Angesichts der gespannten
Lage in der Ostukraine hat Interimspräsident Alexander Turtschinow eine Volksabstimmung
über eine Föderalisierung des Landes vorgeschlagen. Hintergrund ist die Forderung
prorussischer Aktivisten, im Osten der Ukraine eine autonome Region zu schaffen oder
die Ostukraine an Russland anzuschließen. Tutschinow ist offenbar zuversichtlich,
dass sich die Mehrheit der Ukrainer bei einem solchen nationalen Referendum für eine
unteilbare und geeinte Ukraine aussprechen würde. Ähnlich sieht das der Präsident
der Caritas-Spes Ukraine, Weihbischof Stanislaw Szyrokoradiuk. Er glaubt nicht, dass
der Ostukraine ein Schicksal wie der Krim droht.
„Nein – weil auf der Krim
eine ganz andere Situation besteht. Dort lebten viele, viele Russen. Über 50 Prozent
der Bevölkerung auf der Krim hatten einen russischen Pass, und jetzt bekommen viele
Ukrainer ebenfalls einen russischen Pass. Das heißt, die Krim war immer sehr pro-russisch,
es gab einen großen russischen Einfluss. Aber in der Ost-Ukraine stimmt das nur teilweise.
Und deshalb ist diese gleiche Methode nicht mehr als ein Versuch. Russland möchte
das alles so machen wie auf der Krim, aber ich glaube, dass das nicht funktioniert.
Nur ein Teil der Bevölkerung unterstützt diese Politik. Andere stellen sich gegen
Putin und möchten die Unabhängigkeit von Russland.“
Diese Kontraste sorgen
in mehreren Städten der Ostukraine immer noch für Spannungen. Nach wie vor halten
prorussische Milizionäre Verwaltungsgebäude besetzt und machen anti-ukrainische Stimmung.
Immer wieder kommt es dabei zu Scharmützeln zwischen pro-russischen und pro-ukrainischen
Lagern in der Bevölkerung. In Kiew wurde am Montagabend ein pro-russischer Präsidentschaftskandidat
zusammengeschlagen. Der russische Präsident Wladimir Putin wies derweil erneut den
Vorwurf des Westens zurück, dass Russland hinter den separatistischen Unruhen in der
Ostukraine stecke. Wie ist zahlenmäßig das aktuelle Stimmungsbild in der ukrainischen
Bevölkerung? Dazu Caritas-Präsident Szyrokoradiuk:
„Das Verhältnis ist nicht
fifty-fifty. Vielleicht sind es 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung der östlichen und
südlichen Ukraine, die zu Russland wollen. Aber über 70 oder sogar 80 Prozent der
ukrainischen Bevölkerung möchte nach Europa. Das ist ein großer Erfolg: Erst vor zehn
Jahren war es noch umgekehrt. Heute ist der überwiegende Teil der ukrainischen Bevölkerung
eine andere.“
Die Caritas habe derzeit in der Ukraine alle Hände voll zu
tun, berichtet der Weihbischof weiter. Die Spannungen hätten die Armutsprobleme im
Land noch verstärkt.
„Vor allem durch die große Inflation, eine ungewöhnlich
große Inflation. Wir haben eine Sozialstation in Kiew. Und besonders jetzt, nach den
Protesten auf dem Maidan, ist sie voll. Viele Leute kommen und brauchen einfach Lebensmittel.
Wir packen viele Lebensmittelpakete, Kleidung, Schuhe, alles, was gebraucht wird,
medizinische Hilfe. Wir bekommen auch Spenden von verschiedenen Wohltätern, kaufen
davon Medikamente und verteilen sie in unseren Zentren. Und noch etwas: Viele brauchen
jetzt auch psychologische Hilfe. Viele Verletzte und Andere, die diese schwierige
Situation erlebt haben, brauchen psychologische Hilfe. Und das wird noch dauern. Ich
denke, mindestens noch ein oder zwei Jahre werden die Menschen darauf angewiesen sein.“ (domradio/rv
15.04.2014 pr)