Vermutlich hatte noch
nie eine Frau im Vatikan so viel Macht wie eine Ordensschwester aus Altötting, Schwester
Pascalina. Sie stand 40 Jahre an der Seite von Eugenio Pacelli, zunächst Nuntius in
Deutschland, später Papst Pius XII. in Rom. Von einer einfachen Haushälterin stieg
sie zur Privatsekretärin des Papstes auf. Über das Schicksal dieser Persönlichkeit
wurde schon viel geschrieben, aber niemand hat das Leben dieser außergewöhnlichen
Frau mit einer solchen Akribie und belegbaren historischen Dokumentation gezeichnet
wie die deutsche Historikerin Martha Schad mit ihrem Werk ‚Gottes mächtige Dienerin’.
Seither sind dreißig Jahre vergangen, Schwester Pascalina verstarb im Jahre 1983.
Wir sprachen mit der bekannten Autorin, Wissenschaftlerin und, was in diesem Zusammenhang
nicht unwichtig ist, zu erwähnen, Protestantin und haben sie vor das Mikrofon von
Radio Vatikan gebeten.
Frau Doktor Schad, wer war Madre Pascalina wirlich?
Welche waren die Kernpunkte im Leben dieser bedeutenden Persönlichkeit? Eigentlich
sagt schon der dramatische Titel dieses Buches viel aus – ‚Gottes mächtige Dienerin’.
„Also
in meinem Denken und im Denken vieler, die das Buch schon kennen, ist es durchaus
richtig. Sie diente. Sie diente aber einem ganz besonderen Herrn und die Macht muss
man eben definieren. Und sie war natürlich nicht mächtiger als der Papst selbst. Das
wird leider immer wieder in diese Richtung geschoben, sie sei so unendlich mächtig
gewesen. Nein, sie war eine wichtige Person im Leben dieses großen Papstes.“
Frau
Schad, ihr Buch ist 250 Seiten stark, wir haben nur zehn Minuten Zeit. Es war damals
ja ungewöhnlich eine bayerische Ordensschwester in den Vatikan zu holen. Dazu musste
selbst der Papst eine eigene Bewilligung einholen. Wie hat das alles begonnen? Worin
bestand nun das Dienen von Schwester Pascalina?
„Sie war ja eine Nonne im
Kloster in Altötting und wird nun erstmal als Hausgehilfin nach München zum eben angekommenen
Nuntius Pacelli gesandt und ist erstmal wirklich im Haushalt tätig. Ich habe aber
Originalbriefe, handgeschriebene Briefe des damaligen Nuntius bekommen, in denen er
schon in der Münchner Zeit, in dieser frühen Zeit, Pascalina bittet, für ihn schon
mal die Korrespondenz, die in München angekommen war, er war damals in Rom, durchzusehen.
Also er sieht in ihr eine sehr kluge Haushälterin, die dann aus dem Bereich des Haushalts
aufsteigt. Privatsekretärin gefällt mir auch gut, aber letztendlich wird sie eine
Vertraute dieses Nuntius und späteren Papstes.“
Schwester Pascalina war
also nicht nur für den Haushalt der Nuntiatur, zunächst in München, dann in Berlin
und schließlich für den päpstlichen Haushalt in Rom verantwortlich, sondern verfügte
über entsprechende Vollmachten. Hat sie diese Vollmachten durch ihre besonderen Talente,
durch ihre Intelligenz oder mehr durch ihre praktische Veranlagung Schritt für Schritt
erworben?
„Alles, was Sie eben sagten, stimmt. Es ging Schritt für Schritt,
aber es muss eine große Intelligenz da gewesen sein, obwohl ihre Schulbildung, was
wir damals so nannten, eine Volksschule war. Sie kann kein Wort Italienisch, als sie
nach Rom kommt. Sie spricht sehr schnell Italienisch. Sie bringt sich selbst Englisch
bei und sie ist so klug, dass da der damalige Generalstaatssekretär sie sogar mit
auf Reisen nimmt. Und noch mal zurückgeblendet, selbst die Nuntiatur, das Gebäude
in Berlin, das legt der Nuntius damals in die Hand dieser Schwester und bittet sie,
da sich zu engagieren. Also sie war auch praktisch sehr klug und sie kann das Haus
aussuchen und heute würde man sagen, sie hatte sogar so was wie Bankvollmacht damals.“
Dritte
und zum Titel Ihres Buches nach vielleicht wichtigste Frage: Worin bestand, sagen
wir einmal, die sichtbare Größe von Schwester Pascalina?
„Darin, oder ist
zu sehen, dass sie eine demütige Nonne bleibt, obwohl sie sehr weit oben ist, wenn
man das aus heutiger Sicht betrachtet. In einer Welt, in der es ja Frauen kaum gab,
und sie nun wirklich dieses Vertrauen des Papstes hat. Aber sie bleibt loyal, sie
gibt keine Interviews, also wie man das heute vielleicht kennen würde, dass Menschen
geschwätzig sind, die so hoch nach oben kommen. Sie lässt sich nicht fotografieren
mit dem Heiligen Vater. Sie will also im Hintergrund bleiben und eben dienen.“
Wollen
wir kurz die Rolle der Frau antasten. Welche Rolle als Frau würden Sie Schwester Pascalina
zugestehen?
„Also ich sehe die Schwester Pascalina eher als Vorreiterin einer
Bewegung, die es heute ganz explizit gibt, nämlich – mehr Frauen in den Vatikan. Und
auch beim ersten Radiointerview mit dem heutigen Papst war ja auch davon die Rede,
dass Frauen durchaus heute in hohe Ämter kommen, auch im Vatikan. Und sie ist ein
Paradebeispiel, die Schwester Pascalina, wie tüchtig Frauen an solchen Stellen sind
und sein können.“
Etwas überraschend erfährt man aus Ihrem Buch, dass Schwester
Pascalina einen Lieblingsheiligen hatte, nämlich den heiligen Josef. Gibt es dazu
einen erkennbaren Beweggrund, Frau Schad?
„Ja, den gibt’s ganz sicher. Also
sie hat den Klosternamen Pascalina und in Berlin gibt’s diese hübschen Episoden, dass
der spätere Kardinal Galen ihr immer gratulierte an Ostern und sagte, Pasqua ist Ostern
und Pascalina hat an Ostern Namenstag. Und sie wehrt sich immer und sagt, ‚Nein, ich
war doch auf den Namen Josephine getauft’. Und deshalb ist der heilige Josef dann
der Heilige, der ihr am Nächsten steht. Und dass heute im St. Petersdom ein schöner
St. Josefs Altar ist, das geht auf Schwester Pasqualina zurück. Es ist ein Altar,
der aus, in Mosaik gearbeitet ist. Und er gefiel ihr nicht ganz so gut, weil der heilige
Josef das Jesuskindlein so ein bisschen, ja, lasch im Arm hält. Und sie habe dann
oft gesagt, haben mir Schwestern erzählt, ‚Heiliger Josef, pass gut auf das Kindlein
auf’.“
Das Vertrauen des Papstes zu Schwester Pascalina und umgekehrt,
das Vertrauen der Schwester zu Pius XII. muss ja fast grenzenlos gewesen sein. Kann
man sagen, dass sie die Hüterin der Geheimnisse von Eugenio Pacelli war?
„Ja,
das würde ich schon sagen. Sie war die Hüterin seiner Geheimnisse, ganz profan seines
wirklichen Haushalts mit allem, was dazu gehört, auch finanzielle Sachen damals schon
in München und Berlin. Und in der Zeit, in der der Papst dann nicht mehr so ganz gesund
ist, ist sie auch die Hüterin seiner Gesundheit. Und da wird sie oft angegriffen,
sie habe manche Personen nicht zur Audienz zugelassen. So was muss man hinterfragen.
Das hat sie getan, um ihn zu schützen, wenn er schwer krank war.“
Schwester
Pascalina besaß einen starken, vor keiner Mühe zurückschreckenden Arbeitsdrang. Hat
sie diese Veranlagung oder ähnliche Anforderungen nicht nur an sich selbst, sondern
möglicherweise auch an andere, etwas an ihre Mitschwestern gestellt?
„Ja,
das ist jetzt ein Punkt, der muss schon angesprochen werden. Wer so viel Kraft hat
wie sie, so viel Energie, erwartet auch viel von ihren Mitschwestern. Die Mitschwestern,
die mit ihr im Vatikan waren, es waren immer drei Schwestern, das lief ziemlich problemlos.
In der späteren Zeit, als sie dann schon am nordamerikanischen Priesterkolleg war,
da hatte sie manchmal schon Probleme mit den jungen Schwestern, die nach Rom kamen.
Und die Anforderungen waren Gehorsam, wie jede Nonne das ja gelobt. Gehorsam auch
der Schwester Pascalina gegenüber und da gibt’s hübsche Episoden, dass eben Schwestern
dann ins Mutterkloster nach Menzingen schreiben, ‚Wir haben die Gesetzestafeln der
Schwester Pascalina studiert und die heißen, du darfst und du darfst nicht’.“
Könnte
es sein, Frau Schad, dass sich Madre Pascalina manchmal unverstanden gefühlt hat?
Mit der römischen Familie des Papstes soll es immer wieder zu Spannungen gekommen
sein. Selbst Kardinäle konnte sich manchmal gegen Schwester Pascalina nicht durchsetzen.
Die Umwelt war ihr ja nicht immer nur gut gesonnen. Sie hatte freilich den Papst an
ihrer Seite. Aber vielleicht hat sie dennoch manchmal unter dem hohen Amt, das sie
inne hatte auch gelitten. Kann das sein?
„Ja, das hat sie sicher, denn dieses
Vertrauensverhältnis zum Heiligen Vater, das hat manche doch gestört. Und ich nenn
vielleicht jetzt mal einen Namen. Kardinal Tisserant war wohl auch, wie mir bei Recherchen
bestätigt wurde, auch ein schwieriger Kardinal. Oder der engste Mitarbeiter damals,
Montini. Und da hat’s ganz bestimmt oft auch mal Punkte gegeben, wo man sich nicht
einig war oder wo sie dann eben doch nicht beliebt war, weil sie eben dieses Vertrauen
hatte und da kommen vielleicht auch, ich wusste nicht, dass es so was gibt, im Vatikan
Eifersüchteleien auf.“
Schwester Pascalina war ja nicht nur, wie wir vernommen
haben, die Hüterin des Nuntius und späteren Papstes Pius XII. im häuslichen Bereich,
sondern auch auf dessen Reisen ins Ausland nach Südamerika und in die USA. War sie
so etwas wie heute ein Reisemarschall des Papstes, ein Padre Tucci oder ein Herr Gasbarri
etwa, oder gar eine Privatsekretärin wie heute der Privatsekretär des Papstes, Monsignore
Georg Gänswein?
„Das haben Sie sehr schön gesagt, Herr Parmeggiani. Sie
war wirklich alles zusammen, denn es war sonst niemand an seiner Seite. Und diese
Reisen erscheinen ja nicht in ihren eigenen Erinnerungen. Und da bin ich ganz glücklich
drüber, dass ich Archivmaterial gefunden habe, Postkarten, in denen Pascalina selber
über diese Reise nach Südamerika schreibt. Und jetzt muss ich noch etwas sagen, was
mir schon unangenehm ist, aber es gibt ein Buch über Schwester Pascalina im Englischen,
von einem Amerikaner geschrieben, der nun ziemlich viele romanhafte Details über diese
Reisen schreibt, die nicht belegbar sind, aber durch das gute Archivmaterial in Menzingen
durch mein Buch belegt sind. Und sie reist zum Beispiel nach Nordamerika in einem
anderen Schiff als der Kardinal Staatssekretär, man kann aber dann lesen, wie geheimnisvoll
sie diese Reise gemacht hat. Und da bin ich ganz froh, dass ich dieses Archivmaterial
aufzeigen kann. Und die Reisen waren ja auch für die Katholiken in Amerika zum Beispiel
sehr sehr wichtig und da ist die Schwester dabei. Also ihr Horizont erweitert sich
durch diese Reisen ungemein.“
War Madre Pascalina nach dem Tod Papst Pius
XII. im Grunde eine einsame Frau, ein einsamer Mensch geworden?
„Das würde
ich schon so sehen. Alle ihre Versuche, sich sehr dafür einzusetzen, dass ihr Heiliger
Vater selig oder heilig gesprochen wird, da ist sie dann eher nicht mehr die Hochwillkommene,
wo immer sie auftritt. Sie hat große Probleme mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil,
da kann sie sich nicht mit allem anfreunden. Und es ist nicht ihre glückliche Zeit,
die Zeit nach dem Tod von Papst Pius XII. Aber sie wird eine angesehene Persönlichkeit
und lebt dann in einem Haus, Casa Pastor Angelicus, ist dann eben eine, nennen wir
es mal graue Eminenz in Rom. Und hat dann noch die große Freude am 25. Todestag des
Papstes nach München und nach Wien eingeladen zu werden. Und da ereilt sie dann ihr
Schicksal insofern als sie die Augen schließt und kurz vor Abflug nach Rom verstirbt.“
Zwei
Schlussbemerkungen: Schwester Pascalina wurde im Jahre 1894 in Ebersberg bei München
als Josephine Lehnert geboren und starb hoch betagt 1983 in Wien an einer Gehirnblutung.
Sie liegt im Campo Santo Teutonico, dem deutschen Friedhof im Vatikan begraben. Das
bekannte Buch ‚Gottes mächtige Dienerin’ von Martha Schad; mit zahlreichen bisher
unveröffentlichten Fotos ausgestattet; ist im Herbig Verlag München erschienen.