Vatikan-Erzbruderschaft erstmals mit Frau als Vize-Kämmerer
Mehr sichtbare Präsenz
von Frauen in einer traditionsreichen vatikanischen Bruderschaft: Am Sonntag wurde
die Historikerin Christine Maria Grafinger zum Vize-Kämmerer der Bruderschaft zur
Schmerzhaften Muttergottes am Camposanto gewählt. Der Vize-Kämmerer ist der stellvertretende
Leiter der Bruderschaft, die seit gut 550 Jahren besteht. Mit der Wahl vom Sonntag
ist eine lange Tradition gebrochen, sagt Christine Maria Grafinger.
„Eigentlich
bin ich die erste Frau, die seit der Gründung der Erzbruderschaft auf diese Position
gewählt worden ist. Zu meiner eigenen Verwunderung und zur Verwunderung einiger anderer
auch. Es hat nach dem Wahlvorgang auch eine kleine Diskussion gegeben, ob die Wahl
einer Frau mit den Statuten vereinbar wäre, aber es ist dann einstimmig akzeptiert
worden.“
Die Vollversammlung der Bruderschaft prämierte bei ihrer Wahl
offensichtlich kontinuierliche Anwesenheit und Stabilität. Das Nachsehen hatten Kandidaten,
die aufgrund zahlreicher anderer, auch herausgehobener Verpflichtungen weniger anwesend
sein können. Christine Maria Grafinger selbst interpretiert ihre überraschende Wahl
in dieser Optik.
„Ich kann es mir eigentlich nur erklären, weil ich am
Sonntag immer präsent bin. Ich bin kein Mensch, der sich in den Vordergrund spielt.“
Auf
der Liste stand die an der Vatikan-Bibliothek wirkende Oberösterreicherin Christine
Maria Grafinger, weil der Rektor des Camposanto, Hans-Peter Fischer, sie bat zu kandidieren.
Fischer griff damit einen Wunsch vieler Angehöriger der Erzbruderschaft auf.
„Es
sind ja auch sehr viele Erzschwestern in der Erzbruderschaft. Und die, hatte ich immer
den Eindruck, wollten sich auch vertreten fühlen im Gremium des Vorstandes. Aber es
müssen mich auch Männer gewählt haben, sonst hätte ich nicht so viele Stimmen bekommen!“
Die
Erzbruderschaft zur Schmerzhaften Muttergottes ist die älteste heute noch existierende
Vereinigung dieser Art in Rom. Sie sitzt am Camposanto, dem Deutschen Friedhof im
Vatikan. Dem Besitz nach gehört das Gelände der Bruderschaft, völkerrechtlich ist
es Teil Italiens, gleichzeitig aber exterritoriales Gebiet des Vatikanstaates, von
dessen Mauern der Camposanto mit umschlossen ist. Ein einzigartiges Konstrukt. Die
Erzschwestern und –Brüder nehmen vorrangig soziale und religiöse Aufgaben wahr.
„Dass
man die Leute betreut, die älteren, viele sind ja allein hier, dass die nicht durchs
soziale Netz fallen. Und dass wir den Friedhof pflegen und ums Totengedenken kümmern,
wie auch im Gebet jeden Sonntag an die Verstorbenen denken und alle, die auf dem Friedhof
bestattet sind.“
Christine Maria Grafinger übernimmt das Amt in der Nachfolge
des flämischen Vatikan-Archivars Johann Ickx, der nicht wieder in den Vorstand gewählt
wurde. Grafinger muss sich nun in die Agenden des Vizekämmerers einarbeiten.
„Dann
möchte ich für alle ein Anlaufpunkt sein. Wenn sie Anregungen, Kritik oder Vorschläge
haben, können sie mir das immer nach der Messe sagen und dann kann man das in den
Vorstandssitzungen vorbringen.“
Im Amt des Sekretärs wurde Franziska Dörr
bestätigt. Auch der Kämmerer bleibt für mindestens drei weitere Jahre im Amt: Aldo
Parmeggiani, langjähriger Journalist von Radio Vatikan, früher Sprecher der Südtiroler
„Tagesschau“. Mit der Wahl Grafingers weist das dreiköpfige Führungsgremium der Bruderschaft
erstmals eine weibliche Mehrheit auf.
Die Erzbruderschaft besteht überwiegend
aus Laien, doch gehören ihr auch prominente Geistliche an, wie der emeritierte Papst
Benedikt XVI., Kardinal Kurt Koch und die Erzbischöfe Georg Gänswein und Gerhard Ludwig
Müller.