P. Spadaro: Interview mit dem Papst „eine spirituelle Erfahrung“
Sicher hat man als
Journalist oft wichtige Persönlichkeiten interviewt, aber den Papst persönlich in
einem langen Gespräch befragen zu können, das kommt wohl doch eher selten vor. Der
Direktor der Zeitschrift „La Civiltà Cattolica“, Pater Antonio Spadaro, hat diese
Möglichkeit gehabt. Bei insgesamt drei persönlichen Treffen mit Franziskus in der
Casa Santa Marta führte Spadaro das große Grundsatzinterview mit dem Papst, das mehrere
Jesuitenzeitschriften nun veröffentlicht haben. Im Interview mit Radio Vatikan erzählt
Pater Spadaro, wie das Treffen mit Franziskus war: „Es war eine wirkliche und
wahrhaftige spirituelle Erfahrung, bei Papst Franziskus zu sein. Mit ihm zu sprechen
ist so, wie neben einem Vulkan zu stehen, einem Vulkan voller Ideen und Visionen.
Es ist also auch eine menschlich sehr starke Empfindung. Es war kein klassisches Interview,
mit Fragen und Antworten, sondern ein echtes Gespräch, das wir hinterher rekonstruiert
haben. Der Papst hat den Text vor der Veröffentlichung noch einmal gegengelesen, wie
das so üblich ist. Er hat auf übliche Stereotypen verzichtet und versucht, ein Modell
der Kirche anzubieten. Das Bild von der Kirche als Feldlazarett, das er in diesem
Interview erwähnt, ist für mich wirklich ganz wundervoll. Es ist ein Bild der Kirche,
eine Vision der Realität, ein Weg, das Evangelium zu verkünden.“ Dieses Bild
einer Kirche inmitten des Schlachtfeldes ist nach Ansicht von Spadaro auch das Herzstück
des Interviews. So sehe der Papst die Kirche: Sie steht zwischen den Fronten und ist,
wie Franziskus immer wieder betont, beiden Menschen, sie steht ihnen
bei und sie begleitet sie. Doch wie kam es überhaupt zu diesem persönlichen Interview?
Pater Spadaro erinnert sich: „Die Idee entstand im Juni, als wir uns mit den
anderen Herausgebern von Jesuiten-Zeitschriften in Europa und Amerika getroffen haben.
Als wir da so miteinander sprachen, haben wir auch den Wunsch geäußert, einmal den
Papst interviewen zu können, ihm einige Fragen zu seiner Spiritualität zu stellen,
zum Leben als Jesuit, dazu, was es für den Papst bedeutet, ein Jesuit zu sein und
auf der anderen Seite, wie seine Sicht auf die Kirche ist. Wir wollten, sagen wir
es mal so, verstehen, wer Jorge Mario Bergoglio ist und wie er die Realität sieht.“ Als
Pater Spadaro bei einer Audienz am 14. Juni dann Franziskus traf, fragte er ihn, ob
ein solches Interview möglich sei, und: nach einigem Zögern akzeptierte Franziskus.
Bei den Treffen mit ihm seien aber einige Dinge dann ganz anders gelaufen, als er
sie sich vorgestellt habe, berichtet Spadaro: „Die erste Frage, die ich dem
Papst gestellt habe, war: ,Wer ist Jorge Mario Bergoglio?’ Ich muss gestehen, das
war eine Frage, die ich überhaupt nicht geplant hatte, die mir in dem Moment selbst
einfach plötzlich in den Sinn kam. Auch der Papst, das muss ich sagen, war da erst
mal etwas verwirrt und musste erst einmal darüber nachdenken. Die erste Antwort, die
er mir dann gab war: ,Ich bin ein Sünder.’ “ Eine weitere Frage des Interviews:
Inwieweit prägt sein Jesuitsein den Papst? Spadaro dazu: „Die Urteilskraft ist
das, was die ignatianische Spiritualität ausmacht. Das spürt man, wenn man dieses
Interview liest, und das merkt man auch am Führungsstil des Papstes, auch als er noch
Erzbischof in Buenos Aires war. Es ist ein Verhalten, das auf der spirituellen Urteilskraft
basiert. Das heißt also, der Papst ist jetzt nicht eine entscheidungsfreudige Person,
in dem Sinne, dass er Entscheidungen liebt. Nein, seine Leidenschaft ist der Herr,
ihm will er folgen und ihn sieht er in den Dingen, die geschehen und im Gebet. Dieses
Leben im Gebet, von dem auch im Interview die Rede ist.“ Begeistert ist der
Jesuit Spadaro von der Definition der Jesuiten, die Franziskus in dem Interview gibt:
„Der Jesuit ist dezentriert. Die Gesellschaft Jesu in sich selbst ist dezentriert.“
Der dezentralisierte Jesuit, das ist für Spadaro einer, der immer auf der Suche ist
– und zwar auf der Suche nach der „immer größeren Ehre Gottes“, wie es Franziskus
selbst in dem Interview sagt. Und noch etwas ist Spadaro wichtig: Franziskus ist keiner,
der ins Gebet versunken völlig von der Welt entrückt ist. Im Gegenteil, er habe bei
dem Gespräch gespürt: „Franziskus lebt nicht in einer Seifenblase, sondern er weiß
sehr genau, was um ihn herum und auf der Welt geschieht“, so Spadaro. (rv 20.09.2013
sta)