Klöster und Stifte: Zwischen Auslaufmodell und Dauerbrenner
Brauchen wir heute
überhaupt noch Klöster und Stifte? Eine Frage, die sich das Stift Klosterneuburg in
Niederösterreich anlässlich des 900-jährigen Bestehens gestellt hat. Das Kloster der
Augustiner Chorherren ist nicht nur für seinen Wein bekannt - es ist das älteste private
Weingut Österreichs - sondern auch für seine Kunst und sein Museum. Marion Sendker
berichtet.
Sie sind Wirtschaftsunternehmen, Kulturzeugen, Zufluchtsort und
Gesprächspartner: Stifte und Klöster prägen die europäische Entwicklung seit über
1600 Jahren. Rechtlich eigenständig und frei von staatlichen Konventionen sind sie
Vorbild für menschliches Zusammenleben. Trotzdem haben Stifte und Klöster es zunehmend
schwer: Der Nachwuchs fehlt und der Zuspruch aus der Bevölkerung manchmal auch. Das
ist bemerkenswert, denn Stifte und Klöster bieten das, wonach sich die schnelle Gesellschaft
sehnt: Ruhe.
„Eine Hauptfunktion der Klöster ist die Rückzugsmöglichkeit:
Nicht im Sinne einer Weltflucht, sondern im Sinne einer Besinnung auf die bleibenden
Werte, und dass es neben der vergänglichen Welt auch noch eine andere Welt gibt. Das
ist es, was manche stört: Sie wollen, dass es nur diese materielle Welt gibt und dass
dann alles zu Ende ist - und da gibt es die Klöster und die Kirchen, die die Menschen
an ihre Endlichkeit erinnern.“
Das sagte der Sozialphilosoph an
der Uni Wien, Norbert Leser, auf einer Podiumsdiskussion im feiernden Klosterneuburg
zur Frage nach der Zukunft von Stiften und Klöstern.
Auf derselben Podiumsdiskussion
findet die Historikerin Elisabeth Vavra, dass vieles aus der klösterlichen Ordnung
die Menschen heutzutage interessiere. Sogar für das Gelübde:
„Wenn man ins
Kloster eintritt, verzichtet man auf den gesamten Besitz und hat alles gemeinsam.
Wenn es heute Fahrgemeinschaften gibt und man das als „neues Ding“ propagiert, ist
das ja faktisch etwas, was ein Kloster schon längst vorlebt. Das sind alles Dinge,
die im Kloster vorgelebt werden. Der große Fehler, den diejenigen außerhalb der Klostergemeinschaft
machen, ist, dass sie immer vergessen, dass die Menschen im Kloster keine Heiligen
sind, sondern Menschen.“ Menschlich solle es darum auch in der Klostergemeinschaft
zugehen: Der Abtprimas der Augustiner Chorherren und Probst von Klosterneuburg, Bernhard
Backovsky, fordert einen „lebendigen“ Konvent:
„Wer eintritt, der muss damit
rechnen, dass er unter den Menschen ist. Einfach mit Freundlichkeit und Gruß. Und
das, denke ich, kann den lebendigen Konvent ausmachen und das soll ihn ausmachen,
dass die Leute ein Vertrauen gewinnen und dann sagen können: „Hach, mir geht es so
miserabel, so mistig, aber da kann ich hingehen und kann mich so ausweinen.“
Für
den Sozialphilosophen Leser ist aber nicht nur die Rückzugsfunktion der Klöster von
großer Bedeutung: „Was mich als Politologen auch sehr am Kloster fasziniert,
ist, dass es ein Element in sich birgt, das sonst in der Kirche unterrepräsentiert
ist: Das demokratische Element. Man sagt immer die Kirche ist hierarchisch. Ihre Gegner
bezeichnen sie sogar als „Sakraldiktatur“. Aber ein demokratisches Urelement ist das
Mönchtum. Das ist ein wichtiges Element und die Klöster haben auch jene Erneuerungsfähigkeit
gehabt: Zum Beispiel die Zisterzienser gegenüber den Benediktinern und so weiter.
Eine Erneuerungsfähigkeit, die man der Politik wünschen würde, die dort vielfach abhandengekommen
ist, aber in den Klöstern noch sehr lebendig ist.“
Diese Erneuerungsfähigkeit
garantiere den Klöstern ihre Stabilität, sagt die Historikerin Vavra. „Politiker
wechseln, Herrscherfamilien wechseln, aber die Klöster waren in den letzten Jahrhunderten
immer sehr konstant. Hier gibt es also immer wieder Erneuerungskräfte von innen, die
Antworten geben auf Probleme, die von außen herangetragen werden. Das ist eine der
großen Kräfte, die in den Klöstern, die in der Lebensform des Mönchstums oder der
Orden liegt.“ Die Konkurrenz ist groß, die Nachfrage aber auch. Soziologen
gehen davon aus, dass „Ruhe“ als Produkt bald gefragter sein werde, als der Faktor
„Sonne“. Touristische Angebote rund um Klöster sind darum ideal. Dagegen stehe aber
die Gefahr einer touristischen Instrumentalisierung. Hier eine Balance zu finden ist
für Klöster und Stifte keine einfache Aufgabe, heute wie vor 900 Jahren nicht.