2013-10-31 11:28:13

Madagaskars „verlorene Zukunft“


RealAudioMP3 Sie können weder lesen noch schreiben – in Madagaskar wächst derzeit eine ganze Generation heran, die noch nie eine Schule von innen gesehen hat. Angesichts dieser dramatischen Lage schlägt UNICEF Alarm: Die politische Krise, die den verarmten Inselstaat im indischen Ozean seit fast fünf Jahren fest im Griff hat, geht auf Kosten der Kinder, warnt Steven Lauwerier von dem UNO-Kinderhilfswerk im Interview mit Radio Vatikan:

„Seit Beginn der Krise vor viereinhalb Jahren ist die Zahl der Kinder, die nicht die Schule besuchen, um etwa eine halbe Million angestiegen. Damit gibt es heute in Madagaskar 1,5 Millionen Kinder, die ihr Recht auf einen Schulbesuch nicht wahrnehmen können. Und wenn ich von Schule spreche, meine ich die Grundschule – 1,5 Millionen Kinder haben keine Möglichkeit, rechnen, lesen oder schreiben zu lernen. In ihrem Alter ist das ein Verlust, der nur schwer wieder ausgeglichen werden kann. Ich nenne sie eine nahezu ,verlorene Generation‘, denn fünf Jahre im Leben eines Kindes sind in diesem Alter von enormer Bedeutung.“

Diese Kinder schlügen sich heute mehr schlecht als recht durch, so der UNICEF-Mitarbeiter. Einige lebten völlig sich selbst überlassen auf der Straße, andere trügen mit kleinen Arbeiten zum Familienunterhalt bei:

„Es gibt auch welche, die hier und da kleinen Gewerben nachgehen. Das sind Kinder, die in diesem Alter eigentlich zur Schule gehen sollten!“

Am vergangenen Freitag fand in Madagaskar die erste Runde der Präsidentschaftswahlen statt. Der ehemalige Minister für Sport und Gesundheit, Robinson Jean Louis, und der Ex-Finanzminister Henry Rajaonarimampianina lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen, wahrscheinlich kommt es zur Stichwahl am 20. Dezember. Nach dem jahrelangen politischen Machtkampf zwischen Ex-Präsident Marc Ravalomanana und seinem Rivalen Andry Rajoelina, der sich im März 2009 zum Übergangspräsidenten ausrufen ließ, hofft das Land nun auf mehr Stabilität und eine bessere Zukunft. Unter dem Tauziehen um die Macht habe der Bildungssektor in den vergangenen Jahren massiv gelitten, so Lauwerier.

„Die Investitionen der Regierung und private Investitionen in Bildung sind in den letzten viereinhalb Jahren stark zurückgegangen, und die Rechnung ist den Haushalten gestellt worden. In Madagaskar ist die Armut jedoch ein enormer Faktor: Ungefähr eine von drei Familien lebt mit weniger als einem Dollar pro Tag, neun von zehn mit weniger als zwei Dollar pro Tag! Für Menschen, die tagtäglich ums Überleben kämpfen, sind die Kosten für den Schulbesuch ihrer Kinder eine große Last. Sie müssen sehen, dass ihre Familie ernährt werden, Geld in Bildung zu stecken ist da schwer.“

Die Schulausbildung der Kinder sei regelmäßig ein großes Thema in der nationalen Presse des Landes, so Lauwerier. Die Familien wüssten sehr gut um die Notwendigkeit einer Ausbildung ihrer Kinder und versuchten diese mit allen Mitteln zu ermöglichen. Selbst die Ärmsten täten alles Erdenkliche, „um eine Schule zu bauen oder die Lehrer ihrer Kinder zu bezahlen, sei es mit Naturalien oder Hühnchen“, berichtet der UNICEF-Mitarbeiter. Die fehlende Bildung der jungen Leute sei für Madagaskar eine „tickende Zeitbombe“:

„Die Auswirkungen auf die Zukunft des Landes sind enorm. Vor allem Investitionen in die frühe Schulbildung haben langfristig große Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Das Defizit der letzten Jahre wird sicher Folgen haben. Und man muss alles tun, um zu verhindern, dass sich diese Situation fortsetzt!“

Die politische Blockade im Land hat auch der Wirtschaft des Landes zugesetzt: Sie wächst viel langsamer als in anderen Ländern der Region. Kann ein politischer Neuanfang Madagaskar auf einen besseren Weg bringen? UNICEF-Mitarbeiter Lauwerier wünscht sich vor allem Besserung für Madagaskars Zukunft – für die Jüngsten im Land:

„Die Hälfte der Bevölkerung geht nicht wählen: Es sind Kinder unter 18 Jahren! Diese Krise hat sich aber vor allem auf sie ausgewirkt, und der Ausgang der Wahlen wird Folgen für sie haben. Ich hoffe, dass die neue Regierung ihre Versprechen halten und handeln wird und dass Madagaskar aufs Neue das Vertrauen von Geldgebern gewinnen kann, damit nicht nur wieder in Ausbildung, sondern auch in die Gesundheit investiert werden kann, allgemein in den sozialen Sektor, der so viel gelitten hat.“

(rv 31.10.2013 pr)







All the contents on this site are copyrighted ©.