Die Kirchen in der Ukraine haben an die Demonstranten in Kiew appelliert, auf die
staatliche Gewalt nicht mit Gegengewalt zu reagieren. „Wir bitten euch, nicht eine
noch größere Eskalation der Gewalt zuzulassen, die zu noch tragischeren Konsequenzen
führen könnte. Wir dürfen nicht mit Gewalt auf Gewalt reagieren“, heißt es laut der
Kiewer Religions-Nachrichtenagentur RISU in dem Aufruf des Oberhaupts der Ukrainischen
griechisch-katholischen Kirche, Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk. Ähnlich äußerte
sich die Leitung der Ukrainisch-orthodoxen Kirche im Kiewer Patriarchat. Vor einer
Spaltung in der Gesellschaft warnte der Kiewer Metropolit Wolodymir Sabodan von der
dem Moskauer Patriarchat zugehörigen Ukrainisch-orthodoxen Kirche. Der Bischof ruft
darin zum Gebet auf, um „Frieden, Liebe, Überwindung von Zwietracht und Hass, Bewahrung
vor Gewalt sowie Lösung von Missverständnissen“ zu erreichen.
Rathaus
weiter besetzt Unterdessen forderten auch am Montag bei erneuten Protesten
Tausende Oppositionsanhänger direkt im Regierungsviertel in Kiew den Rücktritt von
Ministerpräsident Nikolai Asarow. Ein Amtsverzicht des engen Vertrauten von Staatschef
Viktor Janukowitsch wäre ein „erster wichtiger Schritt“, sagte Arseni Jazenjuk von
der Vaterlandspartei der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Hunderte
Demonstranten hielten weiter die Gewerkschaftszentrale und das Rathaus besetzt. Die
Polizei rief die Oppositionsanhänger auf, die Gebäude unverzüglich zu räumen. Beobachter
sprachen von deutlich weniger Demonstranten als am Vortag, als bis zu 500.000 Menschen
den Rücktritt von Asarow und Janukowitsch sowie einen Westkurs ihres Landes gefordert
hatten.
Etwa 5.000 Menschen harrten auch in der Nacht zum Montag im Zentrum
von Kiew aus. Sie errichteten auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz Majdan zahlreiche
Zelte und auch Barrikaden. Ein Sprecher der Opposition um Boxweltmeister Vitali Klitschko
kündigte am Morgen neue Blockaden an. Am Rande der Kundgebung kam es am Sonntag zu
schweren Zusammenstößen von Randalierern mit der Polizei. Sicherheitskräfte setzten
am Sonntag massiv Tränengas und Blendgranaten ein. Dabei seien insgesamt mindestens
165 Menschen verletzt worden, darunter auch Journalisten, teilten die Behörden der
Ex-Sowjetrepublik mit. Fast 50 Sicherheitskräfte und zahlreiche Protestierer mussten
in Kliniken behandelt werden. Mindestens 22 Menschen wurden festgenommen.
Der
für die Nachbarschaftspolitik zuständige EU-Kommissar Stefan Füle forderte einen sofortigen
Dialog für eine friedliche Lösung. Parlamentspräsident Wladimir Rybak bot den Fraktionen
einen Runden Tisch an. Mitglieder sowohl der Regierung als auch der Opposition sollten
den brutalen Polizeieinsatz in der Nacht auf Samstag aufklären, bei dem eine Sondereinheit
EU-Befürworter auf dem Majdan niedergeknüppelt hatte. Das Vorgehen hatte die Proteste
noch angeheizt.
Hintergrund Entzündet hatten sich die Demonstrationen
daran, dass Präsident Janukowitsch auf dem EU-Gipfel zur östlichen Partnerschaft die
Unterschrift unter ein weitreichendes Abkommen mit der EU verweigert hatte. Zuvor
hatte Russland dem Nachbarland mit massiven Handelssanktionen gedroht. Regierungschef
Asarow verteidigte die Entscheidung. Die Ukraine hätte große wirtschaftliche Verluste
zu befürchten gehabt, sagte Asarow in Fernsehinterviews. Auch in zahlreichen anderen
Städten gab es Proteste, meist im proeuropäisch geprägten Westen. Im russischsprachigen
Süden und Osten der Ukraine hingegen beriefen mehrere Gebietsparlamente für Montag
außerordentliche Sitzungen ein. Dabei wollten sie Janukowitsch ihre Unterstützung
aussprechen. Die ehemalige Sowjetrepublik ist in der Frage einer EU-Annäherung tief
gespalten.