Volker Schlöndorff
ist einer der bedeutendsten und international erfolgreichsten deutschen Regisseure.
Er besitzt eine ausgeprägte Vorliebe für Verfilmungen deutscher und internationaler
Literaturklassiker. Mit Begeisterung widmet er sich Werken, die als unverfilmbar gelten
und macht sie dem breiten Publikum zugänglich und verständlich. Doch auch gesellschaftskritische
Arbeiten gehören zu seinem überreichen Repertoire. Alle seine Filme – und es sind
viele - sind anspruchsvoll, bildend und gleichzeitig unterhaltend. Volker Schlöndorff
wurde am 31. März 1939 in Wiesbaden geboren – wir gratulieren zu seinem 75. Geburtstag.
Seine früheste Kindheit wurde von einem überaus tragischen Ereignis überschattet:
Als 5-Jähriger mussten er und sein kleiner Bruder miterleben, wie ihre Mutter einen
Flammentod erlitt. Wie sich dieses Drama auf seinen späteren Lebenslauf und auf seinen
Berufsweg ausgewirkt hat, ist Aldo Parmeggianis erste Frage an Volker Schlöndorff.
„Ja,
damals als Kind und auch als heranwachsender Jugendlicher war mir das nicht bewusst.
Erst im Rückblick – jetzt werde ich 75 – merkt man auf einmal, wenn sowohl in meinen
Leben als auch vor allen Dingen bei meinen Filmen und was ich geschrieben habe, dass
das im Grunde alles unter dem Zeichen dieses Todes steht, die ganze Kreativität ist
davon beeinflusst.“
Was hat Sie in der Jugend, in der Studentenzeit besonders
geprägt?
„Eine Etappe ist hier ganz wichtig zu nennen: ich bin auf ein
Kollegium, ins Internat der Jesuiten Saint Francois Xavier in Frankreich zur Schule
gegangen und habe dort Abitur gemacht. Und das war für mich das prägendste Erlebnis
überhaupt. Denn ich sollte nur drei Monate bleiben und habe mich – wie wohl Protestant
– sehr wohl gefühlt bei den Pères Jésuites und bin im Grunde deshalb in Frankreich
geblieben und ein halber Franzose geworden. Und es waren die Jesuiten, die meine Liebe
zum Film, zum Schauspiel geweckt haben, denn wir hatten in der Schule einen Filmclub
und einen Theaterverein, da habe ich zum ersten Mal Theater gespielt und Regie beobachtet,
die Réverend Père de Solage führte, und das hat im Grunde die Lust geweckt. Und die
haben mich ermutigt, das ernst zu nehmen.“
Später absolviert Schlöndorff
an der Pariser Universität Sorbonne das Studium der Politikwissenschaften bis zum
Staatsexamen. Gleichzeitig besucht er in dieser Zeit täglich die „Cinémathèque française“
und lernt dort berühmte Regisseure wie etwa Louis Malle und den jüngst verstorbenen
Alain Resnais kennen. Sein Berufsbild beginnt sich allmählich vorzuzeichnen. Ein Traum
wird langsam Wirklichkeit. Statt Arzt, wie es sein Vater war und seine Brüder sind,
wird er Filmregisseur. Und beginnt einen steilen Weg. Wann haben Sie das erste Mal
genau gespürt: dass Sie auf dem richtigen Weg sind, dass der Film Ihr Lebenszweck
sein wird?
„Das ging sehr schnell. Da war ich gerade einmal 21 Jahre alt
und war bereits zweiter Regieassistent von Alain Resnais im Film ‘Letztes Jahr in
Marienbad’. Es gab von dem Moment an keinen Zweifel, dass ich diesen Beruf wählen
würde. Ob ich dann selbst auch Regie führen kann, das war eine andere Frage. Ich hätte
aber jeden Beruf innerhalb der Filmwelt gemacht.“
Herr Schlöndorff, jeder
Künstler muss zuerst sein Handwerk erlernen. Dann aber beginnen die entscheidenden
Schritte, bis hin zur Meisterschaft oder gar zur Virtuosität und Einmaligkeit. Was
ist beim Film der Kairos, der ihm das „Prädikat wertvoll“ verleiht?
„Das
ist ganz schwer zu sagen: man muss auf eine innere Stimme hören. Man muss etwas in
sich haben, jemanden, mit dem man den Dialog führen kann. Da glaube ich sehr stark,
dass es eine Anima gibt, die tätig ist. Man wechselt zwar oft die Identität, vom Deutschen
zum Franzosen, vom Amerikaner zum weiß Gott was ich noch gemacht habe. Aber es bleibt
eine – ja, ich würde es nicht Seele nennen, das ist zu hochtrabend, aber es bleibt
irgendwie ein Teil von einem selbst, mit dem man den Dialog führen kann .In sich selbst.
Und auf diese Stimme zu hören, das ist das Allerschwierigste, aber auch das Allerwichtigste,
wenn man kreativ arbeiten will.“
Es heißt, der Film „Die Blechtrommel“ nach
dem Roman von Günter Grass definiert bis heute den innersten Kern in Ihrem künstlerischen
Dasein. Ein großer Wurf im Firmament der Kinokunst unserer Zeit. Ausgezeichnet mit
der „Goldenen Palme“ in Cannes und ein Jahr später mit dem wohl begehrtesten Filmpreis,
dem „Oscar“ von Hollywood, als erster deutscher Filmemacher der Nachkriegszeit. Sie
selbst bezeichneten den Film „Die Blechtrommel“ einmal als Ihre persönliche Besteigung
der Nordwand. Warum?
„Man nennt ja die Eiger Nordwand so ein schwieriges
Stück. Ja, weil so ein Roman, wie die Blechtrommel oder wie Proust, Céline, wie Thomas
Mann, also diese großen Werke zu besteigen, zu gestalten, umzuformen in dem neuen
Medium, so als Film nochmals wieder neu zu erschaffen, das ist das Schwierigste, weil
diese Bücher ja nicht umsonst berühmt sind: Diese Bücher sind sehr vielschichtig,
ein Film muss einschichtig sein, ein Film muss vereinfachen. Diese Bücher leben davon,
dass sie unglaublich differenziert sind, viele Ebenen haben. Und jede dieser Differenzierungen
ist zugleich auch eine Gletscherspalte, in die man fallen könnte.“
Wir haben
es eingangs gehört: Volker Schlöndorff hat Filmgeschichte geschrieben. Intellektuell
ambitionierte wie hochklassisch besetzte Literaturverfilmungen sind in der Regel sein
Metier. Dabei stehen die Menschenwürde, die Gesellschaft, die Politik, die Philosophie,
wie auch die Religion als Fixpunkte im Fokus seiner Werke. Und es kommt hinzu: seine
Filme werden in der Regel sowohl vom Publikum als auch von der Fachkritik geschätzt.
Worin liegt das Geheimnis dieser Erfolge? Das Urteil über seine Filme überlässt Schlöndorff
bescheiden lieber einem Filmhistoriker, einem Filmanalytiker, über das Geheimnis seiner
Filme aber will er selbst Wichtiges hinzufügen:
„Es ist ja auch bei über
30 Filme, die ich gemacht habe, weiß Gott nicht so, dass die alle gelungen oder gar
Erfolge waren. Das geht ein bisschen wie nach dem Spruch von Goethe: ‘Man muss sich
halt jedes Mal wieder bemühen, man weiß nie, ob die Musen Platz nehmen.’ Es gibt eigentlich
nur eine Regel: wenn in dem Material, in der Vorlage, in der Geschichte, die man erzählt,
egal ob sie von der Literatur oder von der Tageszeitung stammt, wenn da etwas ist,
was eben einen innerlich anspricht, auf einer unbewussten Ebene, die man nicht kennt,
dann kann es gelingen. Man muss sich bei jeden Film neu bemühen, als ob es der erste
wäre. Also ich habe gerade einen Film in Frankreich gedreht – ‘Diplomatie’ – der jetzt
auf der Berlinale läuft und dann ins Kino kommt, - an diesem Film habe ich während
der Dreharbeiten überhaupt nicht geglaubt. Ich habe gedacht, das wird ein Totalschaden,
das geht alles nicht auf. Und jetzt bei den ersten Vorführungen stellt sich heraus,
dass der Film die Menschen emotional sehr, sehr stark berührt. Also da ist irgend
eine Seite in mir angesprungen, die ich nicht kannte. Da muss man wirklich sagen:
die Wege des Herrn sind geheimnisvoll und dunkel. Und so ist es auch mit der Kreativität.
Der Mechanismus der Kreativität ist ein großes Mysterium.“
Der Augenblick:
dieses Wort, dieser Begriff, Herr Schlöndorff, kann für ein Kunstwerk demnach eine
immanente Bedeutung erhalten. Es sind oft nur Augenblicke, kurze Momente, die Erlebnisse
der Trauer, der Freude, des Glücks, der Enttäuschung auszudrücken und zu vermitteln
vermögen. In der Literatur eine Zeile, in der Musik ein Notensatz, in der Malerei
eine Farbe, und beim Film ?
„Ja, beim Film, tatsächlich im Wortsinne, der
Augenblick, meistens eben dieses Ineinanderschauen von zwei Blicken. Wir haben
ja im Film diese Möglichkeiten, banal ausgedrückt Schuss-Gegenschuss, zwei große Aufnahmen
von Menschen, die montiert sind, sodass der Zuschauer den Eindruck hat: sie schauen
sich an, sie blicken sich ins Auge. Und dabei kann eine unglaubliche Spannung entstehen,
wenn es gelungen ist. Aber, in den meisten Fällen würde ich sagen, sind die stärksten
Momente im Film solche Blicke!“
Herr Schlöndorff, Sie haben große Menschen,
wie Max Frisch, Arthur Miller, Heinrich Böll und Günter Grass und viele andere durch
Ihre Arbeit persönlich kennen gelernt und können sie sicher mit wenigen Worten kurz
und gut beschreiben?
„Es gibt wohl kaum einen anderen Beruf, bei dem man
so viele großartige Menschen treffen kann wie beim Film. Diese intensive Zusammenarbeit
hätte ich mir als junger Mensch nicht träumen lassen. Und das ist im Rückblick fast
das Schönste, denn da haben sich natürlich auch Freundschaften entwickelt. Das fing
an mit Heinrich Böll, den konnte man aufsuchen in Köln, man konnte stundenlange Gespräche
führen, man konnte mit ihm über Szenen reden, er war nie bevormundend, er hat immer
vielleicht mal so einen Rat einfließen lassen, er war auch in der Unterhaltung ein
Pazifist, mit tiefen Einblicken in das Funktionieren von Menschen, gerade beim Glauben
unglaublich kritisch, wenn Menschen glaubten, sie hätten die Wahrheit oder die Erleuchtung.
Das hat er mit viel Ironie abgetan. Und der nächste war Günter Grass – der natürlich
ein vollkommen anderes Temperament ist. Dann ist dazu der sachliche amerikanische
Arthur Miller mit seinen jahrhundertealten jüdischen Kenntnissen dazugekommen. Und
weil Sie von diesem Augenblick eben gesprochen haben: es ist so, bei der Arbeit entdeckt
man, wo der Augenblick war, in dem der erste Funke geschlagen ist und aus dem das
Buch dann entstanden ist.“
Volker Schlöndorff hat mit seinen Filmen unvergessliche
Denkmäler gesetzt. Er hat oft das Unsichtbare sichtbar gemacht. Man könnte ihn auch
einen Brückenbauer zwischen den Kulturen bezeichnen. Seine Filme führen zu Überlegungen
und Gedanken über grundsätzliche Fragestellungen. Mehrere Filme von Ihm zeigen auch
ein Zusammenspiel von Spiritualität und menschlichen Leben auf, deshalb eine Letzte
Frage: kann Religion auch heute nach den Herzen der Menschen greifen, sehen Sie, Herr
Schlöndorff, in der Religion eine Kraft für den Menschen von heute?
„Was
versteht man in diesem Moment unter Religion? Dass eine Spiritualität in uns ist und
dass die auch unsere einzige Rettung ist, das steht für mich fest. Wie man aber auf
die herankommt, ob das auf Umwegen, über die Religion oder gar über eine Kirche, oder
auf einem anderen Weg, das glaube ich, muss ein jeder für sich selbst herausfinden.“