhls gebunden sind, auch wenn der Einfluss des Heiligen Stuhles über
den Klerus in Ländern wie USA, Italien oder Irland nicht gesetzlicher Art ist, weil
eben nur der Staat, in dem diese leben, sie verfolgen und als Schuldige vor Gericht
stellen kann. Nichtsdestotrotz denke ich, dass man die Frage akzeptieren muss, wie
sie gestellt wurde.“
Kann man sexuellen Missbrauch also als Folter
werden? Abgesehen vom Empfinden des Opfers kann freilich die Motivation der Tat nicht
ausgeklammert werden. Darauf verwies die Irin Mary Collins, bekannte Fürsprecherin
von Opfern sexuellen Missbrauchs durch Kleriker und Mitglied im neuen vatikanischen
Kinderschutzkommitee, in der vergangenen Woche vor Journalisten in Rom. Collins hat
selbst in der Vergangenheit Missbrauch erfahren und bezeichnet sich als „Überlebende".
„Viele Überlebende (von Missbrauch, Anm.) würden sicher sagen, dass Missbrauch
Folter ist, aber es handelt sich um eine ganz anderes Phänomen, das insgesamt unterschieden
ist von der Definition der Vereinten Nationen, nach der Folter im Allgemeinen eine
staatlich motivierte Folter meint. Ich glaube also, dass das in keiner Weise mit der
Arbeit verbunden ist, die wir tun.“
Im Sinne der UN-Antifolterkonvention
bezeichnet der Ausdruck „Folter“ „jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich
große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden“ oder durch
andere zugefügt werden lassen - zum Beispiel „um von ihr oder einem Dritten eine Aussage
oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr
oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern
oder zu nötigen.“