Papst Franziskus stellt
die Kirche auf radikale Weise vor die Frage, ob sie genug für die Armen lebt: Das
hat Kardinal Christoph Schönborn am Mittwochabend bei der traditionellen Adventbegegnung
mit Mitarbeitern des ORF im Wiener Franziskanerkloster erklärt. Der Wiener Erzbischof
belegte seine Aussage mit einem Zitat aus Evangelii Gaudium, wo es heißt: ,Jede beliebige
Gemeinschaft in der Kirche, die beansprucht, in ihrer Ruhe zu verharren, ohne sich
kreativ darum zu kümmern und wirksam daran mitzuarbeiten, dass die Armen in Würde
leben können und niemand ausgeschlossen wird, läuft die Gefahr der Auflösung, auch
wenn sie über soziale Themen spricht und die Regierungen kritisiert. Sie wird schließlich
leicht in einer mit religiösen Übungen, unfruchtbaren Versammlungen und leeren Reden
heuchlerisch verborgenen spirituellen Weltlichkeit untergehen.' (EG, 207).
„Das
ist eine Sprache, die man nicht in Päpstlichen Lehrschreiben gewohnt war. Der Papst
legt die Latte sehr hoch, denn diese Worte kann man nicht als Rhetorik zur Seite schieben.
Reden über soziale Themen und das Kritisieren der Regierung reichen nicht. Es stellt
sich wirklich die Frage: Leben wir in ausreichendem Maß mit und für die Armen?
So
der Wiener Erzbischof vor den über 150 anwesenden Journalisten. In seinem apostolischen
Schreiben mahne der Papst auch die europäische Gesellschaft, etwa ihre Ängste vor
Migranten und Flüchtlingen zu überwinden: Eine großherzige Öffnung zerstöre laut Franziskus
nicht die eigene Identität, sondern schaffe neue kulturelle Synthesen, wie dies etwa
in Lateinamerika zu beobachten sei. Zu dieser Großherzigkeit und zur Ausrichtung auf
die Armen rufe der Papst auch durch seine Taten und Gesten auf, auf denen seine mediale
Stärke beruhe, so der Wiener Erzbischof.
„Diese Gesten sind bei ihm nicht
aufgesetzt um irgendeinen medialen Effekt zu erheischen, sondern sie entsprechen einer
inneren Selbstverständlichkeit, der er sich auch mit großer Kraft und Entschiedenheit
bedingt. Der Papst macht es einfach. Er ist ein großer Entscheider. Das wird sicher
auch noch manche Überraschungen geben.“
Viel zuhören und sich beraten lassen
und dann entscheiden, das sieht Schoenborn als eine Stärke des Papstes. Herausfordernd
und unbequem sei Franziskus mit der Wahl der Flüchtlingsinsel Lampedusa als Ziel seiner
ersten Reise gewesen und mit der ständigen Verwendung eines bescheidenen Fahrzeugs,
was etwa beim Weltjugendtag in Rio de Janeiro deutlich sichtbar gewesen sei, führte
Schönborn weiter aus.
Rücktritt von Benedikt XVI: „geschichtlicher
Einschnitt“ Rückblickend auf das Jahr 2013, hob Schönborn die Rücktrittserklärung
von Papst Benedikt XVI. am 11. Februar als „geschichtlichen Einschnitt“ hervor, der
erst den Boden für das Geschehen des Konklaves bereitet habe. „Dieser Schritt eines
Papstes, der sagte 'Die Aufgaben sind groß, doch ich habe nicht mehr die Kraft für
sie', war eine große Überraschung für uns alle. Dieser Akt hat erst jene Dynamik ausgelöst,
die zur Wahl von Papst Franziskus geführt hat.“
Nach der Papstwahl im März
sei er selbst „happy, beschwingt, beglückt" gewesen, gestand der Kardinal. Unglaublich
sei, wie dieses Ereignis die Menschen weltweit berührt habe, wobei die Medien eine
wichtige Rolle als Vermittler gespielt hätten. Er sei erfreut darüber, dass in Folge
auch über den Weltjugendtag, der die Vitalität der lateinamerikanischen Kirche gezeigt
habe, „deutlich ausgiebiger als in früheren Jahren“ berichtet worden sei.