Bodenkuss und Weltreisen: Medienpapst Johannes Paul II.
Bodenkuss, Papamobil, Weltreisen: Papst Johannes Paul II. gilt als der Papst, der
wie keiner vor ihm die Medien und die Auftritte für seine Anliegen zu nutzen wusste.
Petra Dorsch-Jungsberger hat sich wissenschaftlich mit dem Medienpapst auseinandergesetzt,
sie ist emeritierte Kommunikationswissenschaftlerin an der Uni München. Das Interview
haben wir anlässlich der Seligsprechung geführt, zur Heiligsprechung bieten wir noch
einmal einen Blick auf „antäische Magie“ und den Wunsch des Papstes, nicht von oben
auf die Menschen herab zu sprechen.
Was von Papst Johannes
Paul II. am meisten in Erinnerung bleiben wird, das sind die Fernsehbilder: Der Papst
in der Öffentlichkeit, der Papst auf seinen Reisen, der Papst und die Symbolkraft
dessen, was er tut.
„Sehr vieles, denke ich, ist inszeniert. Dieses Bild
von Mutter Teresa und dem Papst, das ja sehr verbreitet worden ist, das ist natürlich
inszeniert, weil es eine feststehende Geste ist. Der Bodenkuss dagegen,
das ist seine eigene „Erfindung“. Keiner weiß, wie er darauf gekommen ist, den Bodenkuss
zur Initialgeste eines jeden Besuches zu machen. An sich ist das ja eine ganz heidnische
Szene. Die Geste enthält die antäische Magie; das entstammt dem Epos des Herkules,
der sich als Gegener diesen Antäus ausgewählt hatte, weil er ihn um die Möglichkeit
beneidete, seine körperlichen Kräfte jeweils dadurch zu aktivieren, dass er seine
Mutter Gaia, die Erde, küsste. Ich habe mich immer darüber gewundert, dass er diese
antäische Magie übernommen hat. Aber es ist ja sehr effektvoll, es ist ein großer
Effekt. Da schreitet jemand die Treppe in einem weißen Gewand herunter,
dann ist da der rote Teppich, dann kniet er erst einmal nieder und küsst die Erde.
Das ist eine sehr schöne Szene.“
Sie sprechen in ihren Überlegungen zum
Papst von so genannten ‚Schemabildern’, sie ab- und aufgerufen werden. Was meinen
sie damit?
„Schemabilder – oder zumindest ein Teil dieser Schemabilder –
sind archetypische Bilder, wie zum Beispiel die Mutter Gottes mit dem Kind oder das
Abendmahl. Die Schemabilder sind daraus abgeleitet. Wenn ein weiß gekleideter Mann
oben auf einer Gangway steht, dann ist auch das schon ein Schemabild. Schemabilder
sind natürlich auch die Kommunikationsbilder, wenn der Papst Kindern das Haupt streichelt,
dann haben wir hier einen Archetypos: Jugend und Alter, Reife und Werden, Gegenwart
und Zukunft. So lassen sich noch viele andere Bilder mit Hilfe dieser Instrumente
analysieren.“
Sie sprechen von Inszenieren, das ist ja auch eine Kommunikationsform,
eine Art zu sprechen ohne Worte zu benutzen. Würden sie sagen, dass Johannes Paul
die Bilder ganz bewusst als Kommunikation eingesetzt hat?
„Ganz bestimmt
hat er das. Schon die Auswahl der Bilder spricht dafür, dass er sie auch als ein Instrument
seiner Öffentlichkeitsarbeit betrachtet hatte, insofern als er sich in ganz bestimmten
Bildern bei den Betrachtern vertraut machen wollte. Er wollte sympathisch erscheinen.
Mit den Ski-Bildern wollte er die Brücke zum normalen Alltag eines Ski-fahrenden Menschen
schaffen. Mit den Wander-Bildern wollte er die Brücke schlagen zu all denen, die auch
wandern. So entsteht eine Art sozialer Interaktion allein über die Bilder,
um die Schwellen, die dazwischen liegen, zu beseitigen.“
Also ist es nicht
so, dass das Bild eine Oberfläche bietet, die man nicht durchdringen kann, sondern
ein Beziehungsangebot, ein Gesprächsangebot.
„Genau. So sehe ich das. Vorher
hatte es das ja nie gegeben. Haben Sie vorher schon einmal einen Papst in einem Ski-Outfit
gesehen? Oder in Wanderkleidung? Oder auch die Jugendbilder des Karol Wojtyla:
Dieses wirklich sehr eindrucksvolle Bild, wo er als Minenarbeiter mit nacktem Oberkörper
vollkommen lässig an irgendein Gerät gelehnt dasteht; nicht anders als James Dean
seinerzeit, als Schema für die aufmüpfige Jugend, ein Bild, was bis heute kursiert.
Ich denke, dass das Absicht war, das ist persönliche Bildpolitik gewesen. So wollte
er erscheinen, so wollte er bekannt sein: Jemand, der Brücken schlägt. Er
wollte nicht, wie es in den vorhergehenden Pontifikaten überwiegend der Fall gewesen
ist, von oben herab zu den Menschen sprechen, sondern er wollte ihnen das Zeichen
geben, dass er sich in vieler Hinsicht auf ihrem Niveau bewegt und dass er sich mit
ihnen in einen symbolischen Dialog begeben will. ‚Dialog’ war ein wichtiger Begriff,
aber was darunter zu verstehen war, wurde eigentlich vom Papst bestimmt. Er bestimmte,
was Dialog ist.“
Einer der Grundsätze der Kommunikationswissenschaft sagt,
dass das Medium schon die Botschaft ist. Gehört das auch in die Kommunikation von
Johannes Paul II., dass in dem Bild, in dem Auftritt, allein schon die Botschaft liegt?
„Das
Fernsehen ist in diesem Fall sicher ein großer Teil der Botschaft, weil ohne das Fernsehen
diese Veranstaltungen ganz anders ausfallen würden. Mit dem Fernsehen sind die Dimensionen
in jedem Fall andere. Von da her ist das, was durch das Fernsehen passiert, medienspezifisch
und medienlogisch. Um auf ihre Frage zurück zu kommen würde ich auch sagen, dass das
Fernsehen ein Teil der Botschaft ist. Denn ohne Fernsehen könnten sie so ein Gemeinschaftsgefühl,
wie es sich ja aus den vielen Übertragungen aus den entferntesten Orten der Welt ergeben
hat, gar nicht erzeugen. Man hat es genossen und man hat sich als Teil der Besucher
empfunden.“
Abgesehen von der Gemeinschaftsbildung: Was ist noch die Botschaft,
die in den Bildern liegt?
„An erster Stelle symbolisiert er natürlich die
Nachfolge Petri und den Stellvertreter Gottes auf Erden, den guten Hirten, aber natürlich
auch den Lehrer. Er ist viele Rollen in einer Person. Je nach Situation wird dann
die eine oder die andere Rolle verstärkt. Manchmal gibt es auch Rollen, die sich verbinden,
zum Beispiel bei kirchlichen Gesten. Man kann den transzendenten Hintergrund
dieser Bilder, wenn man katholisch ist, wenn man gläubig ist, gar nicht beiseite schieben.“
Der
Vatikan funktioniert ja schon seit Jahrhunderten durch die Wiederholung des Immergleichen,
Johannes Paul hat seine Akzente aber unter anderem dadurch gesetzt, dass er sich nicht
daran gehalten hat. Beginnend mit der Ansprache nach dem ersten Segen vom Balkon von
Sankt Peter, wo er von „unserer gemeinsamen italienischen Sprache“ redet und die Worte
„habt keine Angst“ findet. Er hält sich nicht an die Regeln. Er spielt mit dem Charme
und scheint zu sagen, dass er dem Vatikan etwas Menschliches bringen will. Ist das
etwas Faszinierendes gewesen, dass er die Mauern sozusagen durchlässig gemacht hat?
„Das
war das Allergrößte. Die vorhergehenden Päpste waren ja im Vergleich Statuen. Das
Erfrischende war ja gerade, dass jetzt plötzlich ein Papst da war, der plötzlich ganz
wichtige Dinge anders gemacht hat, der sich anders bewegt hat und der eine Mimik gezeigt
hat, die jedem klar gemacht hat, dass da ein Mensch ist: Da lacht einer, da fabuliert
jemand, da spielt jemand, da kommuniziert jemand mit allen möglichen Leuten, und zwar
mit Händen und mit Ausdruck, mit immer wieder veränderten Kopfhaltungen, spitzbübisch
oder auch traurig. Es war dieser vielfältige menschliche Ausdruck, der sofort
angesprochen hat. Er war ja auch gerichtet. Genau das ist dieses Charisma: Er strahlt
etwas sehr menschliches aus. Das war ihm im Übermaß gegeben. Das hat er
sicher auch manchmal gezielt eingesetzt. Aber diese Ausstrahlung war etwas ganz Neues.
Daran hat man sich gefreut und viele haben sich davon angesprochen gefühlt.“
Papstspezialisten
und Journalisten sagen, Papst Benedikt sei ein Papst zum Hören und Johannes Paul sei
ein Papst zum sehen gewesen, sie bedienten zwei völlig verschiedene Medien. Johannes
Paul hat ja auch nicht wenige Texte hinterlassen, auch kraftvolle Texte, zum Beispiel
in den Enzykliken. Sind die Bilder stärker als das, was er gesagt hat?
„Ich
denke, was als Faszinosum dieses Papstes Johannes Paul II. bleibt, das ist eben das
Charismatische. Das verdeckt auch vieles, was man an Kritik vorbringen könnte. Was
nun Benedikt XVI. anbetrifft, es ist ja nicht so ganz einfach, seine Texte zu verstehen.
Man muss schon bereit sein, sich darauf einzulassen. Ich denke, wenn man ihn hört,
dann ist auch das keine leichte Aufgabe, denn man muss wirklich sehr genau zuhören.
Es gibt viele Gedankenkonstruktionen, die einem Laien nicht vertraut sind. Da würde
ich mir im Moment noch kein Urteil erlauben, was Papst Benedikt kommunikativ gesehen
am Besten beschreibt.“