Unwort des Jahres: Der politischen Debatte aufs Maul geschaut
Traurig-bitter aber
treffsicher: So kommentiert der Direktor der Caritas München, Hans Lindenberger, die
Entscheidung der zuständigen Jury, das Wort „Sozialtourismus“ zum Unwort des Jahres
zu erklären. Das Wort meint Menschen, die nur deshalb in ein anderes Land ziehen,
um von den dort gebotenen Sozialleistungen zu profitieren. Hans Lindenberger spielt
auf die Debatte um die innereuropäische Freizügigkeit an:
„Da wurde der
politischen Debatte wirklich aufs Maul geschaut, wenn ich das so sagen darf. Diese
Wahl des Unworts empfinde ich aber auch als eine echte Mahnung, eine Mahnung zu einem
fairen und nicht verletzenden Umgangsstil in der Wortwahl. Die Wahl des Wortes zum
Unwort ist ein Appell, es wieder aus dem Sprachgebrauch zu streichen. Es ist unnötig
und nicht hilfreich.“
Das Wort diskriminiere notleidende Menschen, so die
Begründung der Jury, vor allem Menschen aus Osteuropa. Lindenberger sieht die Gefahr,
dass kollektiv ein „Schmarotzen“ unterstellt werde. Gleichzeitig müsse aber auch differenziert
auf die bestehenden Ursachen hingewiesen und untersucht werden, woher die Not komme:
„Warum sich diese Frauen und Männer, oft mit Kindern, auf den Weg machen.
Die Wahl des Unwortes könnte also dazu beitragen, wirklich differenzierter hinzuschauen,
ohne Scheuklappen. Das ist nicht nur eine deutsche Aufgabe, sondern eine europäische
Aufgabe, in der Heimat dieser Menschen Lebensperspektiven zu eröffnen und Arbeit zu
schaffen.“
Bisher würde man diesen Menschen aber bereits in ihren Heimatländern
nicht gerecht, so Lindenberger.
„Sie haben kein gelebtes Anrecht auf ihr
Menschenrecht auf Arbeit, auf Gesundheit, auf Bildung, das wird in ihrer Heimat verletzt.
Das ist eine Gerechtigkeitsfrage, und diese Gerechtigkeitsfrage schlägt jetzt bei
uns auf in diesen Frauen und Männern gerade aus Süd-Ost-Europa, Bulgarien, Rumänien,
die zu uns kommen und bei uns etwas mehr Glück suchen.“
Das Unwort des
Jahres wird seit 1991 jährlich gewählt, eine Jury aus Sprachwissenschaftlern und einem
Journalisten kürt aus tausenden Einsendungen einen Begriff, der diskriminiert, gegen
die Menschenwürde oder gegen die Demokratie verstößt.