Papst Franziskus und der Marxismus: „Es geht ihm um die Öffnung zur Wirklichkeit“
Auch nach nur einem
Jahr Pontifikat muss sich Papst Franziskus bereits mit ernstzunehmenden Vorurteilen
auseinandersetzen. Das bedauert ein langjähriger Freund des Papstes. Der Jesuitenpater
Humberto Miguel Yáñez doziert an der Päpstlichen Universität Gregoriana Moraltheologie.
Im Gespräch mit Radio Vatikan ging er auf die vor allem in den USA im Umlauf befindlichen
Urteile ein, Franziskus sei ein Marxist.
„In gewisser Weise hat die Religion
sehr viel mit Politik zu tun. Denn die Religion möchte dem alltäglichen Leben etwas
mitgeben, was ja auch das Ziel der Politik ist. Nur weil der Papst in seinem Schreiben
,Evangelii gaudium´ auf die Gefahren einer „wilden Wirtschaft“ hinweist, ist der
Heilige Vater noch lange kein Marxist. Deshalb muss man aufpassen, wenn man eine
ideologische Interpretation vollzieht. Hierbei finde ich es interessant, wie Jorge
Mario Bergoglio im Laufe seines Lebens wahrgenommen wurde. Für die einen galt er als
Fortschrittlicher, andere hingegen bezeichneten ihn als einen sturen Konservativen.
Beides ist meiner Meinung nach falsch. Er hat sicherlich eine persönliche Entwicklung
durchgemacht. Insbesondere die Beziehungen zu den Menschen haben ihn geprägt und er
hat sich da nie zurückgezogen. Das ist meiner Meinung nach sein größter Reichtum.“
Pater
Yáñez ist in den Orden des heiligen Ignatius eingetreten, als der heutige Papst Provinzial
des Ordens in Argentinien war. Das war 1975.
„Was den Umgang zu den Armen
betrifft: als mein Noviziat zu Ende ging, rief er mich eines Tages an und fragte mich,
ob ich ihn bei einem Besuch begleiten könnte. Wir gingen zu dem Haus einer Frau, die
Bergoglio zuvor um Hilfe gebeten hatte. Sie hatte fünf Kinder. Ihr Mann war arbeitslos
und sie hatten nichts zu essen. Er gab mir den Auftrag, für diese Familie zu sorgen.
Bergoglio hat natürlich für die materielle Hilfe gesorgt. Sein Stil war gerade dies:
nicht einfach nur materiell zu helfen, sondern vor allem mit den Menschen sprechen
und zuhören. Später erzählte er mir, dass er durch diese Frau – die heute noch mit
ihm Kontakt hat – die Welt der Armen entdeckt hat.“
Pater Yáñez hat an
der Gregoriana vor Kurzem einen „Runden Tisch“ organisiert, bei der die jüngste Apostolische
Exhortation erörtert wurde. Der Vorwurf, Papst Franziskus bzw. Jorge Mario Bergoglio
sei doch schon immer ein Marxist gewesen, verneint sein Mitbruder vehement. „Echte
Marxisten wären sicherlich nicht einverstanden damit, anhand dieser Schrift den Papst
als einer der ihren zu bezeichnen“, so Pater Yáñez.
„Den Einsatz für die
Armen ist nicht einfach eine Idee. Das wäre sonst wirklich eine Ideologie, sondern
es geht ihm um die Öffnung zur Wirklichkeit. Das steht auch ganz klar in ,Evangelii
gaudium´. Auch in Aparecida [CELAM-Versammlung von 2007, Anm. d. Red.] fragte er,
wie man sich den Armen annähern könne. Seine Antwort lautet: sich mit den Armen anfreunden.
Denn nur durch eine persönliche Beziehung kann jeder seinen Mitmenschen wirklich helfen.
Das ist ein Charakteristikum Bergoglios, das ihn auf einen Weg gebracht hat, den er
sich wohl nie hat träumen lassen.“