Deutschland muss endlich
die Position der Opfer beim Menschenhandel stärken, statt sich auf die Täter zu konzentrieren.
Das fordert Petra Follmar-Otto vom Deutschen Institut für Menschenrechte im Interview
mit dem Domradio. An diesem Freitag ist Europäischer Tag gegen Menschenhandel.
„Menschenhandel
ist eine schwere Straftat (...) Die Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels ist
für die Union und die Mitgliedsstaaten ein vorrangiges Ziel. - so steht es in der
EU-Richtlinie gegen Menschenhandel. Doch Deutschland hat bis heute diese Richtlinie
nicht unterzeichnet, und das, obwohl das Geschäft mit dem Menschenhandel boomt. Schätzungsweise
880.000 Menschen leben laut einem Bericht des Europäischen Parlaments in „moderner
Sklaverei". Um auf diese Schicksale aufmerksam zu machen wird seit sechs Jahren immer
am 18. Oktober der Europäische Tag gegen Menschenhandel begangen.“
Deutschland
hat bis heute die Richtlinien der EU nicht unterzeichnet, obwohl bereits im April
dieses Jahres die Frist ablief. Follmar-Otto:
„Deutschland ist ja zur Umsetzung
der Richtlinie rechtlich verpflichtet. Die Kommission hat Deutschland im April, als
die Frist abgelaufen ist, gemahnt, Schritte zur Umsetzung einzuleiten. Wir sehen in
Deutschland nach wie vor eine Konzentration auf die Perspektive ,Strafverfolgung gegen
die Täter´, und die Opferrechte, die sind viel weniger im Fokus. Wir meinen, es müsste
hier eigentlich einen Perspektivwechsel geben, hin zur Stärkung der Menschenrechte
der Opfer, zur Stärkung der Position der Opfer, damit sie sich selbst aus diesen Situationen
von Ausbeutung und Zwang befreien können, ihre Rechte durchsetzen können. Und dazu
bräuchte es bei der Umsetzung der Richtlinie nicht nur strafrechtliche Änderungen,
sondern ganz dringend eine Stärkung des Status der Opfer im Aufenthalts- und im Entschädigungsrecht.
Dazu konnte sich die Politik bisher leider nicht durchringen. Es gab ja einen Gesetzesentwurf
der Bundesregierung, der aber im Bundesrat gescheitert ist und der sich auch allein
wieder nur auf das Strafrecht und auf das Gewerberecht bezog. Hier ist die neue Bundesregierung
jetzt in der Pflicht, schleunigst ein neues umfassenderes Gesetz vorzulegen.
Nicht
nur Zwangsprostitution: es gibt darüber hinaus auch andere Formen von Menschenhandel:
„Es
gibt Menschenhandel und schwere Folgen von Arbeitsausbeutung in sehr sehr vielen Branchen,
beispielsweise sind Fälle bekannt in Deutschland aus der Landwirtschaft, aus der Gastronomie,
auf dem Bau, in der fleischverarbeitenden Industrie - aber auch in privaten Haushalten
und in der häuslichen Pflege. Das ist also ein sehr sehr breites Spektrum, und man
muss sagen, dass polizeilich bekannt, oder strafrechtlich ermittelt, werden in Deutschland
nach wie vor vorrangig Fälle in der Zwangsprostitution; das ist so ein Verhältnis
von 90 zu 10 Prozent, von Fällen, die in der Zwangsprostitution und in der Arbeitsausbeutung
bekannt werden. Aber man muss davon ausgehen, dass es im Bereich der Arbeitsausbeutung
hier eine sehr große Dunkelziffer gibt.“
Diejenigen, die in Deutschland
als Opfer bekannt werden, sind fast durchgängig Frauen, so Follmar-Otto.
„Es
gibt viele Opfer und Betroffene aus Osteuropa, Südosteuropa, aber auch aus Asien und
Afrika, Lateinamerika werden immer wieder Fälle bekannt - also aus sehr sehr vielen
Ländern und Herkunftsregionen kommen die Betroffenen.“