Eine Betrachtung zu
Vernunft und Glaube von Hans-Bernhard Wuermeling
Am letzten Abend des Jahres
2013 lade ich Sie, verehrte Hörer und Hörerinnen von Radio Vatikan, wieder zu einer
Betrachtung ein, diesmal nach Windberg. Der kleine Ort liegt auf einer Anhöhe dicht
neben der Autobahn zwischen Passau und Regensburg. Es handelt sich um ein Klosterdorf.
In seiner Barockkirche finden wir einen eigenartigen Seitenaltar. Statt der üblichen
Säulen, wie sie solche Altäre oft umrahmen, sehen wir hier rechts und links Regale,
Bücherregale, und darin stehen richtige Bücher. Der Altar ist um das Jahr 1796 von
dem Stukkateur und Bildhauer Mathias Obermayr geschaffen worden, dessen Eigenart es
unter anderem war, wirkliche Gegenstände in die Rahmen seiner Werke einzubauen. So
wie hier die Bücher finden sich Nägel und Dornenkrone in den Umrahmungen des dortigen
Kreuzweges. Die Bücher unseres Altares sind als Attribute jener Heiligen zu verstehen,
deren Figur wir über dem Altar erkennen, nämlich der heiligen Katharina von Alexandrien.
Bücher stehen für ihre rezeptive, ihre belesene Gelehrsamkeit, während auf den Konsolen
richtige Tintenfässer mit Schreibfedern darin auf ihre produktive, ihre lehrende Tätigkeit
verweisen sollen. Schließlich gilt sie ja auch als Patronin der Universitäten.
Eine
im 6. Jahrhundert entstandene Legende schildert sie als besonders schöne, besonders
kluge und besonders trotzige Tochter eines Königs Kostos von Alexandria. Die heidnisch
Erzogene sei damals von einem Einsiedler für das Christentum gewonnen und in aller
Heimlichkeit getauft worden. In jener Zeit hatte der römische Kaiser Maximinus Daius,
der von 305-315 regierte, die Christen arg verfolgt. Weil nun Katharina ein Götzenopfer
verweigerte, stellte der Kaiser sie zur Rede, geriet aber wegen ihrer Klugheit und
Rhetorik schlimm in Verlegenheit. Um sie der Lüge zu überführen, rief er 50 Weise
und Philosophen aus seinem Reich zusammen, die aber allesamt Katharinas Redekunst
und Überzeugungskraft nicht gewachsen waren. Sie wurden schließlich sogar zu Christen.
Wütend darüber ließ der Kaiser alle 50 auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Und er wütete
gegen Katharina. Er ließ sie grausam martern, aber sie erholte sich immer wieder nach
aller Pein. Schließlich zerbrach auch ein Rad, auf das sie geflochten wurde. Darum
wird sie, so wie hier in Windberg, immer mit einem Rad dargestellt. Und im Volksmund
heißt es über die drei Frauen unter den vierzehn Nothelfern: „Barbara mit dem Turm,
Margaret mit dem Wurm, Katharina mit dem Radl. Das sind die drei heiligen Madl.“ Schließlich
habe der Kaiser Katharina dann enthaupten lassen. Ihren Leichnam sollen Engel zum
Berge Sinai verbracht haben, wo zur Zeit der Entstehung ihrer Legende das berühmte
Katharinenkloster gebaut wurde, worin sich bis heute älteste Handschriften befinden.
Weil
Katharina aber nur eine legendäre und keine historische Gestalt ist, fehlt sie seit
1969 im Generalkalender der katholischen Kirche. Historisch bezeugt ist allerdings
eine gleichfalls besonders schöne und kluge Philosophin, die ein Jahrhundert später
in Alexandria gewirkt hat, nämlich Hypathia; doch war diese eine Heidin. Auch sie
wurde ermordet, diesmal vom Pöbel. Vielleicht hat die Katharinenlegende Züge dieser
Hypathia der christlichen Märtyrerin verliehen.
Nun ist es keineswegs ein Zufall,
dass unsere Geschichte in Alexandria spielt. Denn diese Stadt am südlichen Rande des
Mittelmeeres im ägyptischen Nildelta war mit ihrer Philosophenschule, ihrem Museion,
ihrer Bibliothek und ihrer christlichen Katechetenschule über Jahrhunderte das geistige
Zentrum, in dem griechische Philosophie, jüdische und christliche Religion sich begegneten.
Hier sprach Justin bereits im 2. Jahrhundert von Sokrates als dem Christen vor Christus.
Hier wurde im 3. Jahrhundert die Bibel von 72 Theologen aus dem Hebräischen ins Griechische
übersetzt, die Septuaginta. Hier arbeiteten Gelehrte über Jahrhunderte daran, das
Christentum mit der griechischen Philosophie zu verbinden. Hier begann die gewaltige
Synthese von fides et ratio, von christlichem Glauben und griechisch geprägter Vernunft.
Beide befruchten sich bis heute gegenseitig.
Mit der heiligen Katharina von
Alexandrien wird darum das Ideal einer christusgläubigen Philosophin verehrt, die
ihren Glauben nicht im Widerspruch zur Vernunft verstand, sondern vielmehr Vernunft
und Glauben als sich gegenseitig ergänzend, ja, sogar aufeinander angewiesen.
In
seiner Regensburger Rede hat Benedikt XVI. davon gesprochen, dass man mit der Vernunft
nach Gott fragen müsse. Und er zitierte den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaeologus,
dass es eines rechten Denkens, also der Vernunft bedürfe und der Fähigkeit zur guten
Rede, also der Rhetorik, um Menschen zum Glauben zu führen. Schließlich, so der Theologenpapst
in Regensburg, sei es ja kein Zufall gewesen, dass die christliche Botschaft mit griechischem
Denken zusammengetroffen sei. Im ersten Satz des Johannesevangeliums werde das evident:
In principio erat verbum, im Anfang war das Wort; im Griechischen der logos, Inbegriff
der Vernunft.
Allerdings, so hieß es auch in dieser Regensburger Rede, dürften
Wissenschaft und Vernunft nicht in selbstverfügter Beschränkung auf das im Experiment
falsifizierbare verkürzt werden; vielmehr sei die ganze Weite der Vernunft zu eröffnen.
Man
bedenke schließlich, dass der Glaube an Gottes Schöpfungsauftrag für den Menschen
erst den Freiraum für forschendes Denken und für die Gestaltung der Welt eröffnet
hat – und dass vernünftiges Denken den Menschen, wenn er ehrlich sucht, auf den Weg
zum Glauben leiten kann.
Wenn Sie, verehrte Hörerinnen und Hörer von Radio
Vatikan, im kommenden Jahr zwischen Regensburg und Passau unterwegs sind, dann vergessen
Sie nicht den Abstecher nach Windberg und lassen Sie sich von der Katharina mit dem
Radl über die Vereinbarkeit von Vernunft und Glaube inspirieren. Nochmals Manuel Palaeologus:
„Nicht mit dem logos, nicht mit der Vernunft zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider.
Dieser
Satz, von einem byzantinischen Kaiser in der Auseinandersetzung mit dem Islam gesprochen,
möge Sie im kommenden Jahr 2014 begleiten!