Christusfreundschaft: Zur Theologie eines Papstes ein Jahr nach seinem Rücktritt
Ein großer Theologe
auf dem Papstthron, jemand der die wirklich großen Worte und Ideen des Christentums
angefasst hat und das nicht nur als Professor oder als Präfekt der Glaubenskongregation,
sondern als Papst. Solche und ähnliche Urteile wurden im vergangenen Jahr immer wieder
über den emeritierten Papst gefällt.
„Ich glaube, dass Benedikt XVI. versucht
hat, in seinem Pontifikat auf die Glaubenskrise so zu reagieren, dass er zentrale
Glaubensbegriffe zu erläutern versucht hat, einerseits in den Enzykliken wie in Deus
Caritas es, wo er den Grundbegriff des Christentums – Liebe – vor dem Hintergrund
der abendländischen Debatte um Eros und Agape zu erläutern versucht.” Das sagt Jan-Heiner
Tück, Professor für Dogmatik an der Universität Wien. Er hat sich immer wieder mit
der Theologie Joseph Ratzingers / Benedikt XVI. beschäftigt. „Dann ist da die weitgehend
unterschätzte Enzyklika über die Hoffnung, wo er versucht, dem verglühten Erwartungspotential
einen Begriff christlicher Hoffnung entgegen zu setzen. Und dann ist da die Trilogie
der Jesus-Bücher, die das Christentum rück-erinnert an die Ursprungsgestalt Jesu Christi,
ein Projekt, das insgesamt gut aufgenommen wurde, wenn man von der Kritik der Exegeten
und Systematiker absieht. Der Grundduktus ist der, an die Ursprünge zu erinnern und
sie präsent zu halten.“ Ein ganz allgemeiner Überblick. Der Dogmatiker Tück hat einen
Sammelband herausgegeben, in dem verschiedenste Theologinnen und Theologen das würdigen,
was uns vom Pontifikat Benedikt XVI. bleibt.
Es ist nicht so einfach, das jetzt
zu tun, die Faszination für Papst Franziskus überdeckt vieles. Deswegen soll auch
zu Beginn die Frage erlaubt sein, ob wir nun auf dem Stuhl Petri eine neue Weise des
Denkens erleben. „Benedikt ist ein europäisch geschulter Theologe, während Franziskus
aus einem neuen Kontext, dem Lateinamerikas, stammt und ganz andere Erfahrungen einspielt.
Ich denke, dass er stärker pastoral orientiert, als es Benedikt je war. Aber ich wäre
vorsichtig, Keile theologischer Art zwischen beide zu treiben. Alleine die erste Enzyklika
von Franziskus, die sicherlich zu 90% Handschrift Benedikt ist, ist ein starkes Signal
der theologischen Übereinstimmung.“
Was für Prägungen bleiben? Wie
hat Benedikt XVI. die theologische Debatte geprägt? Was bleibt? Dazu mag es helfen,
auf die großen Linien zu schauen, die Anliegen des Papstes, die sich in vielen ‚kleinen‘
Ansprachen, also den Katechesen bei den Generalaudienzen oder Ansprachen vor Bischöfen
oder auch Predigten immer wieder gezeigt haben. Hier wollen wir uns aber ganz bewusst
die ‚großen‘ Texte vornehmen, das was viel Aufsehen erregt und an dem sich viele Debatten
entzündet haben. Professor Tück: „Wenn wir noch einmal bei den Jesusbüchern einsetzen:
Für ihn ist der dramatische Riss zwischen dem historischen Jesus und dem Christus
des Glaubens wie ihn die Kirche verkündet ein wichtiges Thema gewesen. Wenn die einseitige
historisch-kritische Methode Recht hat und die nachösterliche Bekenntnisbildung nichts
mit dem Selbstverständnis Jesu zu tun hat, dann rückt die ganze kirchliche Verkündigung
unter den Verdacht der Ideologie. Hier diesen Brückenschlag wieder herzustellen und
Momente im Selbstverständnis Jesu aufzuweisen, die in Übereinstimmung stehen zur nachösterlichen
Verkündigung und damit auch zur Kirchlichen Lehrbildung, war ihm ein ganz wichtiges
Anliegen. Pastoral gesprochen: Er will deutlich machen, dass Jesus nicht nur eine
Gestalt der Vergangenheit ist, sondern eine Gestalt, die auch heute Gegenwart prägen
kann, wenn man sich denn darauf einlässt. Daher im Vorwort die Bemerkung, er wolle
zur „Christusfreundschaft“ einladen. Freundschaft heißt, dass man in der Gegenwart
die Relevanz des Anderen sieht und wertschätzt und sich dafür Zeit nimmt.“
Dabei
liegt genau hier einer der Vorwürfe gegenüber Benedikt XVI.: Der Christus der Kirche
überlagere den Jesus der Geschichte. „Es gab natürlich die Kritik, dass er den dogmatischen
Christus im Hinterkopf hat, wenn er die Stadien des Lebens Jesu beschreibt,“ stimmt
Jan-Heiner Tück zu, fügt dann aber an: „Ich wäre da vorsichtig. Das Jesus-Buch ist
ein ganz eigenes Genus, es ist weder ein Evangelien-Kommentar noch eine dogmatische
Christologie. Es versucht, in Anknüpfung an Thomas von Aquin die alte Gattung der
Mysterien des Lebens Jesu neu zu beleben und dies durchaus auch im Gespräch mit der
Exegese. Er versucht das Leben Jesu so zu erzählen, dass es für den heutigen Leser
in seiner Relevanz deutlich wird. Letztlich steckt dort ein mystagogisches Interesse
dahinter, nämlich in die intensivere Begegnung mit Jesus Christus einzuführen.“
Aber
die Jesusbücher sind ja nicht die einzigen theologischen Wegmarken, die das Pontifikat
Benedikts uns hinterlassen hat. Die meiste Aufmerksamkeit in der jeweiligen aktuellen
Berichterstattung hatten die Reden des Papstes, von denen einige sicherlich bleiben
werden, über die damalige Zusammenhänge hinaus: Paris und London seien genannt, Jan-Heiner
Tück weist noch auf andere, große Ansprachen hin, die das Pontifikat auch theologisch
und intellektuell geprägt haben. „Einerseits die berühmte Vorlesung über die Synthese
von Glaube und Vernunft in Regensburg, die meines Erachtens zu Recht zwei Pathologien
erwähnt: Die Pathologie des Glaubens, wo er sich gegenüber der Vernunft abkapselt
und Religion so fanatisch wird. Auf der anderen Seite ist da die Pathologie der Vernunft,
die sich quasi gegenüber den Religionen taub stellt und ihnen jede Bedeutung für die
Selbstverständigung des Menschen abspricht. Auf dem Hintergrund dieser extremen Spielarten
versucht er, das Programm einer Synthese zwischen Glaube und Vernunft stark zu machen.
An dieser Synthese Glaube – Vernunft kommen wir nicht vorbei, auch wenn wir die Begriffe
vielleicht etwas anders bestimmen, als er es getan hat.“ Das war aber nicht das, wofür
die Rede berühmt wurde. Stattdessen war es ein einziges Zitat, der der Papst in die
Rede aufgenommen hatte, das dann für Monate für Debatte sorgte, leider nicht über
Glauben und Vernunft.
Regensburg, Ausschwitz, Freiburg, Berlin „Dann
gibt es natürlich die Rede in Ausschwitz, die ich auch für wichtig halte, wo er im
Rückgriff auf die Gebetssprache Israels versucht hat, als Papst aus dem Land der Täter
kommend einen Zugang zu diesem Grauen zu finden und auch seine Erschütterung bekannt
hat und noch einmal bekräftigt, dass das Judentum zur Wurzel des Christentums gehört.
Jede Form des Antisemitismus stellt letztlich eine Form des Anti-Theismus dar: Der
Augapfel Gottes selbst wird tangiert, wenn die Söhne und Töchter des erwählten Volkes
diskriminiert und verfolgt werden. Das ist meines Erachtens nach ein starker Gedanke,
der der Dimension um den Antisemitismus noch einmal eine theologische Tiefendimension
gibt. Wer das erwählte Volk antastet, tastet letztlich den erwählenden Gott an. Das
ist die Grundbotschaft, die in den Medien kaum angemessen kommuniziert wurde.“
Bereits
Ausschwitz hatte sehr deutlich mit Deutschland zu tun, noch klarer wurde es bei zwei
Reden, die der Papst in seiner Heimat selbst gehalten hat, fügt Tück an: „Die Freiburger
Rede mit dem programmatischen Wort der Entweltlichung, das durch Franziskus jetzt
nochmal eine neue semantische Kontur bekommen hat, damals aber großen Anstoß erregt
hat. Aber auch hier ist eigentlich die Intention die, wie wir heute das Evangelium
glaubwürdiger in eine postsäkulare Gesellschaft hinein tragen. Blockieren uns hier
nicht teilweise angestammte Privilegien? Das kann natürlich weitgehende Konsequenzen
haben, dazu hat Benedikt geschwiegen, insofern war die Debatte darum dann wichtig.
Schließlich ist da die Berliner Rede [vor dem Bundestag], in der er versucht hat,
das Verhältnis zwischen säkularer Rechtstaatlichkeit und Religion noch einmal neu
zu bestimmen.“
Es sei gar nicht so einfach, Joseph Ratzinger bzw. Benedikt
XVI. auf einen Generalnenner zu bringen, sagt Tück. „Es gibt Motive, die sich immer
wieder durchhalten wie etwa die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Vernunft,
die Frage nach dem Verhältnis von aufgeklärter, neuzeitlicher, moderner Kultur und
biblisch, kirchlich, theologischer Tradition.“ Ist Benedikt XVI. dann das, was viele
ihm zuschreiben, aus Kenntnis oder auch aus Unkenntnis, ein bedeutender Theologe auf
dem Stuhl Petri? Noch einmal Theologieprofessor Jan-Heiner Tück: „Die Herausgabe der
gesammelten Schriften zeigt schon, dass Joseph Ratzinger zu den bedeutenden Theologen
des 20. Jahrhunderts zählt. Gerade die frühen Stellungnahmen zur Ekklesiologie, die
Rückblicke auf die vier Sitzungsperioden des Konzils, sind von einer solchen Klarheit,
das erkennen auch Kritiker an, dass das bedeutende Beiträge sind. Ich glaube auch,
dass seine Eschatologie und seine Einführung ins Christentum, auch seine Jesusbücher
bei aller kontroversen Diskussion, Dinge sind, die er in die Waagschale geworfen hat
und mit denen sich auch künftige Theologinnen und Theologen noch beschäftigen werden.“