2014-03-27 10:18:08

Ukraine: Die Werte des Maidan


RealAudioMP3 Das Augenmerk der Weltöffentlichkeit liegt auf der Krim; dabei gerät eine Geschichte in den Hintergrund, die direkt davor stattgefunden hat und mit dem Namen des Hauptplatzes in der Hauptstadt Kiew, dem Maidan, verbunden wird: wochenlange Proteste mit über achtzig Toten, die zuletzt im Sturz der Regierung und des Präsidenten mündeten. Während nun die Welt über die Absichten des russischen Präsidenten Putin rätselt, muss die Gesellschaft der Ukraine fertig werden mit den Ereignissen: Seit Ende November 2013 war auf dem Platz im Zentrum demonstriert worden, zuletzt mit über einer halben Million Menschen, Proteste, die dann in einen Bürgerkrieg zu eskalieren drohten, bis Präsident Viktor Janukowitsch die Flucht ergriff.

Andrij Waskowycz ist Präsident der Caritas Ukraine. Er sieht grundsätzlich einen Erfolg der Proteste, aber mit Blick auf die Toten beschleichen ihn doch Zweifel.

„Das sind sehr hohe Kosten... aber die Menschen, die auf dem Maidan gestanden haben, die standen dort mit großer Entschlossenheit und mit Mut, weil sie Veränderungen für ihr Land wollten und weil sie verhindern wollten, dass das Land sich in eine langjährige Diktatur verwandelt, dass eine Clique von eigentlich verbrecherischen Politikern an der Macht bleibt.“

Die Caritas kümmert sich nun um die langfristigen Folgen, besonders um die, die durch die Proteste und die Toten entstanden sind: Traumata und andere Verletzungen, die verarbeitet werden wollen. Aber was für die Einzelnen gilt, kann auch über die gesamte Gesellschaft gesagt werden.

„Die Ereignisse der letzten vier Monate, die Ereignisse des letzten halben Jahres haben das Land sehr stark verändert. In der Gesellschaft ist ein neues Bewusstsein zutage getreten. Und im Zentrum dieser Bewusstseinsveränderung steht, dass die Menschen verstanden haben, dass sie selbst Verantwortung übernehmen müssen für die Gestaltung ihres Lebens, aber auch für die Gestaltung ihrer Gesellschaft. Der Maidan war meines Erachtens keine Demonstration gegen eine Regierung, gegen korrupte Machthaber. Der Maidan war eine Demonstration für positive Werte, für Werte, die die Menschen verwirklicht sehen wollen in ihrer Gesellschaft. Und das ist erstaunlich: Wenn man diese Werte, die auf dem Maidan besprochen wurden, für die die Menschen eingestanden sind, analysiert, sind das die Werte, die in der christlichen Soziallehre vorkommen, die die Basis der christlichen Soziallehre bilden. Werte wie Solidarität, wie Subsidiarität, wie Gemeinwohl.“

Internationale Hilfe für die Ukraine sei schwer zu bekommen, die Ereignisse um den Maidan wie auch die Krise um die Krim hätten das gezeigt, so Waskowycz.

„Wir haben sowohl während des Maidan als auch jetzt gesehen, dass der Westen ziemlich langsam reagiert und es leider zum Blutvergießen kommen muss, damit der Westen reagiert. Wir glauben, dass die Sanktionen gegenüber Russland ein Mittel sind, um Russland sozusagen zur Vernunft zu bringen; um zu zeigen, dass die Kosten einer solchen Politik sehr hoch sein können. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Das Problem ist nur, dass die Europäische Union nicht mit einer Stimme spricht, sondern sehr stark an ihre eigenen Interessen denkt und deswegen nicht radikal genug Russland signalisiert, dass eine aggressive Politik seitens Russland große Konsequenzen haben wird für die Russische Föderation.“

In Deutschland hat der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Diskussion genau dazu entfacht, er hält in einem Beitrag für die Zeitung Die Zeit Sanktionen für „dummes Zeug“ und Präsident Wladimir Putins Verhalten für „verständlich“, Politiker aller Lager widersprechen ihm nun.
Für den Caritasdirektor Waskowycz zählt aber vor allem etwas anderes.

„Es ist etwas Erstaunliches: Die Bereitschaft heute zu Veränderungen ist sehr, sehr groß, die Bereitschaft, die Altlasten der Sowjetunion abzuwerfen, ist sehr, sehr groß in der Gesellschaft. Vor allem die Jugend will nicht mehr diesen sowjetischen Geist mittragen. Die Menschen wollen nach anderen Prinzipien leben, und sie akzeptieren es nicht, dass ein Obrigkeitsstaat, ein korruptes System den Weg dieses Landes bestimmen soll.“

Das Interview mit Andrij Waskowycz führte Nicole Stroth vom Erzbistum Freiburg.

(pm 27.03.2014 ord)








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