2013-11-11 17:01:07

Menschen in der Zeit - Norbert Lammert


RealAudioMP3 Norbert Lammert wurde vor 65 Jahren in Bochum geboren. Er ist seit 1980 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2005 dessen Präsident. Am 22. Oktober diesen Jahres wurde er zum dritten Mal für dieses zweithöchste Amt im Staat wiedergewählt, mit 95% der Stimmen. Er ist Mitglied der CDU und dennoch bei allen Parteien anerkannt. Er ist ein bekennender Katholik und Vater von vier Kindern. Und er feiert am kommenden 16. November seinen 65. Geburtstag.

Herzlichen Glückwunsch, Herr Bundestagspräsident und vielen Dank für Ihre Bereitschaft zum folgenden Gespräch in unserer Sendereihe ‚Menschen in der Zeit’. Fangen wir von ganz vorne an: wie würden Sie im Rückblick Ihre Jugendzeit beschreiben: als schwierige, als ungetrübte, als problematische, als eine besonnene, lebensfrohe Zeit?

„Jedenfalls habe ich überhaupt keinen Anlass, mich zu beklagen. Ich bin in einer intakten großen Familie aufgewachsen als ältestes von sieben Geschwistern in einem Handwerkshaushalt. Das hat unter dem einem wie dem anderen Gesichtspunkt sehr früh dazu beigetragen, ein sehr realistisches Verhältnis zur Welt und zu den Lebensbedingungen zu den Menschen zu gewinnen.“

Welche Rolle hat Ihr Elternhaus zu Ihrer menschlichen Entfaltung gespielt?

„Da vermute ich, dass es bei mir wie bei nahezu jedem anderen eine überragende Rolle gespielt hat. Da, wo jemand bei einer Familie aufwächst, wird er von ihr mehr geprägt als von irgend welcher anderen Institution oder Person auch immer.“

Was danken Sie Ihren Eltern am meisten?

„Ich könnte jetzt hier nicht einen einzelnen Aspekt hervorheben, außer der erstaunlichen Bereitschaft mich auch und gerade in Interessen und Anliegen zu fördern, an denen sie selber gar keine besondere Anlage hatten. Beispielsweise erinnere ich mich, an den vergleichsweise frühen Kauf eines Klaviers, um auf diese Weise mein Interesse an Musik und am Erlernen eines Instruments zu ermöglichen.“

Musik spielte bereits in Ihrer frühen Jugend eine große Rolle, Schon als Kind lernten Sie Orgel und Cembalo spielen. Sie haben auch Klavierspielen gelernt. Können Sie sich auf einen Lieblingskomponisten festlegen?

„Das könnte ich, obwohl es mir mit zunehmendem Alter immer schwerer fällt. Aber in meiner Jugend hat Robert Schumann eine riesige Rolle gespielt. Aber früh und bis heute anhaltend natürlich Johann Sebastian Bach, aber es sind dann im Laufe der Zeit immer wieder andere und neue Komponisten für mich wichtig geworden, auch deshalb, weil ich sie persönlich kennenlernen und mit ihnen zusammenarbeiten konnte, wie etwa der berühmte estnische Komponist Arvo Pärt.“

Sollten alle Kinder die Chance erhalten, ein Instrument, gleich welches, zu erlernen? Zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit?

„Ja das wäre jedenfalls außerordentlich erwünscht, deswegen habe ich mich auch sehr für eine Initiative eingesetzt, die wir vor einigen Jahren im Ruhrgebiet in meiner Heimat gestartet haben, unter dem Motto: ‘Jedem Kind ein Instrument’, das inzwischen weit über die Region hinaus eine Vebreitung auch iin anderen Städten und Regionen gefunden hat.“

Sie sind begeisterter und ausführende Musikkenner. Ich kenne ein Bild von Ihnen, auf dem Sie sogar als Dirigent mit einem Taktstock keine geringeren als den Berliner-Philharmonikern den Takt vorgeben. So wie Sie es im Bundestag tun: Kann man sagen, dass auch in der Politik der Ton die Musik ausmacht?

„Jedenfalls spielt in der Politik – wie in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen auch – die Art und Weise, in der man etwas sagt, vermittelt, empfiehlt manchmal eine beinahe größere Rolle, als das, was man in der Sache ausdrückt.“

Wann haben Sie das erste Mal gespürt, dass Politik etwas ist, das beruflich unbedingt zu Ihrem Lebensinhalt zählen sollte?

„Das kann ich nicht mit einem einzelnen Datum in Verbindung bringen, wohl aber mit einer wiederum frühen Prägung durchs Elternaus, indem durch das kommunalpolitische Engagement meines Vaters, es auch früher Begegnungen mit den lokalen poltische Engagierten gegeben hat. Aber auch im erheblichen Maße durch einem Lehrer im humanistischen Gymnasium, das ich acht Jahre besucht habe und der mir durch sein politisches Interesse, insbesondere aber auch durch die Unabhängigkeit seiner Urteilsbildung sicher einen nachhaltigen Eindruck vermittelt hat, über das was Politik bedeutet und wie man damit umgeht.“

Außerdem beherrschen Sie die Kunst der geschliffenen Rede wie kaum ein anderer. Waren dazu das Talent, die Gabe, Disziplin oder eine harte Schule ausschlaggebend?

„Ich persönlich glaube, dass es im wesentlichen eine Verbindung von Begabung und Vorbereitung ist. Jemand, der überhaupt keine natürliche Begabung zum Reden hat, wird das durch Vorbereitung nur begrenzt ausgleichen können. Aber umgekehrt gibt es für viele, die offenkundig eine Begabung zum Reden haben, die gefährliche Versuchung dies für einen ausreichenden Ersatz zu halten, sich nicht mehr auf Themen oder Anlässe vorbereiten zu müssen. Und das macht sich dann doch oft sehr schnell eher unangenehm bemerkbar.“

Ist der Genius der Rhetorik für Ihren Beruf Voraussetzung?

„Nein. Auch da ließe es sicher aus der Geschichte und aus der Gegenwart das eine oder andere Gegenbeispiel nennen: aber das es die Wahrnehmung eines politischen Mandats enorm erleichtert, wenn man sich in einer Weise ausdrücken und mit Menschen kommunizieren kann, daran kann es ja keinen vernünftigen Zweifel geben.

Seit 2005 haben Sie das zweithöchste Amt im Staat inne: eine lange Zeit. Wo sehen Sie den Hauptgrund, dass man Sie zum dritten Mal fast einstimmig in diesem Amt bestätigt hat?

„Da muss man zunächst mit dem ganz praktischen Umstand beginnen, dass wir in Deutschland nun seit Jahrzehnten eine unangefochtene Tradition haben, dass die jeweils stärkste politische Gruppierung im Parlament nach Neuwahlen ein unangefochtenes Vorschlagsrecht hat. Mit anderen Worten: wären die Wahlergebnisse in den letzten Jahren deutlich anders ausgefallen, als dies der Fall war, hätte möglicherweise eine andere Partei das Vorschlagsrecht für dieses Amt gehabt. Ich bin gewissermaßen auch dadurch, dass die Union 2005 wieder stärkste Fraktion wurde, durch dieses Vorschlagsrecht ins Amt gekommen.Umgekehrt, dadurch dass es diese Tradition gibt und dass deswegen in der Regel nur über einen einzigen Vorschlag abgestimmt wird, nämlich den, den die stärkste Fraktion im Parlament macht, kommt in einer geheimen Wahl zum Ausdruck, wie groß oder wie dünn die Untertützung ist, die ein solcher Vorschlag unter den Kolleginnen und Kollegen findet und das erleichtert die Arbeit natürlich sehr, wenn Sie sich ganz offenkundig über einen langen Zeitraum über eine so breite Vertrauensbasis stützen können.“

Sie haben als deutscher Bundestagspräsident oft und viele Entscheidungen zu fällen: Einerseits sind Sie inmitten der Tagespolitik verankert, andererseits müssen Sie aber auch außerhalb des Parteienkampfes stehen. Das setzt die Fähigkeit zu kunstvollen ‘Spagaten’ voraus. Setzt eigentlich jede demokratische Entscheidung den Willen und die Fähigkeit zum Kompromiß voraus?

„Vielleicht nicht jede einzelne. Aber, wer kompromissunwillig oder -unfähig ist, ist für die Politik vollständig untauglich.“

Welche waren die bisherigen Höhepunkte in Ihrer politischen Karriere?

„Auch da ließen sich für beide Aspekte mehr, jedenfalls auffällige Beispiele nennen, als wir an Sendezeit zur Verfügung haben. Aber ich will zwei für mich herauragende Ereignisse nennen, die mich sicher bis zu meinem Lebensende in der Erinnerung sehr stark begleiten werden: das eine war mein erster offizieller Besuch in Israel als deutscher Parlamentspräsident, wo mich der Umstand, dass ich da nicht nur in der Knesseth offiziell empfangen wurde, sondern mit einer militärischen Ehrenformation und dem Abspielen der deutschen Nationalhymmne an keinem anderen Platz der Welt mehr hätte beeindrucken können als ausgerechnet in Jerusalem. Und das andere war sicher der Besuch und die Rede des Heiligen Vaters, Benedikt XVI., im deutschen Bundestag, den ich ja schon kurz nach meinem Amtsantritt bei einem Besuch in Rom eingeladen hatte und der dann zu meiner großen Freude in Zusammenhang mit seinem offiziellen Deutschlandbesuch auf diese Einladung zurückgekommen ist und eine Rede vor den gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier in der deutschen Öffentlichkeit gehalten hat, die sich ja über viele Jahre in nachhaltiger Erinnerung bleiben wird.“

Sie haben enge Beziehungen zu Papst Benedikt XVI. emeritus unterhalten. Würden Sie ihn und seinen Nachfolger in ein paar Worten beschreiben?

„Für mich ist Papst Benedikt eine der ganz wenigen Päpste in der Kirchengeschichte, soweit ich sie übersehe, von denen sich schwerlich übersehen läßt, dass hier ein bedeutender Kirchenlehrer, ein herausragender Theologe, in dieses höchste Amt gewählt worden ist und auch mit genau dieser biografischen und wissenschaftlichen Prägung dieses Amt ausgeführt und ihm seine besondere Note gegeben hat. Über den neuen Papst kann ich außer einer ersten flüchtigen Begegnung am Tag seiner Amtseinführung keine eigenen persönlichen Eindrücke vortragen, aber alles, was man hört und sieht, läßt doch deutlich erkennen, dass wir hier nicht nur einen Wechsel von zwei ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten , sondern auch von deutlich unterschiedlichen Orientierungen, Stil und Themenschwerpunkten haben.“

Wir kommen nun auf Europa zu sprechen:
Der Wohlstand ist in Europa größtenteils zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Das Ergebnis heißt aber nicht Frieden und Zufriedenheit, sondern Konsum, Konkurrenz, einseitige Wirtschaftsinteressen, Rücksichtslosigkeit. Beherrscht demnach Geld die Welt ? Und nur Geld die Welt?

„Fast alle Sätze die mit Blick auf Gesellschaft und soziale Wirklichkeiten mit ‚nur’ und ‚ausschließlich’ anfangen, sind falsch.Weil sich die Wirklichkeit dann doch meist etwas differenzierter und komplexer darstellt, als sie in solchen Zusammenfassungen oder in Generalisierungen zum Audruck gebracht werden. Aber richtig ist, dass in den letzten 20-25 Jahren die Entfesselung von Finanzmäkten eine Eigendynamik gewonnen hat, die ich hoch problematisch finde und die in einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Politik und Wirtschaft unbedingt neu geordnet und sortiert werden muss.“

Wenn der zeitungslesende Bürger von den zusätzlichen hohen Bonifikationen und von hohen Abfindungen gewisser Manager erfährt, ergibt sich bei vielen der Eindruck grober Unangemessenheit und Ungerechtigkeit. Das Bonifikationsunwesen belohnt speziell Finanzmanager fûr erfolgreiche Spekulation und Manipulation mit einem vielfachen ihres normalen vertraglichen Gehaltes. Von diesen Exzessen stammt eine in die Tiefe gehende politische Unzufriedenheit. Wohin wird dieser Weg führen?

„Man muss bei aller Kritik, die ich immer ausdrücklich bekräftigt habe, fairerweise ergänzen, dass wegen der offensichtlichen Übertreibungen und Fehlentwicklungen es in jüngerer Zeit, jedenfalls in Deutschland auch eine Reihe von bemerkenswerten Korrekturen gegeben hat. Teilweise in der Selbstverantwortung der betroffenen Unternehmen oder Banken, teilweise aber auch durch den Gesetzgeber. Da sind wir sicher noch nicht am Ende der Entwicklung und je nachdem, ob sich die Fehlentwicklung korrigiert, mindestens sich die Verhältnisse stabilisieren, oder ob es zu neuen Ausuferungen kommt, wird der Gesetzgeber vor der unangenehmen Notwendigkeit stehen, hier zusätzliche Kontrollen, Hürden und Grenzen einzuziehen.“

Hat die EU noch eine Seele?

„Die römischen Verträge waren Verträge zur Gründung einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die Logik des europäischen Integrationsprozessessist seitdem auch sehr stark von dem Aufbau und der Vervollständigung eines großen europäischen Binnenmarktes geprägt. Dass gerade in den Anfangsjahren des europäischen Einigungsprozesses die traumatische Erfahrung von zwei Weltkriegen, die beide in Europa stattgefunden haben, auch über diese ökonomischen Anliegen hinaus Grundsatzfragen des europäischen Selbstverständnisses in starkem Maße artikuliert und transportiert haben, ist mir sehr bewußt und ich nutze auch immer wieder jede Gelegenheit, den europäischen Einigungsprozess ausdrücklich über die zu kurz springende ökonomische Perspektive hinaus zu orientieren.“

Herr Bundestagspräsident: Sie sind ein bekennender Katholik. Nicht nur die Politik, auch der Glaube steht auf der Liste Ihres breiten Wirkungsfeldes ganz oben: was bedeutet es heute sich zum Glauben zu bekennen?

„Mindestens für diejenigen, die es tun, ist es ganz offensichtlich ein zentraler Bestandteil ihres Selbstverständnisses und ihres Verhältnisses auch zu der Welt, in der sie leben, in der sich die Aufgaben und die Herausforderungen, mit denen wir uns auseinander setzen müssen, nicht alleine aus den Tagesaktualitäten und reinen Zweckmäßigkeiten ergeben und erledigen lassen. Ich finde auffällig, dass es eine immer größere Spreizung zu geben scheint, zwischen den Menschen, die solche Orientierungen, solche religiös fundierten Orientierungen und Überzeugungen für sich für außerordentlich wichtig halten und denen ,die das auch in einer kirchlichen Bindung zum Ausdruck bringen. Mit anderen Worten: früher waren diese beiden Personenkreise beinahe identisch, während sie heute immer stärker auseinanderfallen. Im übrigen hat Papst Benedikt ja schon in seiner Einführung in das Christentum vor genau diesem Problem und diesem Risiko gewarnt, dass viele Gläubigen an ihrer Kirche zweifeln und irre werden und das ist aus meiner Sicht eines der sehr ernst zu nehmenden Phänomene, mit denen sich nicht nur die Kirche, aber die Kirche ganz gewiss auseinandersetzen muss.“

Dass Sie ein gläubiger Mensch sind, ist lange bekannt. Weniger bekannt ist – vor allem im Ausland – dass Sie sich an eine neue Textversion des ‘Vater Unser’ , des Gebets aller Gebete, gewagt haben. Würden Sie uns diesen Gebetsttext aufsagen?

„Ungern. Weil damit sich ein Eindruck leicht vermittelt, den ich gerade vermeiden möchte. Hier geht es ja nicht darum, einen herausragend wichtigen und zugleich eben auch allgemein bekannten Text vermeintlich gültig neu zu übersetzen, sondern ihn sprachlich anders zu fassen, um auf diese Weise wieder einen Beitrag dazu zu leisten, dass das scheinbar selbstverständliche neu überdacht wird.“

Abschließend, Herr Bundestagspräsident: ist eine Frage, die Sie vielleicht erwartet haben, auf die Sie vielleicht besonderen Wert gelegt hätten, in diesem Gespräch nicht vorgekommen?

„Ja, zum Beispiel die Frage: wie gehen wir Christen insgesamt, und wir Katholiken im besonderem, mit dem 500. Jahrestag der Reformation um, der uns in wenigen Jahren bevorsteht. Und was unternehmen wir praktisch? Konkret, nicht nur rhetorisch, um die Spaltung der Christenheit zu überwinden und die Einheit wieder herzustellen, sowie es das Zweite vatikanische Konzil schon vor 50 Jahren ausdrücklich reklamiert hat.“

(rv 10.11.2013 ap)


Das ‚Vater unser’ von Norbert Lammert:

Unser Vater im Himmel!
Groß ist dein Name und heilig.
Dein Reich kommt,
Wenn dein Wille geschieht,
Auch auf Erden.
Gib uns das, was wir brauchen.
Vergib uns, wenn wir Böses tun
Und Gutes unterlassen.
So wie auch wir denen verzeihen wollen,
Die an uns schuldig geworden sind.
Und mach uns frei, wenn es Zeit ist.
Von den Übeln dieser Welt.







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