2013-12-02 15:27:25

Ukraine: Kirchen rufen zu Gewaltverzicht auf


RealAudioMP3 Keine Gewalt – mit diesem Appell versuchen die Kirche in der Ukraine die aufgebrachten Demonstranten zu beschwichtigen und weiteres Blutvergießen zu verhindern. Eine noch größere Eskalation der Gewalt könne „zu noch tragischeren Konsequenzen führen“, warnte Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, das Oberhaupt der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, laut Medienberichten. Ähnlich äußerte sich die Leitung der Ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchates.

Hunderttausende Befürworter einer EU-Annäherung waren am Wochenende in dem Land auf die Straße gegangen. Sie forderten den Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch. Schwere Krawalle überschatteten am Sonntag die Demonstrationen im Zentrum von Kiew, Sicherheitskräfte hatten massiv Tränengas und Blendgranaten gegen Randalierer eingesetzt. Dabei seien insgesamt mindestens 165 Menschen verletzt worden, darunter auch Journalisten, teilten die Behörden der Ex-Sowjetrepublik mit. Die Wurzeln der aktuellen Krise reichen tief. Das betont Bischof Borys Gudziak von der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche im Gespräch mit Radio Vatikan. Der heute in Paris residierende Geistliche leitete ehemals die Ukrainische Katholische Universität von Lemberg.

„Ich tue nicht so, als wäre ich ein Prophet. Es ist schwer, vorherzusagen, wie die Dinge hier ausgehen werden. Die Wurzeln der aktuellen Krise sind tiefgehend: Die Ukraine ist eine post-totalitäre, post-genozidale und eine post-koloniale Gesellschaft und Nation. Es ist klar, dass bei den jüngsten Entwicklungen der Druck von Russland vorherrschend war.“

Die tieferen Gründe der Auseinandersetzung

Am meisten fürchteten die Menschen jetzt, dass es von russischer Seite einen militärischen Eingriff geben könnte, so der Bischof weiter. Die Kirche bete in der aktuellen Lage dafür, dass die Situation nicht eskaliere. In der Ukraine gebe es ein breites Drängen für Frieden und Gerechtigkeit, versichert Gudziak. Die Vereinigung mit Europa würde seiner Ansicht nach zumindest in einigen Bereichen Verbesserung bringen, etwa bei der Korruptionsbekämpfung. Die Bevölkerung wolle heute einen Schlussstrich unter die schwere Vergangenheit des Landes setzten, so der Bischof weiter.

„Jahrhunderte lang hatten die Ukrainer nichts und es war ihnen verboten, sie selber zu sein, sie waren politisch nicht frei, ihre Kultur wurde unterdrückt, ihre Sprache verboten, ihre Kirchen waren illegal. Deshalb sind sie sehr traumatisiert von dieser vergifteten Vergangenheit. Die Hoffnung der jungen Generation ist, dass ein neues Kapitel der Geschichte geschrieben werden kann: Ein Kapitel des Friedens, der Gerechtigkeit und des Aufschwungs.“

Von diesem Geist der jungen Leute und ihrer Hoffnung seien viele angesteckt worden, deshalb habe es auf die Angriffe gegen die Demonstranten so eine starke Reaktion gegeben, erklärt Gudziak.

„Die Kirchen setzen sich dafür ein, dass die Regierung keine Streitmacht einsetzt, und sich nicht von den Stimmen beeinflussen lässt, die sagen, dass Macht mit Gewalt erhalten werden müsse. Wir hoffen, dass das Gewissen der Menschen an der Macht zu ihnen sprechen wird und dass die Gerechtigkeit erhalten bleibt.“

Entzündet hatten sich die Demonstrationen daran, dass Präsident Janukowitsch auf dem EU-Gipfel zur östlichen Partnerschaft seine Unterschrift unter ein weitreichendes Abkommen mit der EU verweigert hatte. Zuvor hatte Russland dem Nachbarland mit massiven Handelssanktionen gedroht. Der Wunsch der Leute Teil der EU zu sein, entspreche einer tieferen Sehnsucht nach Werten, die es bei der jahrzehntelangen Unterdrückung nie gab, meint Bischof Gudziak:

„Die Menschen haben von Generation zu Generation in Ungerechtigkeit gelebt. Und jetzt suchen sie heute diese Gerechtigkeit, diesen Frieden, sie wollen Demokratie. Und die plötzliche Verneinung der Möglichkeit, der EU beizutreten, nach all den Jahren der Vorbereitungen dafür, das zeigt der jungen Generation, dass sie von diesen Autoritäten keine Gerechtigkeit erhalten wird und deshalb protestieren sie gegen sie.“

Etwa 5.000 Menschen harrten auch in der Nacht zum Montag im Zentrum von Kiew aus. Sie errichteten auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz Majdan zahlreiche Zelte und auch Barrikaden. Ein Sprecher der Opposition um Boxweltmeister Vitali Klitschko kündigte zudem am Montagmorgen neue Blockaden an. Parlamentspräsident Wladimir Rybak bot den Fraktionen unterdessen einen Runden Tisch an: Mitglieder sowohl der Regierung als auch der Opposition sollen den brutalen Polizeieinsatz in der Nacht auf Samstag aufklären, bei dem eine Sondereinheit EU-Befürworter auf dem Majdan niedergeknüppelt hatte.

(rv/kap 02.12.2013 sta)









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