UN-Bericht zum Kinderschutz: „Ansporn“, aber mit blinden Flecken
Als zusätzlichen „Ansporn“
für die Arbeit des Heiligen Stuhles im Bereich Kinderschutz wertet der Vizerektor
der Päpstlichen Universität Gregoriana die Empfehlungen des UN-Kinderrechtskomitees
(UNCRC). Das Expertengremium ist in seinem Bericht am Mittwoch mit dem Heiligen Stuhl
hart ins Gericht gegangen und hat ihm Mängel im Bereich des Kinderschutzes vorgeworfen.
Es war das erste Mal, dass sich der Heilige Stuhl der turnusmäßigen Evaluierung durch
das UNCRC stellte. Das wurde auch höchste Zeit, hält Jesuitenpater Hans Zollner im
Interview mit Radio Vatikan zunächst fest. Zollner ist mit dem Zentrum für Kinderschutz
der Gregoriana, das die päpstliche Uni in Zusammenarbeit mit dem Erzbistum München
und Freising und der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uni Ulm auf die
Beine stellte, seit Jahren in der Präventionsarbeit der katholischen Weltkirche aktiv.
„Ich habe den Eindruck, dass sich der Heilige Stuhl keinen Gefallen
damit getan hat, dass er vierzehn Jahre lang nicht die entsprechenden Berichte, die
eingefordert wurden, lieferte und sich erst jetzt entschlossen hat, nach Genf zu gehen,
um sich dem zu erwartenden Fegefeuer auszusetzen. Das war für die Leute – ich habe
mit jemandem gesprochen, der dort präsent war – höchst schwierig und unangenehm. Natürlich
mussten da die Vertreter des Heiligen Stuhls alles auf sich nehmen, was sich an Wut,
Enttäuschung und auch berechtigtem Ärger über sie ergoss.“ Doch
auch wenn das Genfer Urteil streng ausfiel – stehen geblieben war Rom in punkto Kinderschutz
freilich nicht. Insbesondere im Kampf gegen sexuellen Missbrauch hat der Vatikan laut
Zollner „in den letzten dreizehn Jahren“ eine Null-Toleranz-Politik eingeleitet, die
im Vergleich zu anderen Staaten in einigen Punkten zeitweise beispiellos war. Diese
Anstrengungen würden in dem immerhin 16-seitigen UN-Bericht wenig berücksichtigt,
so Zollner:
„Ich habe den Eindruck, dass es in dem Bericht
um viele Dinge geht, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten falsch gelaufen sind,
wo es auch tatsächlich viel gab, was die Kirche nicht umgesetzt hat. Aber die jüngsten
Bemühungen des Heiligen Stuhls scheinen mir nicht in genügendem Maß widergespiegelt
zu sein: die Bemühungen um mehr Transparenz, den Versuch, das Kirchenrecht neu zu
definieren und neue Normen einzuführen.“
Schlechtes
Zeugnis für den Heiligen Stuhl
Lobend anerkannt
wird im Bericht zwar die geplante Einrichtung einer vatikanischen Kinderschutzkommission,
welche die Glaubenskongregation unterstützen soll. Auch hebt die Kommission die weltweite
Basisarbeit der katholischen Kirche im Bereich Kinderschutz hervor. Insgesamt stellt
die UNO dem Heiligen Stuhl in ihrem Bericht aber ein schlechtes Zeugnis aus: Die Kinderschutzarbeit
werde in der Praxis nicht systematisch genug weltweit umgesetzt, auch das Kirchenrecht
müsse hier nachgebessert werden. Zum Thema sexueller Missbrauch zählt der Bericht
eine ganze Reihe Verfehlungen auf, die sich auf die katholische Weltkirche beziehen:
Missbrauchsfälle seien auf höchster Ebene vertuscht worden, Täter lediglich versetzt
worden und straflos geblieben, und zivile Behörden seien nicht informiert worden.
Stimmt ja alles, urteilt Zollner - wenn auch eben heute nicht mehr unbedingt. Zu den
zitierten Fällen habe der Heilige Stuhl im übrigen klar Stellung bezogen.
„Das
ist alles unumwunden auch mehrfach schon gesagt worden: Es ist ohne Umschweife gesagt
worden, dass es da großes Unrecht und Verbrechen gegeben hat. Insofern sind die Punkte,
die im UN-Bericht genannt werden, keine neuen Sachen.“
Nachbesserungsbedarf
für den Heiligen Stuhl sieht der Jesuit beim Tempo der Bearbeitung von Missbrauchsfällen
an der Glaubenskongregation – diese sei durch die Zahl der Fälle teilweise überfordert
gewesen – und bei der Prozessordnung. Diese müse transparenter werden, so Zollner.
Auch müsse dringend die Frage der Mitverantwortung der Bischöfe und Ordensoberen bei
Missbrauchsfällen in den jeweiligen Ortskirchen geklärt werden, um Vertuschung und
Straflosigkeit in Zukunft unterbinden zu können:
„Welche Mitverantwortung
haben die Bischöfe oder die höheren Ordensverantwortlichen, wenn sie wussten von einem
Missbrauch, der durch einen Prietser o.ä. geschehen ist, und die nicht entsprechend
den kirchlichen und staatlichen Normen gehandelt haben? Das ist einer der wichtigsten
Punkte, die unbedingt gelöst werden müssen, weil das ein ständiger Skandal ist und
vor allem auch in den USA eine große straf- u zivilrechtliche Implikation hat.“
„Wenn man in Rom auf den Knopf drückt...“
Einige
Forderungen des UN-Kinderrechtskomitees findet der Jesuit aus verschiedenen Gründen
nur schwer zu verwirklichen. Etwa die nach einem „Mechanismus auf hoher Ebene“, der
den Schutz der Kinderrechte weltweit in allen Einheiten – vom Päpstlichen Rat bis
hin zum jeweiligen Ortspfarrer – garantieren soll (vgl. Punkt 16 und 20 im Bericht).
Das UN-Komitee gehe wohl vom Trugschluss aus, dass die katholische Kirche problemlos
„in allem durchregieren und durchgreifen“ könne, so Zollner:
„Wenn man
also in Rom auf den Knopf drückt, dann soll das so auch in Kongo und Brasilien funktionieren.
So kann es aber nicht funktionieren, weil wir in der internationalen Perspektive sehen
müssen, dass es ganz unterschiedliche Rechtskulturen gibt, dass es auch Rechtsvorschriften
gibt, die unterschiedlich sind, und dass die katholische Kirche nur das tun kann,
was der jeweilige Staat fordert.“
Nach Maßgabe der Glaubenskongregation
sind die Verantwortungsträger der Ortskirchen dazu angehalten, mit den zivilen Behörden
des jeweiligen Landes zusammenzuarbeiten und sich an das dort jeweils gültige Strafrecht
zu halten. Dieses variiert aber von Staat zu Staat: So gibt es in einigen Ländern
eine Anzeigepflicht, in anderen aber nicht, so etwa in Deutschland oder Italien.
Ein
zweiter Punkt: Kinderschutz sei in den Ländern der Welt, in denen die katholische
Kirche aktiv sei, teilweise ein Fremdwort, erinnert Zollner. Von einem wirksamen einheitlichen
Vorgehen könne hier also keine Rede sein. In vielen Ländern – vor allem Afrikas und
Asiens – leiste gerade die katholische Kirche in diesem Bereich Pionierarbeit. Zollner:
„Die katholische Kirche bemüht sich und ist in vielen Ländern dieser
Welt vielleicht die einzige Großorganisation, die in diesen Ländern überhaupt etwas
zum Schutz von Kindern tut. Denken wir nur an viele Teile Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas,
wo vielleicht Kinderrechtskonventionen bestehen oder wo in der Verfassung steht,
dass meinetwegen Eheschließung erst mit 18 möglich ist, de facto aber Kinder mit zwölf,
dreizehn, vierzehn schon verheiratet werden.“
Zollner, der mit seinen
Mitarbeitern u.a. in Ländern Afrikas und Asiens Prävention und Sensibilisierung im
Kampf gegen sexuellen Missbrauch leistet, kennt solche Diskrepanzen aus erster Hand.
Auch die Ungereimtheiten der Statistik:
„Wenn man sich die horrenden
Zahlen anschaut von Missbrauch in manchen asiatischen Ländern – ich wundere mich da,
dass zum Beispiel auch in den offiziellen Statistiken der UNO Zahlen genannt werden
von sexuellem Missbrauch an Kindern, die weit unter dem liegen, was offizielle Staatsstatistiken
zum Beispiel aus Indien schon vor Jahren haben erkennen lassen.“
Während
der UN-Bericht auf der einen Seite vom Heiligen Stuhl ein weltweit griffiges Vorgehen
für den Kinderschutz einfordert, bleibt das Papier für Zollner im weltweiten Blick
auf sexuellen Missbrauch zurück:
„Es werden Einzelfälle genannt, meines
Erachtens sehr zufällig. Denn wenn man die weltweite Situation ansieht, könnte man
noch sehr viele andere Fälle nennen. Es werden einzelne Länder herausgegriffen, etwa
Irland, wo es einen Riesenskandal gegeben hat. Aber andere Länder etwa in Afrika oder
Asien kommen überhaupt nicht vor. Da sieht man, wie auch so eine UN-Kommission ihre
eigenen Grenzen hat.“
Insgesamt nimmt der Jesuit den UN-Bericht als
konstruktive Kritik auf. Er plädiert dafür, entschieden auf dem Weg der Missbrauchsbekämpfung
weiterzugehen. Die Konfrontation mit dem Urteil des UN-Komitees, das empfehlenden
Charakter hat, sieht der Jesuit als einen notwendigen Schritt in diesem Prozess. Insgesamt
müsse es um einen offensiven Umgang mit dem Thema gehen, um glaubwürdig zu sein. Zollner:
„Wir
müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir uns nicht weiter verstecken können. Wir
müssen das, was wir wollen, auch sagen, und müssen das, was wir tun, auch kommunizieren!
Ich glaube, dann kann man ein Vertrauen wiedergewinnen, das schwer erschüttert wurde
oder verloren gegangen ist.“