2014-02-06 09:12:16

UN-Bericht zum Kinderschutz: „Ansporn“, aber mit blinden Flecken


RealAudioMP3 Als zusätzlichen „Ansporn“ für die Arbeit des Heiligen Stuhles im Bereich Kinderschutz wertet der Vizerektor der Päpstlichen Universität Gregoriana die Empfehlungen des UN-Kinderrechtskomitees (UNCRC). Das Expertengremium ist in seinem Bericht am Mittwoch mit dem Heiligen Stuhl hart ins Gericht gegangen und hat ihm Mängel im Bereich des Kinderschutzes vorgeworfen. Es war das erste Mal, dass sich der Heilige Stuhl der turnusmäßigen Evaluierung durch das UNCRC stellte. Das wurde auch höchste Zeit, hält Jesuitenpater Hans Zollner im Interview mit Radio Vatikan zunächst fest. Zollner ist mit dem Zentrum für Kinderschutz der Gregoriana, das die päpstliche Uni in Zusammenarbeit mit dem Erzbistum München und Freising und der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uni Ulm auf die Beine stellte, seit Jahren in der Präventionsarbeit der katholischen Weltkirche aktiv.


„Ich habe den Eindruck, dass sich der Heilige Stuhl keinen Gefallen damit getan hat, dass er vierzehn Jahre lang nicht die entsprechenden Berichte, die eingefordert wurden, lieferte und sich erst jetzt entschlossen hat, nach Genf zu gehen, um sich dem zu erwartenden Fegefeuer auszusetzen. Das war für die Leute – ich habe mit jemandem gesprochen, der dort präsent war – höchst schwierig und unangenehm. Natürlich mussten da die Vertreter des Heiligen Stuhls alles auf sich nehmen, was sich an Wut, Enttäuschung und auch berechtigtem Ärger über sie ergoss.“

Doch auch wenn das Genfer Urteil streng ausfiel – stehen geblieben war Rom in punkto Kinderschutz freilich nicht. Insbesondere im Kampf gegen sexuellen Missbrauch hat der Vatikan laut Zollner „in den letzten dreizehn Jahren“ eine Null-Toleranz-Politik eingeleitet, die im Vergleich zu anderen Staaten in einigen Punkten zeitweise beispiellos war. Diese Anstrengungen würden in dem immerhin 16-seitigen UN-Bericht wenig berücksichtigt, so Zollner:


„Ich habe den Eindruck, dass es in dem Bericht um viele Dinge geht, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten falsch gelaufen sind, wo es auch tatsächlich viel gab, was die Kirche nicht umgesetzt hat. Aber die jüngsten Bemühungen des Heiligen Stuhls scheinen mir nicht in genügendem Maß widergespiegelt zu sein: die Bemühungen um mehr Transparenz, den Versuch, das Kirchenrecht neu zu definieren und neue Normen einzuführen.“



Schlechtes Zeugnis für den Heiligen Stuhl


Lobend anerkannt wird im Bericht zwar die geplante Einrichtung einer vatikanischen Kinderschutzkommission, welche die Glaubenskongregation unterstützen soll. Auch hebt die Kommission die weltweite Basisarbeit der katholischen Kirche im Bereich Kinderschutz hervor. Insgesamt stellt die UNO dem Heiligen Stuhl in ihrem Bericht aber ein schlechtes Zeugnis aus: Die Kinderschutzarbeit werde in der Praxis nicht systematisch genug weltweit umgesetzt, auch das Kirchenrecht müsse hier nachgebessert werden. Zum Thema sexueller Missbrauch zählt der Bericht eine ganze Reihe Verfehlungen auf, die sich auf die katholische Weltkirche beziehen: Missbrauchsfälle seien auf höchster Ebene vertuscht worden, Täter lediglich versetzt worden und straflos geblieben, und zivile Behörden seien nicht informiert worden. Stimmt ja alles, urteilt Zollner - wenn auch eben heute nicht mehr unbedingt. Zu den zitierten Fällen habe der Heilige Stuhl im übrigen klar Stellung bezogen.


„Das ist alles unumwunden auch mehrfach schon gesagt worden: Es ist ohne Umschweife gesagt worden, dass es da großes Unrecht und Verbrechen gegeben hat. Insofern sind die Punkte, die im UN-Bericht genannt werden, keine neuen Sachen.“


Nachbesserungsbedarf für den Heiligen Stuhl sieht der Jesuit beim Tempo der Bearbeitung von Missbrauchsfällen an der Glaubenskongregation – diese sei durch die Zahl der Fälle teilweise überfordert gewesen – und bei der Prozessordnung. Diese müse transparenter werden, so Zollner. Auch müsse dringend die Frage der Mitverantwortung der Bischöfe und Ordensoberen bei Missbrauchsfällen in den jeweiligen Ortskirchen geklärt werden, um Vertuschung und Straflosigkeit in Zukunft unterbinden zu können:


„Welche Mitverantwortung haben die Bischöfe oder die höheren Ordensverantwortlichen, wenn sie wussten von einem Missbrauch, der durch einen Prietser o.ä. geschehen ist, und die nicht entsprechend den kirchlichen und staatlichen Normen gehandelt haben? Das ist einer der wichtigsten Punkte, die unbedingt gelöst werden müssen, weil das ein ständiger Skandal ist und vor allem auch in den USA eine große straf- u zivilrechtliche Implikation hat.“



„Wenn man in Rom auf den Knopf drückt...“


Einige Forderungen des UN-Kinderrechtskomitees findet der Jesuit aus verschiedenen Gründen nur schwer zu verwirklichen. Etwa die nach einem „Mechanismus auf hoher Ebene“, der den Schutz der Kinderrechte weltweit in allen Einheiten – vom Päpstlichen Rat bis hin zum jeweiligen Ortspfarrer – garantieren soll (vgl. Punkt 16 und 20 im Bericht). Das UN-Komitee gehe wohl vom Trugschluss aus, dass die katholische Kirche problemlos „in allem durchregieren und durchgreifen“ könne, so Zollner:


„Wenn man also in Rom auf den Knopf drückt, dann soll das so auch in Kongo und Brasilien funktionieren. So kann es aber nicht funktionieren, weil wir in der internationalen Perspektive sehen müssen, dass es ganz unterschiedliche Rechtskulturen gibt, dass es auch Rechtsvorschriften gibt, die unterschiedlich sind, und dass die katholische Kirche nur das tun kann, was der jeweilige Staat fordert.“


Nach Maßgabe der Glaubenskongregation sind die Verantwortungsträger der Ortskirchen dazu angehalten, mit den zivilen Behörden des jeweiligen Landes zusammenzuarbeiten und sich an das dort jeweils gültige Strafrecht zu halten. Dieses variiert aber von Staat zu Staat: So gibt es in einigen Ländern eine Anzeigepflicht, in anderen aber nicht, so etwa in Deutschland oder Italien.


Ein zweiter Punkt: Kinderschutz sei in den Ländern der Welt, in denen die katholische Kirche aktiv sei, teilweise ein Fremdwort, erinnert Zollner. Von einem wirksamen einheitlichen Vorgehen könne hier also keine Rede sein. In vielen Ländern – vor allem Afrikas und Asiens – leiste gerade die katholische Kirche in diesem Bereich Pionierarbeit. Zollner:


„Die katholische Kirche bemüht sich und ist in vielen Ländern dieser Welt vielleicht die einzige Großorganisation, die in diesen Ländern überhaupt etwas zum Schutz von Kindern tut. Denken wir nur an viele Teile Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas, wo vielleicht Kinderrechtskonventionen bestehen oder wo in der Verfassung steht, dass meinetwegen Eheschließung erst mit 18 möglich ist, de facto aber Kinder mit zwölf, dreizehn, vierzehn schon verheiratet werden.“


Zollner, der mit seinen Mitarbeitern u.a. in Ländern Afrikas und Asiens Prävention und Sensibilisierung im Kampf gegen sexuellen Missbrauch leistet, kennt solche Diskrepanzen aus erster Hand. Auch die Ungereimtheiten der Statistik:


„Wenn man sich die horrenden Zahlen anschaut von Missbrauch in manchen asiatischen Ländern – ich wundere mich da, dass zum Beispiel auch in den offiziellen Statistiken der UNO Zahlen genannt werden von sexuellem Missbrauch an Kindern, die weit unter dem liegen, was offizielle Staatsstatistiken zum Beispiel aus Indien schon vor Jahren haben erkennen lassen.“


Während der UN-Bericht auf der einen Seite vom Heiligen Stuhl ein weltweit griffiges Vorgehen für den Kinderschutz einfordert, bleibt das Papier für Zollner im weltweiten Blick auf sexuellen Missbrauch zurück:


„Es werden Einzelfälle genannt, meines Erachtens sehr zufällig. Denn wenn man die weltweite Situation ansieht, könnte man noch sehr viele andere Fälle nennen. Es werden einzelne Länder herausgegriffen, etwa Irland, wo es einen Riesenskandal gegeben hat. Aber andere Länder etwa in Afrika oder Asien kommen überhaupt nicht vor. Da sieht man, wie auch so eine UN-Kommission ihre eigenen Grenzen hat.“


Insgesamt nimmt der Jesuit den UN-Bericht als konstruktive Kritik auf. Er plädiert dafür, entschieden auf dem Weg der Missbrauchsbekämpfung weiterzugehen. Die Konfrontation mit dem Urteil des UN-Komitees, das empfehlenden Charakter hat, sieht der Jesuit als einen notwendigen Schritt in diesem Prozess. Insgesamt müsse es um einen offensiven Umgang mit dem Thema gehen, um glaubwürdig zu sein. Zollner:


„Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir uns nicht weiter verstecken können. Wir müssen das, was wir wollen, auch sagen, und müssen das, was wir tun, auch kommunizieren! Ich glaube, dann kann man ein Vertrauen wiedergewinnen, das schwer erschüttert wurde oder verloren gegangen ist.“


(rv 05.02.2014 pr)








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