El Salvador: „Unter Franziskus mehr Debattenfreiheit"
In der katholischen
Kirche ist es unter dem jetzigen Papst leichter geworden, „in großer Freiheit über
kontroverse Fragen neu nachzudenken": Das sagte der in El Salvador lehrende renommierte
spanische Jesuit und Theologe Jon Sobrino am Freitag in Wien. Sobrino war seit den
1970er-Jahren mehrmals wegen seiner Positionierung für die Befreiungstheologie mit
Rom in Konflikt. Er äußerte sich in einem Journalistengespräch aus Anlass eines Vortrags
im Kardinal-König-Haus über die „Bekehrung der Kirche zu den Armen". Radio Stephansdom-Redakteurin
Franziska Lehner sprach mit dem Theologen.
Reformwünsche an die Kirchenführung
dürften nicht immer nur aus einem eurozentrischen Blickwinkel formuliert werden, sagte
Sobrino. Das gelte auch im Blick auf die bevorstehende Weltbischofssynode zu Ehe und
Familie. „Wir müssen hier auch die Dritte Welt beachten - etwa Afrika." Die Realität
von Lebensgemeinschaften und von Polygamie sei „sicher ein Problem, andererseits muss
man sehen, dass Polygamie für viele Frauen eine überlebenswichtige Realität ist".
Dies sei nur eines von vielen Beispielen für zu wenig beachtete Anliegen aus den Ländern
des Südens, erklärte Sobrino. Heute finde er es „leichter, das anzusprechen“ als in
den 1980er Jahren.
Papst Franziskus stehe für ihn insbesondere für die Fähigkeit,
„der Lüge die Maske herunterzureißen". Die Lüge sei ein umfassendes Problem, und sie
bestehe auch im Verdecken der globalen Ungerechtigkeit. So bestehe keinerlei Interesse
an Kriegen, die in Afrika wegen des Rohstoffbedarfes in Europa geführt werden, oder
an dem weiterhin bestehenden Elend in Haiti bzw. an den 30.000 Toten Bootsflüchtlingen
im Mittelmeer. Franziskus versuche - etwa mit dem Besuch in Lampedusa - dieses Schweigen
aufzubrechen. „Er sagt in Worten und Zeichen, dass das Wichtigste das Mitleiden mit
denen ist, die von Unrecht und Schlägen betroffen sind", sagte Sobrino.
Der
Papst habe auch den Mut, „offener zu sagen als andere", dass inmitten der Kirche wirkliche
Sünde existiere. Er wisse, dass diese Aussage „nicht dazu führt, dass die Kirche zusammenstürzt",
betonte Sobrino. Schließlich gelinge es Franziskus zu vermitteln, „dass es in dieser
Welt überall eine tiefe Liebe Gottes gibt", und dass sie bei vielen Menschen ankommt.
Sobrino wandte sich ausdrücklich gegen Zuordnungen wie „Bekenntnis zur Befreiungstheologie".
Das sei überholt, es gehe um eine christliche Praxis im Einsatz für die Armen. Ob
das in der Kirche unter Franziskus stärker sein werde als in den 1970er- und 1980er-Jahren,
sei offen, liege aber nicht am Papst.
Vor 30, 40 Jahren sei Theologie der
Befreiung primär eine Praxis gewesen, die „Tausende Märtyrer" hervorgebracht habe.
"Diese Praxis hat sich, so wie Jesus von Nazareth, mit den Feinden der Armen angelegt.
Deswegen wurde Jesus getötet, deswegen wurden Ordensleute, Priester, Bischöfe und
Gläubige getötet", sagte der spanische Jesuit. Heute könne im Gegensatz zu früher
in allen Seminaren Theologie der Befreiung gelehrt werden. „Das Entscheidende ist
aber nicht das, sondern ob die christlichen Kirchen diese Liebe zu den Armen leben."