Kardinal Ravasi: „Brief Benedikts ist eine Art Lektion“
Aus einem „Vorhof
der Völker“ wird unversehens ein „Vorhof der Päpste“: Binnen weniger Tage sind ein
Brief von Papst Franziskus wie vom emeritierten Papst Benedikt XVI. an bekannte italienische
Nichtglaubende bekannt geworden. Franziskus schrieb an den antiklerikalen Zeitungsmacher
Eugenio Scalfari, Benedikt an den Mathematiker Piergiorgio Odifreddi. Kardinal Gianfranco
Ravasi freut sich darüber; der Präsident des Päpstlichen Kulturrats, von Amts wegen
im Gespräch mit Atheisten und Agnostikern, dreht das Gespräch mit dem Journalisten
Scalfari an diesem Mittwoch unter dem Motto „Vorhof der Journalisten“ weiter. Im Gespräch
mit uns kommentiert Ravasi die Päpste-Briefe an bekannte Kritiker des Christentums.
„Wir
erleben in diesen Tagen sicher etwas sehr Außergewöhnliches, etwas, das vorher keine
übliche Praxis war. Zwei Päpste, der emeritierte und der jetzige, sind direkt in die
Arena der Massenkommunikation, vor allem der journalistischen, gestiegen. Was besonders
den Mathematiker Odifreddi betrifft, muss man noch zusätzlich darauf aufmerksam machen,
dass Benedikt XVI. hier auf einen Text eingegangen ist, der auch durchaus provokant
formuliert war. Das ist aus meiner Sicht auch eine Art Lektion – nicht nur für uns
in der Welt der Kultur, sondern auch für die Seelsorge. Man darf also als Seelsorger
oder überhaupt als Christ keine Angst haben, auf die Plätze rauszugehen, ins Getümmel
der heutigen Kommunikation, um dort Rechenschaft vom eigenen Glauben zu geben.“
Nun
kommt der Brief Benedikts XVI. an Odifreddi, der am Dienstag auszugsweise bekannt
geworden ist, aber nicht ohne Schärfe aus: „Was Sie über Jesus schreiben, ist Ihres
wissenschaftlichen Ranges nicht würdig“, urteilt der emeritierte Papst unter anderem.
Und das dann doch kombiniert mit großer Wertschätzung dafür, dass der Mathematiker
den Dialog gesucht hat. Ravasi dazu:
„Ich glaube, dass gerade unser
Vorhof der Völker – die Stiftung also, die in verschiedenen Teilen der Welt das Gespräch
mit Nichtglaubenden sucht – durchgehend diese doppelte Eigenschaft hat, die sich auch
in dem Text von Benedikt XVI. zeigt. Vergessen wir nicht, dass der Vorhof der Völker
direkt aus einer Idee entstanden ist, die Papst Benedikt (2009) in einer Ansprache
an die Römische Kurie geäußert hat. Auf der einen Seite also ein anständiger Diskurs
auf hohem Niveau, mit argumentativer Qualität, mit einer Intelligenz, die sich selbst
befragt. Und auf der anderen Seite auch Anerkennung der Unterschiede, die bestehen:
Hier darf der Dialog durchaus auch mal Härte zeigen – nicht Sarkasmus, aber eine Härte,
die beiden Seiten ihre Identität beläßt. Und wenn die Identität des einen ein negatives
Urteil verdient, muss man das auch direkt und wirksam sagen können!“