Johannes
Fried, Karl der Grosse – Gewalt und Glaube, eine Biographie. Eine Besprechung von
Stefan von Kempis.
Auch wenn in diesem Jahr sein 1.200 Geburtstag begangen
wurde, wissen wir doch fast nichts über Karl den Großen. In direkter Rede sind von
ihm nur eine Handvoll Ausrufe überliefert, die ein eifriger Schreiber einmal sozusagen
mitstenografiert hat, und die Quellenlage ist sehr übersichtlich. Umso erstaunlicher
ist, was Johannes Fried, ein Doyen der verständlichen Mittelalter-Geschichtsschreibung,
aus den dürren Angaben gemacht hat: eine mehr als 700 Seiten starke Biografie. Und
das, obwohl wir – wie Fried freimütig einräumt – nicht wirklich wissen, wie Karl,
ja wie überhaupt Menschen seiner Zeit gedacht haben. Was sie ausmachte, was ihnen
wichtig war, was das „Maß ihrer Seele“ (eine häufige Formulierung) war. Zu unterschiedlich
war ihre, war seine Zeit von der heutigen.
Fried behilft sich, indem er Linien
aus der Zeit vor Karl und Linien aus der Zeit unmittelbar nach ihm sich an dieser
Jahrhundertwende um 800 kreuzen lässt. Gleichzeitig markiert er aber auch, wie sehr
die Menschen das Jahr 800 als Einschnitt, als Datum des wahrscheinlichen Weltuntergangs
angesehen haben. Dass Karl sich ausgerechnet am – nach damaliger Zählung – Vortag
des von vielen befürchteten Weltenendes die Kaiserkrone aufs Haupt setzen ließ, rückt
Fried entschlossen in eine Endzeit-Perspektive: Karl als der letzte Kaiser, der alles
zusammenführt, bevor Christus wiederkommt.
Vieles erstaunt an diesem Buch.
Etwa, wie sehr Karl vom Rom seiner Zeit beeindruckt war. Fried weist detailliert nach,
dass die Aachener Bauten des Kaisers den damaligen römischen Lateran-Komplex gewissermaßen
„kopierten“. Überhaupt erscheint Karl als nach den Maßstäben seiner Zeit tieffrommer
Herrscher und weniger als Kriegsherr: Als „gläubig, ernst und schlicht“ kennzeichnet
ihn der Historiker, er habe („anders als seine Ahnen“) in der Regel das Leben seiner
Gegner geschont. Deutlich wird, wie sehr die Unterstützung, die er dem wackeligen
Papsttum angedeihen ließ und die offenbar nicht nur Kalkül, sondern wirklicher Glaubensüberzeugung
geschuldet war, die Rolle des römischen Bischofs entscheidend gestärkt hat.
Manchmal
ist es etwas ermüdend, wie der Autor wichtige Erlasse Karls paraphrasiert; deutlich
wird dadurch immerhin, mit welcher Hartnäckigkeit und ständigem Einschärfen von Regeln
der „Imperator“ Ordnung in sein chaotisches, unübersichtliches Reich zu bringen versuchte.
Fried markiert sehr genau die Rückschläge, die Karl hinnehmen musste und die von den
Quellen meisterhaft vertuscht wurden.
Nach der Lektüre ist Karl immer noch
ein Rätsel: „Was war seine Mitte, er selbst? Wir wissen es nicht“, schreibt Fried
einigermaßen schonungslos. Das alte römische Reich habe er erneuern wollen, habe dabei
aber unabsichtlich etwas ganz Neues geschaffen. „Wir kennen nur Taten, die ihm zugeschrieben
wurden..., kennen zahlreiche Erlasse und seltene Worte, kennen einige seiner Getreuen
... mit Namen. Die Entwicklung der Persönlichkeit vom jungen König zum alten Kaiser,
der Einfluß der Berater – sie bleiben im dunkeln.“ Immerhin, so nahe wie hier kommen
wir nirgends an Karl den Großen heran.
Die Biographie ist im Beck Verlag
erschienen und kostet ca. 30 Euro.