2013-10-25 12:42:32

„Ein anderes Europa ist möglich“


Der Vatikan sieht für Europa auch in einer künftigen Weltordnung eine wichtige Rolle. Das sagt Vatikan-Erzbischof Aldo Giordano im Gespräch mit Radio Vatikan. Der Italiener ist seit 2008 Ständiger Beobachter des Heiligen Stuhls beim Europarat in Straßburg.

„Mir scheint das Thema Freiheit das Entscheidende. Europa hat über die Jahrhunderte und auch in den letzten Jahrzehnten eine große Liebe zur Freiheit entwickelt. Allerdings sehen wir heute eine Form von Freiheit, die stark individualistisch ist und um ein immer größeres Ich kreist. Wenn wir aber die Vorstellung von Freiheit wieder neu vertiefen, dann stellen wir fest, dass sie in Wirklichkeit der Ort ist, wo wir zum Anderen in Beziehung treten, auch zum ganz Anderen, zu unserem Ursprung und zu Gott. Wir müssen also wieder wegkommen von einem Europa, das sich kulturell in sich selbst verschließt, wo das Ich alles entscheiden will, auch das eigene Geschlecht und wie es Kinder hervorbringt, oder was die Werte sind.“

Die Wirtschafts- und Finanzkrise setzt Europa im Augenblick hart zu, aber auch hier will Erzbischof Giordano vor allem eine Chance sehen.

„Europa hatte eine große wirtschaftliche Rolle, auch darin wird es jetzt schwächer. Aber wenn die Wirtschaft jetzt die Solidarität wiederentdeckt und Mut zur Solidarität hat, dann könnte Europa auch wieder imstande sein, der Menschheit etwas wirklich Wichtiges zu sagen.“

Der Diplomat sieht bei seinen Gesprächspartnern in Straßburg viel Interesse für das, was der neue Papst aus Argentinien über die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ sagt.

„Europa und die Welt schienen keine neuen Wege mehr aufzutun – und da kommt der Papst und wird immer mehr zu einem Bezugspunkt, auch zu einem Zeichen der Hoffnung; denn es ist ja gerade die Hoffnung, die häufig auf unseren Wegen fehlt. Er gibt vielen die Intuition, dass die Menschheit auch ganz andere Wege gehen könnte; dass man die Probleme unter den Völkern nicht unbedingt mit Waffen lösen muss, dass es auch ohne Waffenhandel ginge, und dass wir nicht gezwungen sind, dabei zuzusehen, wie ganze Völkerscharen an Hunger sterben. Wenn der Mensch sich auf seine Wurzel besinnt und die Kirche auf ihre eigentliche Berufung, dann ist das neu! Vor ein paar Tagen wurde im Ministerrat des Europarats über Migration diskutiert, und immer wieder erinnerte jemand an den Papst. Dass er nach Lampedusa gereist ist, dass er gesagt hat, der Mensch müsse im Zentrum stehen... Mir scheint wirklich, dass das Neues schafft in der Politik und auch für die Wirtschaft.“

Aldo Giordano hat schon zwanzig Jahre im politischen Europa verbracht: Vor seinem Europarats-Posten arbeitete er für den Rat Europäischer Bischofskonferenzen. „Ein anderes Europa ist möglich“ heißt ein – italienisches – Gesprächsbuch, in dem er von seinen Erfahrungen berichtet.

„Ich habe ein Europa erlebt, das erst mit dem Mauerfall zu tun hatte, dann mit den Balkankriegen und schließlich mit der Globalisierung und den neuen globalen Themen: Energiekrise, Finanzkrise, Terrorismus. So oft hat man versucht, den Himmel über Europa sozusagen zu verdüstern, und jedesmal kommen wieder Europäer und öffnen uns wieder den Blick für den blauen Himmel über Europa... Wir sind 800 Millionen Kontinental-Europäer, und von diesen 800 Millionen ist der Großteil getauft. Etwa 600 Millionen Europäer sind Christen! Mein Eindruck ist, dass Papst Franziskus die Europäer an diese Taufe erinnern will, die der Großteil von ihnen empfangen hat. Damit die vielen Masken, hinter denen sich das Christentum in Europa versteckt, fallen und wieder das echte Gesicht des europäischen Christentums sichtbar wird. Wenn Europas Christen wiederentdecken, wer und was sie sind, dann findet ein Volk sein Wesen wieder und kann das dann auch in eine bestimmte Politik übersetzen, die gewisse Werte verteidigt. Ich glaube daran, weil ich an das Evangelium glaube und an seine Kraft!“

(rv 25.10.2013 sk)








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