Die kirchliche Sexualmoral spielt für neun von zehn katholischen Jugendlichen keine
Rolle. Das ergab eine am Dienstagabend in Düsseldorf veröffentlichte Online-Umfrage
des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). An ihr beteiligten sich nach
Angaben des Verbands knapp 10.000 Menschen. Die Umfrage mache deutlich, dass die Jugendlichen
und jungen Erwachsenen die kirchliche Meinung zu Ehe und Familie zwar kennen, mehrheitlich
aber kritisch sähen, sagte BDKJ-Bundesvorsitzender Dirk Tänzler. Er sieht „eine riesige
Kluft zwischen der Lehre der Kirche und der Alltagswirklichkeit junger Katholiken“.
Sex vor der Ehe und Verhütung „gehören zu ihrem Beziehungsleben selbstverständlich
dazu“, so Tänzler. Die jungen Katholiken gingen allerdings feste Bindungen ein und
wollten ihre Partnerschaft ganzheitlich leben.
In allen deutschen Bistümern
werden derzeit die Antworten auf einen aus dem Vatikan stammenden Fragebogen zu Ehe,
Familie und Sexualmoral ausgewertet. Papst Franziskus will u.a. auf diese weltweiten
Umfragen gestützt zwei Bischofssynoden zum Thema Ehe und Familie vorbereiten; sie
finden im Herbst 2014 und 2015 im Vatikan statt. Auch die Umfrage des Bistums Essen
bestätigt eine Differenz zwischen kirchlicher Lehre und dem Leben der Katholiken.
Zwar handle es sich nicht um eine repräsentative Untersuchung, erklärte der Leiter
der Seelsorgeabteilung, Domkapitular Michael Dörnemann, am Dienstag; es sei aber „ein
aussagekräftiges Gesamtbild“ entstanden. Demnach leben Jugendliche und junge Erwachsene
in der Regel in vorehelichen Beziehungen zusammen. Wegen des Gefühls, gegen kirchliche
Werte zu verstoßen, würden sie sich oft der Kirche gegenüber verschließen. Zudem stellten
„irreguläre“ Ehen zunehmend die normale Familiensituation dar. Mehrheitlich sprechen
sich die Befragten dafür aus, homosexuellen Paaren eine kirchliche Segensfeier zu
ermöglichen.
„Die Umfrage öffnet uns nochmals die Augen“, schreibt der
Mainzer Bischof Karl Lehmann zu den Ergebnissen in seinem Bistum. Sie erweckten „den
Eindruck einer fatalen Situation“, so Lehmann unumwunden. „Eigentlich wissen wir schon
lange darum. Vieles wurde verdrängt. Jetzt bietet uns Papst Franziskus auf mehrere
Weisen die Chance einer klaren Wahrnehmung und dann auch einer entschlossenen Heilung
der aufgezeigten Mängel.“ Aus dem Bistum Mainz habe es über 900 Rückmeldungen auf
den Fragebogen gegeben. Die meisten Einsendungen kamen von Einzelpersonen und Ehepaaren,
rund zehn Prozent der Einsendungen gaben die Meinung von diözesanen und pfarrlichen
Räten, Gremien, Pastoralteams und Verbänden wieder.
Im Erzbistum München
und Freising haben sich an der Online-Umfrage 834 Gläubige beteiligt. Alle eingegangenen
Antworten werden nach den Weihnachtstagen anonymisiert auf der Homepage des Erzbistums
veröffentlicht. Die Antworten seien teilweise sehr ausführlich ausgefallen; etwa die
Hälfte hätten „gute theologische und kirchliche Kenntnisse“ besessen. Die Bandbreite
der Rückmeldungen bilde „die gesellschaftliche Realität von Lebensformen im Großraum
München und im Gebiet der Erzdiözese gut ab“, heißt es in der Auswertung der Redaktionsgruppe.
Im Bistum Augsburg zeigt man vor allem froh über das große Interesse am
Fragebogen. Was die Ergebnisse betrifft, sieht Diözesanfamilienseelsorger Christian
Öxler ein breites Meinungsspektrum: „Es reicht von einer Übereinstimmung mit den Positionen
des Lehramts der katholischen Kirche bis hin zu sehr kritischen Anmerkungen“, so Öxler.
Die Ehevorbereitung im Bistum werde von vielen Befragten beispielsweise als gute Unterstützung
auf dem Weg zur Trauung gesehen, anderen gehe sie zu wenig in die Tiefe. Beim Thema
der Geschieden-Wiederverheirateten sei diese Meinungsbreite ebenfalls zu sehen, so
Öxler. „Betroffene sehnen sich sehr nach der vollen Teilnahme an den Sakramenten,
andere betonen, dass es notwendig sei, sich in Demut zu üben und die Nähe Gottes im
Gebet und der geistlichen Kommunion zu erbitten.“ Bei einigen Zusendungen habe es
auch Rückfragen zur eher theologisch gehalten Sprache gegeben. Es sei jedoch im Sinne
eines weltweit einheitlichen Stimmungsbildes wichtig gewesen, die Fragen so zu belassen
und diese nicht durch eine Neufassung zu interpretieren.