Vor einem Jahr, am
11. Februar 2013, schlug der Blitz in St. Peter ein: Benedikt XVI. kündigte seinen
Amtsverzicht an. Unvermittelt, so kam es vielen vor. Oder hatte es doch, hier und
da, Vorzeichen für den Amtsverzicht gegeben? Und was ist dem Papst in den Tagen unmittelbar
vor dem Verzicht eigentlich durch den Kopf gegangen?
8. Februar 2013. Der Papst
besucht, wie jedes Jahr, das Priesterseminar seines Bistums Rom. „Tu es Petrus“, singen
die Priesteramtskandidaten: Du bist Petrus. Ja – noch, mag Benedikt da gedacht haben,
denn sein Entschluss, sich vom Petrusdienst zurückzuziehen, steht in diesem Moment
schon fest. Dass ein Papst aus seiner Sicht durchaus zurücktreten könne, hat er schon
Ende 2010 im Interviewbuch „Licht der Welt“ klargemacht. Und den Auguren kann es Anfang
2013 auffallen, dass der Vatikan für dieses Jahr überhaupt keine Papstreisen geplant
hat, mit Ausnahme des Pflichttermins Weltjugendtag von Rio. Trotzdem, eigentlich niemand
rechnet in diesem Moment wirklich mit einem Papst-Rücktritt. Nur Benedikt XVI., der
ist an diesem Abend in der Seminarskapelle schon fest dazu entschlossen.
Aus
dem Stegreif formuliert der Papst eine Betrachtung, die um einen Ausschnitt aus dem
Ersten Petrusbrief kreist. Diese frei gehaltene Ansprache ist der einzige Text, der
uns Aufschluss über Benedikts Gedanken sechzig Stunden vor der Rücktrittsankündigung
gibt. Benedikt XVI. zeichnet hier eine Art Porträt seines ersten Vorgängers auf dem
Stuhl des römischen Bischofs: Petrus spreche in diesem Brief nicht für sich selbst,
sondern aus dem Glauben der ganzen Kirche heraus. „Nicht als individualistische Geistesgröße“,
sondern mit Hilfe des Schreibers Silvanus, der ja auch namentlich genannt werde. Aber
woran wird, so fragt Benedikt, der heilige Petrus eigentlich gedacht haben, als er
nach seiner Flucht aus Jerusalem nach Rom ging?
„Gehen, wohin du nicht
willst“
„Sicher hat er sich da an die letzten Worte erinnert, die
Jesus an ihn gerichtet hat und die vom hl. Johannes wiedergegeben werden: „Am Ende
wirst du gehen, wohin du nicht willst. Man wird dich gürten, deine Hände ausstrecken“
(vgl. Joh 21,18). Es ist eine Prophezeiung der Kreuzigung. Die Philologen zeigen uns,
dass „die Hände ausstrecken“ ein präziser, technischer Ausdruck für die Kreuzigung
ist. Der hl. Petrus wusste, dass sein Ende das Martyrium, das Kreuz sein würde. Und
so wird er in der vollkommenen Nachfolge Christi stehen. Als er nach Rom ging, ist
er gewiss auch zum Martyrium gegangen: In Babylon (so wird Rom im Ersten Petrusbrief
genannt) erwartete ihn das Martyrium.“
Der Petrusdienst hat „auch einen
martyrologischen Inhalt“: Darum kreisen die Worte des Papstes wenige Stunden, bevor
er auf diesen Dienst verzichten wird. „Von Anfang an ist Rom auch Ort des Martyriums.
Indem er nach Rom geht, nimmt Petrus dieses Wort des Herrn erneut an: Er geht auf
das Kreuz zu, und er lädt auch uns ein, den martyrologischen Aspekt des Christentums
anzunehmen“.
Niemand könne Christ sein, „ohne dem Gekreuzigten nachzufolgen,
ohne auch das martyrologische Moment anzunehmen“, so Benedikt XVI an diesem Abend.
Ein paar Tage später – da hat er schon seinen Rücktritt angekündigt – haben manche
in der Kirche das Gefühl, der Papst wolle hinwerfen, weil er vor den Härten und Schwierigkeiten
seines Amtes kapituliere. „Man kann doch nicht vom Kreuz herabsteigen“, mit diesen
bitteren Worten wird der Krakauer Erzbischof, Kardinal Dziwisz, zitiert. Benedikt
dagegen wird mehrmals dagegenhalten, dass er sich zwar aus dem aktiven Petrusdienst
zurückziehe, nicht aber vor dem Unangenehmen, dem „Martyrologischen“ fliehe. Bei seiner
letzten Generalaudienz am 27. Februar bekräftigt Benedikt:
„Ich kehre
nicht ins private Leben zurück... Ich gehe nicht vom Kreuz weg, sondern bleibe auf
neue Weise beim gekreuzigten Herrn. Ich trage nicht mehr die amtliche Vollmacht für
die Leitung der Kirche, aber im Dienst des Gebetes bleibe ich sozusagen im engeren
Bereich des heiligen Petrus.“
„Wir sind Erben“
Keine
Flucht vor dem „martyrologischen Aspekt“ – das ist der eine Unterton, der sich aus
Benedikts letzter Stegreifrede vor der Rücktrittsankündigung heraushören lässt. Der
andere ist: Dankbarkeit.
„Gott hat mich als Christen, als Katholiken gewollt,
er hat mich als Priester gewollt. Gott hat an mich gedacht, er hat mich unter Millionen,
unter so vielen gesucht, er hat mich gesehen und hat mich auserwählt... „Auserwählt“:
Wir müssen für diese Tatsache dankbar sein und uns darüber freuen. Gott hat an mich
gedacht, er hat mich als Katholiken, als Träger seines Evangeliums, als Priester auserwählt.“
„Wir
sind Erben“, fährt Benedikt fort, und das bedeute, dass Christen „die Zukunft haben“.
„Die Zukunft gehört uns, die Zukunft gehört Gott. Und so wissen wir als Christen,
dass die Zukunft uns gehört und der Baum der Kirche kein sterbender Baum ist, sondern
der Baum, der immer wieder neu wächst.“
Das ist am Freitagabend. Montagmittag
kündigt der Papst dann seinen Rücktritt an.