Bulgarien/Griechenland/Österreich: Die kleine blonde Maria
Die Geschichte des
kleinen blonden Mädchens Maria, das in Griechenland seinen mutmaßlichen Adoptiveltern
weggenommen wurde, hält sich seit Tagen in allen europäischen Medien. Das Kind ist
weißblond, die Eltern hingegen – sie gehören der Volksgruppe der Roma und Sinti an
– sind dunkelhäutig. Da liege ein Fall von Kindesentführung vor, lautete die Mutmaßung
zumindest anfänglich. Europas Roma und Sinti verfolgen den Fall Maria mit wachsender
Empörung, erzählt uns Emmerich Gärtner-Horvath. Er leitet den Roma-Service der ostösterreichischen
Diözese Eisenstadt, in der eine nicht kleine Minderheit Roma und Sinti lebt.
„Man
leidet mit, was da passiert. Es herrscht Solidarität. Ich werde von Roma-Angehörigen
im ganzen Burgenland kontaktiert und gefragt, was da los ist. Man ist sehr betroffen.“
Das Üble an der öffentlichen Darstellung des Falles Maria ist, dass da
ein uraltes, hässliches Klischee bedient wird, sagt Gärtner-Horvath.
„Das
gilt dann für die ganze Volksgruppe. Da heißt es wiederum, unter Anführungszeichen,
die Zigeuner stehlen die Kinder. Das ist aber eine falsche Unterstellung.“
Die
mutmaßlichen Adoptiveltern der kleinen Maria sagten in Griechenland aus, sie hätten
das Mädchen als Säugling von bulgarischen Roma bekommen, die es nicht selbst hätten
ernähren können. Gärtner-Horvath war selbst im Auftrag seiner Diözese vor Jahren in
einer großen bulgarischen Roma-Siedlung und kann sich gut an die bedrückenden Lebensumstände
dort erinnern. Deshalb glaubt er das, was Marias Adoptiveltern sagen, aufs Wort.
„Ich
kann es mir zu 99,9 Prozent vorstellen, dass es so war, weil es mir als ich in Bulgarien
war, genauso angeboten wurde, nur von einem älteren Kind. Da war ein zehnjähriger
Junge, der für einen Sechsjährigen gesorgt hat. Die beiden haben mich gebeten, sie
nach Österreich mitzunehmen, weil sie hier keine Chance, keine Zukunft und auch keine
Eltern haben. In Bulgarien kann ich sagen, dass sie chancenlos leben müssen, fast
ohne Zukunft.“
Gärtner-Horvath ist selbst Rom, ein österreichischer Rom.
Für das Verhalten der mutmaßlichen leiblichen Eltern Marias in Bulgarien bringt er
Verständnis auf.
„Wo es um das soziale Umfeld einer Familie geht, wo sie
es einfach nicht mehr schaffen, Kinder zu ernähren, weil ihnen das tägliche Brot fehlt,
dann ist das für mich kein großes Verbrechen. Nur hätte man es legal machen können,
wenn man zu den Ämtern hingegangen wäre und gesagt hätte, ich gebe das Kind zur Pflege
frei, bis ich mich wieder erholt habe. Man muss die Leute nur aufklären, was es für
Möglichkeiten gibt, sodass es auch rechtlich abgesichert ist. Aber wenn der Beamte
darüber Bescheid weiß und es gibt etwas Schriftliches darüber, dann gibt es sicher
nicht die Konflikte oder Probleme, die jetzt in den Medien populär gemacht werden.“
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, der Fall Maria errege anhaltendes
Aufsehen schlicht wegen der Haarfarbe des Mädchens. Maria wird kraft ihres Blondseins
als „eine von uns“ empfunden, als Angehörige einer Mehrheit, die es vor der angeblich
kriminellen Minderheit der Roma und Sinti zu schützen gilt. Wäre das Mädchen dunkelhäutig
und schwarzhaarig, wäre nicht nur ihr Fall wahrscheinlich nie an die Öffentlichkeit
gelangt, er würde sich dort jedenfalls nicht so lange halten, öffentliche Empathie
und Emotion wären wohl geringer. „Rassistisch“ nennt Gärtner-Horvath das. Blondsein
sei nicht der Mehrheit vorbehalten.
„Mein Sohn ist auch blond. Mein Neffe
fast rothaarig. Es gibt hellhäutige Roma, dunkelhäutige Roma, es gibt die Haarfarbe
rot, schwarz, blond. Nur von dem her, was man sieht, kann man nicht zweifelsfrei sagen,
das ist ein Rom.“
Überhaupt, die Bilder der Roma-Minderheit in der Öffentlichkeit.
Gärtner-Horvath sieht eine lange Geschichte der Manipulation der Mehrheit, und der
Ausgrenzung der Minderheit mittels manipulierender Bilder. Nochmals erinnert er sich
an das, was er bei den Roma in Bulgarien sah:
„Teilweise sind das Blechhütten,
wo die Menschen leben müssen. Ich war in diesen Hütten drin, innen ist es schön und
gepflegt. Aber von außen schaut es aus, dass man sagt, hier kann man nicht wohnen.
Wenn man das jetzt im Fernsehen sieht, ist es klar, dass die alten Bilder wieder hervorkommen,
diese Bilder aus dem 19. Jahrhundert, die an die Bevölkerung weitergegeben wurden.
Man hat nur Fotografien weitergegeben (von Roma) mit vielen Kindern, auch gestellte
Bilder wurden verbreitet. Zum Beispiel gab es in den 1930er Jahren auch schöne Häuser
(von Roma). Die findet man in keinem Archiv, weil sie nicht fotografiert wurden. Man
hat nur die Bilder gezeigt, von denen man glaubte, damit kann man Rassismus schüren.
Und das, glaube ich, passiert auch jetzt zum Teil. Das Bild mit dem Vater und der
Mutter und dem Kind…das zeigt ein negatives Bild dieser Volksgruppe.“