Aktenzeichen: Odoardo Focherini – Gerechter unter den Völkern
Eigentlich passt die
folgende Geschichte nicht so sehr in die Zeit des Advents, in die Weihnachtszeit –
in deren Mitte das Ereignis der Geburt Jesu Christi steht. Oder doch: allein schon
deshalb, weil der Held unserer Geschichte vor genau 70 Jahren am Heiligen Abend des
24. Dezember 1944 im Konzentrationslager Flossenbürg den Märtyrertod erllitten hatte.
Er hatte im Zweiten Weltkrieg mehr als 100 Juden gerettet, indem er ihnen zur Flucht
in die Schweiz verholfen hatte. Ein Delikt, das in der Nazizeit mit dem Tod bestraft
wurde. Wir blenden zurück:
Odoardo Focherini wurde im Jahr 1907 in der norditalienischen
Stadt Carpi nahe der Provinz Modena in der Poebene geboren. Seine Eltern erziehen
ihn streng katholisch. Als Junge ist er Pfadfinder der katholischen Jugend – eine
der wenigen Freizeitgestaltungen, denen das faschistische Regime einen gewissen Freiraum
zubilligte. Nach dem Hochschulabschluss heiratet der intellektuelle 26-jährige Odoardo
Maria Marchesi, sie bekommen zwischen den Jahren 1931 und 1943 sieben Kinder.
In
diesen Zeitraum fallen seine beruflichen Etappen: Er wird zunächst Versicherungsagent
der ‚Assicurazione Cattolica’ und später deren leitender Inspektor. Er verrichtet
seine Aufgabe im Raum von Modena, Bologna und Verona. Außerdem übernimmt er ehrenamtlich
den Vorsitz der Katholischen Aktion und bildet sich zum Journalisten aus. Er berichtet
über die wichtigsten diözesanen Ereignisse, über die nationalen Eucharistischen Kongresse
sowie über alles, was das soziale und kirchliche Leben jener Zeit bestimmte und beeinflusste.
1939 übernimmt er die Aufgabe des Geschäftsführers der Zeitung ‚Avvenire d’Italia’
mit Hauptsitz in Bologna und fängt an, sich zu Gunsten der Juden einzusetzen. Mit
Vertrauensleuten baut er ein Hilfsnetz auf, das ihm erlaubt, blanko Personalausweise
zu besorgen, sie mit falschen Namen auszufüllen und die vom faschistischen Regime
verfolgten Juden bis an die rettende Grenze der Schweiz zu führen. Insgesamt sind
es über hundert Männer, Frauen und Kinder. Diese als sicher geltende Rettungsmöglichkeit
wird bald bekannt und aufgedeckt.
Am 11. März 1944, während Odoardo Focherini
dabei ist, eine weitere Flucht für - ihm selbst oft völlig unbekannte - Juden zu organisieren,
wird er im Krankenhaus von Carpi festgenommen und kuzerhand ins Gefängnis gebracht.
Von Bologna wird er zunächst nach Fossoli versetzt, von dort in das Zwischenlager
von Gries bei Bozen in Südtirol und dann am 7.September nach Flossenbürg deportiert,
wo er am Heiligen Abend 1944 nach einer unbehandelten Blutvergiftung unter unbeschreiblichen
Schmerzen starb. Angeblich hatte er sich mit einem Stacheldraht an einem Bein verletzt.
Zeugnis dieser furchtbaren Tage, Wochen und Monate sind seine Briefe,
die er seiner Frau, seiner Mutter und seinen Kindern zukommen lässt: hunderte Tricks,
die ihm erlauben, sich mit seiner Familie zu verständigen, und irgendwie in Verbindung
zu bleiben, Liebesbriefe an die leidenschaftlich geliebte Frau und der ständige Gedanke
an seine lieben Kinder, die er in ungewissen und so äußerst schwierigen Zeiten verlassen
musste. In dem Brief an seinem Schwager, der ihn vorwarf, zu leichtsinnig gehandelt
und somit sich und seiner Familie geschadet zu haben, heißt es:
„Wenn du gesehen
hättest, was sie diesen Menschen in den Lagern angetan haben, würdest du nichts bereuen,
außer die Tatsache, sich nicht noch mehr für sie eingesetzt zu haben und so eine noch
größere Anzahl gerettet zu haben.“
Kurz vor seinem Tod hinterließ Focherini
sein geistiges Vermächtnis, das er noch einem ‚Maresciallo’ der Carabinieri übergeben
konnte. Seine letzten Worte lauten darin:
„Meine lieben Kinder …..ich möchte
sie noch gerne vor meinem Sterben sehen….nimm dieses Opfer, oh Herr, an und schau
Du auf sie, auf meine Frau, auf meine Eltern, auf alle meine Lieben. Ich sterbe im
reinsten Glauben an die katholische und apostolische Kirche und unterwerfe mich ganz
dem Willen Gottes. Ich sterbe für meine Diözese, für die Katholische Aktion, für die
Tageszeitung ‚Avvenire’ und für die Rückkehr des Friedens auf der Welt. Bitte lasst
meine Frau wissen, dass ich ihr stets treu geblieben bin und dass ich sie immer unendlich
geliebt habe.“
Überhaupt erfasst man die ganze Persönlichkeit Odoardo Focherinis,
seine Herzensbildung, seine Lebensart am besten aus seinen Briefen aus dem Konzentrationslager
Flossenbürg an seine Frau und an seine Kinder. Im folgenden Brief glaubt er immer
noch an eine Rückkehr nach Hause:
„Die Tage sind lange hier, aber ich hoffe
und bete, dass sie bald vorbei sein werden. Es begleiten dich stets meine liebevollen
und anerkennenden Gedanken für all das, was du für die Kinder tust und für die Geduld,
mit der du alles erträgst. Küsse sie alle. In vertrauensvoller Erwartung, Dein Odoardo.“
Folgenden
Brief schreibt Odoardo Focherini noch in der Zeit, als er im Übergangslager in Gries
bei Bozen inhaftiert war. Es gelingt ihm, ihn abzuschicken. Gerichtet ist er an seine
Kinder.
„Meine lieben Kinder, diese Zeilen richten sich an euch und nur an
euch. Ihr müsst erraten, aus welcher Stadt ich euch schreibe. Einverstanden? Ja? Wenn
ich wieder bei euch sein werde, bekommt jener, der es erratet, einen Preis. Mir geht
es sehr gut und ich befinde mich zur Zeit in einer schönen Stadt. Sie ist von wunderbaren
und farbenfrohen Bergen, Wäldern und Wiesen umgeben. Etwas weiter entfernt erheben
sich hohe Felsenwände und eine Bergkette, die am Abend wegen ihrer schönen Färbung…….aber
jetzt verrate ich schon zu viel. Wisst ihr schon, um welche Stadt es sich handelt?
Nein? Dann füge ich noch etwas hinzu: die Färbung dieser schönen Berge ist mit einer
Legende verbunden. So, genug der Worte. Eure Mutti darf euch nicht helfen. ausgemacht?
Ihr müsst es selbst herausfinden. Der Preis, den ich euch bringen werden, ist wundervoll.“
Odoardo
Focherini konnte den Preis nicht mehr an seine Kinder übergeben. Er starb, wie
gesagt an einem Weihnachtstag im Jahre 1944 im Konzentrationslager des ‚Deutschen
Reiches’ in Flossenbürg. Unter den verschiedenen Anerkennungen, die Focherini posthum
erhielt, sind zu nennen die goldene Medaille der israelischen Gemeinschaften sowie
der Ehrentitel ‘Gerechter unter den Völkern’. Am 10 Mai 2012 hatte Papst Benedikt
XVI. emeritus die Seligsprechungskongregation in Rom bevollmächtigt, Odoardo Focherini
selig zu sprechen. Papst Franziskus hat ihn am 16. Juni dieses Jahres auf dem Petersplatz
zum Seligen erhoben und sagte im Anschluss an den Angelus:
„Liebe Brüder und
Schwestern! Am Ende dieser Eucharistiefeier, die dem Evangelium des Lebens geweiht
ist, freut es mich, daran zu erinnern, dass gestern in Carpi Odoardo Focherini, Ehemann,
Vater von sieben Kindern und Journalist, seliggesprochen wurde. Er wurde aus Hass
auf seinen katholischen Glauben gefangen genommen und eingekerkert und starb 1944
im Konzentrationslager von Hersbruck im Alter von 37 Jahren. Er rettete zahlreiche
Juden vor der nationalsozialistischen Verfolgung. Gemeinsam mit der Kirche in Carpi
wollen wir Gott für diesen Zeugen des Evangeliums des Lebens danken! Wir wenden
uns jetzt an die Gottesmutter und empfehlen ihrer mütterlichen Obhut jedes menschliche
Leben, besonders das gebrechlichste, wehrloseste und am meisten bedrohte.“