So richtig nach Feiern
ist in Kairo kaum jemandem zumute: Vor drei Jahren begann der Arabische Frühling in
Ägypten mit Großdemonstrationen auf dem Tahrir-Platz, und noch heute ist die politische
Lage ausgesprochen instabil, immer wieder kommt es zu Gewalt. Stefan Kempis sprach
darüber mit dem deutschen Seelsorger in Kairo, Joachim Schroedel. Er fragte den Priester,
ob man jetzt nur noch „mit Bitterkeit“ auf die vielversprechenden Anfänge des Arabischen
Frühlings von Kairo vor drei Jahren zurückschauen könne.
„Ja, wir haben
uns sicherlich in vielen Dingen damals getäuscht – ich auch. Mit vielen anderen zusammen
dachte ich: Das ist jetzt der Durchbruch zur Demokratie. Im Rückblick sehen wir schon
– müssen wir sehen, dass die Revolution ausging von einer wirklich kleinen Zahl junger
Menschen, die wohl hochintellektuell dachten und arbeiteten und die ein Demokratie-Konzept
hatten, das eben aus dem Westen stammt. Schon die Wahlen zum Parlament und später
die Präsidentenwahlen Mursis haben uns natürlich gezeigt, dass wir uns geirrt hatten!
Andererseits
hat sich die Bitterkeit, von der Sie sprechen, etwas aufgelöst nach dem Jahr Mursi.
Als Mursi gestürzt worden ist, ging ein großes Aufatmen durch die Reihen. Und zwar
nicht nur bei den Christen, sondern auch bei vielen, vielen Muslimen. Und nun, nach
der Abstimmung über die Verfassung… okay, es haben sich nur 38 Prozent beteiligt,
das ist für unsere demokratische Gesinnung relativ wenig, aber die Resultate sagen
schon, dass die überwältigende Mehrheit einfach für einen Neuanfang ist. Ich habe
jetzt nur meine Bedenken, wie das mit dem Militär sein wird, das noch massiv regulativ
eingreifen kann, aber letztlich bin ich doch hoffnungsfroh.“
„Noch
nicht bereit für eine richtige Demokratie“
Mit Mursi stürzte immerhin
der demokratisch gewählte Präsident. Dann tauchte General Sisi im Fernsehen auf, und
hinter ihm saß unter anderen der koptische Papst. Mich ergreift da das unbehagliche
Gefühl, als hätte die koptische Kirche eigentlich ganz gerne weiterhin so etwas wie
Mubarak gehabt: eine starke Hand, die ihr auch Vorteile verschafft. Mit der Verfassung
hat sie das jetzt auch bekommen. Aber so richtig demokratisch ist das doch nicht?
„Na
ja – zum Teil erinnert mich das jetzt an Argumente, die Muslimbrüder vorgebrachten,
indem sie sagten: Die Christen stecken dahinter, dass Mursi gestürzt worden ist…“
Und
der koptische Papst saß ja auch dahinter, im Fernsehen!
„Aber es saß auf
der anderen Seite auch der Großscheich der al-Azhar-Universität! Ich weiß nicht, inwieweit
das inszeniert war (es wirkte natürlich sehr inszeniert), ich kenne die Beteiligten
zwar persönlich, aber habe noch nie gewagt, zu fragen: Seid ihr da abgeordert worden,
um da hinter dem Generalfeldmarschall Sisi zu stehen? Aber andererseits beobachte
ich einfach, dass die Haltung fast aller Ägypter so ist: Endlich sind wir von der
Last befreit! Wir sind noch nicht bereit für eine richtige Demokratie. Ich glaube
sehr wohl, dass die Menschen Freiheit wollen und vor allem Meinungsfreiheit, aber
andererseits wollen sie jetzt nach diesen drei Jahren vor allen Dingen mehr Ordnung
– auch zum Preis, dass derzeit eben das Militär massiv dahintersteht.“
„Ich
habe Bedenken, sehe aber keine Alternative“
Die Befürchtung könnte
aber sein, dass das Militär das ausnutzt und dass dann ein zum Präsidenten gewordener
Sisi einfach weitermacht wie früher unter Mubarak, mit starker Hand. Und der Westen
ist froh, weil immerhin das Problem Muslimbruderschaft einigermaßen aus dem Weg geräumt
worden ist.
„Ich habe heute Morgen mit (dem koptisch-katholischen) Bischof
Kyrillos (William) gesprochen, und er sagte mir, er glaube nicht daran, dass diese
neue Generation von Generälen und Militärs wirklich dort anknüpfen wolle, wo vor drei
Jahren das Ende war. Es ist uns völlig klar, dass das Militär als einer der größten
Arbeitgeber, als einer der größten Grundbesitzer und Firmeninhaber natürlich massive
Interessen hat, das Land nicht zu einer blühenden Demokratie westlichen Zuschnitts
zu machen, aber wir müssen eben auch sehen: Fünfzig Prozent der Ägypter können immer
noch nicht lesen und schreiben. Wie kann man jetzt eine Demokratie einführen? Man
braucht vielleicht zuerst mal eine Übergangs-Situation, die vom Militär gelenkt wird,
aber dahinter steht eben die Hoffnung von vielen Menschen: Möge danach eine etwas
freiere Struktur entstehen.
Ich bin selbst auch im Zweifel. Wenn man
die Paragraphen sieht, die in der neuen Verfassung dem Militär so viele Rechte zubilligen,
etwa dass das Militär Personen, die in einer Demonstration aufgegriffen werden, direkt
aburteilen kann, also in einem Militärgericht und nicht einem staatlichen Gericht
– dann habe ich wirklich Bedenken. Die teile ich mit Ihnen und mit vielen anderen
auch – nur sehe ich keine Alternative.“
„Mursi hat es nicht gebracht“
Vor
anderthalb Jahren wirkte ein Präsident Mursi so ähnlich wie heute etwa der iranische
Präsident Rohani wirken kann: freundlich, konziliant, mit Öffnungen nach außen, aber
mit einem noch relativ intransingenten Verein hinter ihm.
„Sowohl der Präsident
als auch später die Regierung waren Muslimbrüder, die eigentlich keinerlei politische
Erfahrung hatten. Deswegen ist über Mursi innerhalb der ersten Monate schon relativ
viel gewitzelt worden, man hat ihn oft karikiert und als unfähig hingestellt. Ich
bin ganz sicher, dass es auch unter den Muslimbrüdern Männer (und vielleicht sogar
Frauen) gegeben hätte, die einen Kurs fahren könnten, der einer demokratischen Struktur
stärker zugeneigt wäre. Ich kenne auch einige Muslimbrüder, die durchaus hochintellektuelle
Menschen sind und sich gegenüber dem Westen auch öffnen würden. Aber andererseits
war das Gros der unter Mursi an der Politik Beteiligten so, dass man einfach sagen
musste: Sie haben es nicht gebracht. Sie haben das Land letztlich weiter gespalten
und weiter in die Tiefe geführt statt, wenigstens minimal, in die Höhe. Drei, vier
Monate vor dem Sturz von Mursi war fast allen Menschen klar: Wenn das so weitergeht,
gibt`s einen Bürgerkrieg! Das Militär hat dann eingegriffen, und viele haben das sehr,
sehr befürwortet.“
Damals hatten auch einige von einem christlichen Exodus
gesprochen – etwas, das Sie immer wieder relativiert haben. Inwieweit hat denn ein
Exodus stattgefunden, ob von Kopten oder aus Ihrer deutschsprachigen Gemeinde in Kairo?
Und kommen da jetzt einige von den Kopten bzw. von den Deutschsprachigen wieder zurück?
„In
der Tat ist leider zu beobachten, dass die Deutschsprachigen minimiert worden sind.
Wir haben etwa 160 bis 180 Joint Ventures zwischen Ägypten und Deutschland; viele
deutsche Firmen schicken keine Experten mehr rüber, es sei denn ab und zu mal einen
Single - auf alle Fälle keinen mit Familie, weil das zu gefährlich scheint. Wir spüren
also schon einen massiven Verlust bei der deutschen Community. Natürlich hat auch
die Bundesrepublik Deutschland durch die Reisewarnungen dazu beigetragen, dass die
Firmen sagen: Wir können das nicht riskieren.Andererseits – so wie es jetzt
aussieht, könnte sich das Geschäft wieder ein wenig beleben.
Was die
lokalen Christen anbelangt, höre ich, dass es jetzt wieder Überlegungen von manchen
gibt, die in Amerika sind, zurückzukommen und auch wieder neu zu investieren. Aber
das ist natürlich noch nicht so, dass man sagen könnte: Es gibt wieder einen Introitus
statt des Exodus.“