2013-09-16 16:55:22

Aktenzeichen: Papst Johannes XXIII. – 50. Todesjahr


RealAudioMP3 Über den seligen Papst Johannes XXIII. ist anlässlich seines 50. Todestages in der Öffentlichkeit viel geschrieben, gesprochen und gesendet worden. Sein Pontifikat war nach Auffassung von Papst Franziskus eine entscheidende Wegmarke für die katholische Kirche im 20. Jahrhundert. Die Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils sei eine „prophetische Intuition” dieses Papstes gewesen und gehöre zu den Meilensteinen der Kirchengeschichte.

Überraschung löste die Meldung aus, dass mit der Heiligsprechung Papst Johannes Pauls II. im Frühjahr 2014 gleichzeitig auch die Heiligsprechung von Papst Johannes XXIII. erfolgen soll. Das Vorgehen der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsverfahren wurde teils mit Begeisterung, teils mit Staunen aufgenommen.

Angelo Roncalli wurde 1881 in Sotto il Monte bei Bergamo geboren, vorwiegend in Rom ausgebildet und 1925 als apostolischer Legat nach Bulgarien entsandt. Später war er päpstlicher Gesandter in der Türkei und in Griechenland und schließlich Nuntius in Paris. Er war ein guter, wenn auch ungewöhnlicher Diplomat und wurde vor genau 60 Jahren Patriarch von Venedig – hier konnte er wieder Seelsorger sein. Am 28. Oktober wurde er im 77. Lebensjahr zum Papst gewählt.

Nur wenige Zeitgenossen dachten damals daran, dass er ein Papst großer Reformen im Innern der Kirche und in der Außenpolitik des Vatikans werden sollte. Bald aber überraschte Johannes XXIII. die Kardinäle ebenso wie die Welt mit seinem Plan, ein Allgemeines Konzil einzuberufen. Nach eigenen Angaben folgte er dabei einer spontanen Eingebung. Das Konzil sollte dazu dienen, die Kirche den Erfordernissen der Zeit anzupassen, sie der Welt zu öffnen und auf die Schattenseiten dieser Welt hinzuweisen. Nach mehr als zweijährigen Vorbereitungen wurde das Konzil am 11. Oktober 1962 feierlich eröffnet. Über 2500 Konzilsväter waren nach Rom gekommen.

Jahrhundertealte Schranken fielen von einem Tag auf den anderen. Uralte Gräben, die man für nahezu unüberbrückbar gehalten hatte, begannen sich oft nur durch ein einziges Wort des Papstes zu schließen: so zum Beispiel die Tilgung einer missverständlichen Formel in der Karfreitagsliturgie, in der die Juden noch als Mörder Jesu bezeichnet wurden. Die Weisung des Papstes ist ganz klar: Vornehmlichste Aufgabe dieses Konzils ist es, das heilige Erbe der christlichen Lehre zu bewahren und in wirksamer Weise zu verkünden.

Was Johannes in seinen Friedens-Enzykliken „Mater et Magistra“ und vor allem in „Pacem in Terris“ verkündete, war in der Substanz eigentlich nicht ganz neu: Aber es war der Ton, den die Welt neu empfand und sogleich akzeptierte. Er gab der Welt ein Beispiel von der bezwingenden Macht des Vertrauens, der Nächsten- und Feindesliebe, die wohl enttäuscht werden kann, aber niemals vergeblich ist. Eine Botschaft an alle Menschen guten Willens.

Erstmals richtet sich eine Enzyklika nicht nur an Bischöfe, Priester und an die Katholiken weltweit; nein, diesmal werden alle Menschen „guten Willens” angesprochen. Jeder ist also gemeint, jeder muss sogar gemeint sein, soll der im Evangelium postulierte Friede auf Erden ehrlich, und das heißt weltumfassend gemeint sein. Das klingt heute sehr selbstverständlich. Damals war es eine Sensation.

Schon zu Beginn seiner absehbar kurzen Amtszeit war Papst Johannes klar, dass er mit den Machthabern sowohl des Westens als auch des Ostens in Kontakt treten musste. Johannes ging deutlich auf Distanz zur Konfrontationspolitik des Kalten Kriegs und sprach sich dafür aus statt auf Rüstungswettlauf auf Verhandlungen zu setzen. Ein kluges Ballance-Spiel vatikanischer Weltpolitik begann.

Zu seinem 80. Geburtstag erhielt Johannes ein Glückwunschtelegramm, das ihn mehr freute, als hundert andere. Es stammte von Nikita Chruschtchow. Das Telegramm schlug im Apostolischen Palast wie eine Bombe ein: Nach Jahrzehnten der Funkstille zwischen der Sowjetunion und dem Vatikan, nach unsäglichem Leiden der Kirche im Osten, gab es erstmals eine offizielle Geste der Öffnung. Nach der langen Eiszeit konnte jenes Tauwetter beginnen, das später als die vatikanische Ostpolitik in die Geschichtsbücher eingehen sollte.

Stichwort Kuba-Krise 1962: Die Welt steht vor dem Abgrund eines Atomkrieges: Der Konflikt der USA mit Kuba spitzt sich dramatisch zu. Die Sowjetunion stellt Fidel Castro Atomraketen zur Verfügung. Kennedy verhängt eine Seeblockade um die Insel. Das Katastrophenszenario konnte nur noch durch eine neutrale politische Instanz entschärft werden, die das Vertrauen beider Seiten genoss. Wer konnte dies sein? Vielleicht sogar der Papst?

Wie die geheime Vermittlung des Vatikans in dieser heiklen Situation im Einzelnen ablief, ist bis heute nicht genau geklärt. Dass der Durchbruch bevorstand, ahnte die Weltöffentlichkeit am 25. Oktober, als Johannes um 12 Uhr Mittags über Radio Vatikan an die Völker der ganzen Welt und ihre Regierungen eine Ansprache hielt. Der Papst wählte die internationale Diplomatensprache: Französisch. Seine Rede war nicht lang, aber es war einer der bewegendsten Friedensappelle, die jemals ein Papst verkündet hat. Was die Zuhörer nicht wissen konnten: der Text des Vatikans war Moskau und Washington vorab übermittelt worden. Er war das verabredete Startsignal für die Aufnahme von offenen Verhandlungen.

„Herr, höre das Flehen Deines Dieners, höre das Flehen Deiner Diener, die Deinen Namen fürchten.’ Dieses alte biblische Gebet kommt heute über Unsere Lippen, kommt aus der Tiefe Unseres bewegten und betrübten Herzens ... Es ziehen drohende Wolken auf, die den internationalen Horizont verdunkeln und in Millionen und aber Millionen Familien Angst säen ... Wir flehen die Staatsoberhäupter an, nicht unempfindlich zu bleiben gegenüber diesem Aufschrei der Menschheit. Sie sollen alles in ihrer Macht stehende tun, um den Frieden zu retten. Sie sollen weiter verhandeln. Darauf nämlich ruht der Segen des Himmels und der Erde“.

Eindringlich forderte der Papst alle Menschen auf, zum Gebet Zuflucht zu nehmen. Zur allgemeinen Verblüffung veröffentlichte die „Prawda“ am 26. Oktober den Friedensaufruf des Papstes; Nikita Chruschtschow erklärte später, die Worte Johannes’ XXIII. hätten ihn und viele Russen beeindruckt. Papst Johannes XXIII. hatte noch andere politische Ziele: Rüstungsstopp, allgemeine Entspannungspolitik und die friedliche Koexistenz von Kapitalismus und Kommunismus. Dabei berief sich der gute Papst auf die Prinzipien der allgemeinen Vernunft, die allen Menschen, unabhängig von ihrem Glauben, zugänglich sind. Und neben diesen Forderungen wartete der Vatikan mit einer weiteren politischen Neuerung auf: der ausdrücklichen Anerkennung der UNO und der universalen Charta der Menschenrechte. Das Papsttum sprang damit sozusagen über seinen eigenen Schatten und trat auf eine neue Weltbühne. Ein politischer Meilenstein.

Lassen Sie mich diese Sendung mit einer Ansprache Papst Johannes XXIII. abschließen, die nicht nur das politische Gespür, sondern ebenso seine Herzensbildung aufzeigt: am Abend der Konzilseröffnung wandte sich Johannes in einer frei gehaltenen Rede an die unzähligen Menschen, die sich auf dem Petersplatz versammelt hatten und hielt zum Abschluss eines eindrucksvollen Fackelzugs vom Fenster seines Arbeitszimmers aus, die berühmte Rede, die als „Mondscheinrede” in die Geschichte eingegangen ist:

„Geliebte Kinder, ich höre eure Stimmen. Meine Stimme ist nur eine einzige, aber sie nimmt die Stimmen der ganzen Welt in sich auf. Hier ist in Wirklichkeit die ganze Welt vertreten. Man könnte meinen, sogar der Mond hätte sich heute besonders beeilt, um dieses Ereignis mitzuerleben. Seht!, wie er dort oben strahlt! Ihm ist bekannt, dass wir den Abschluss eines großen Tages des Friedens feiern, ja des Friedens: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden allen Menschen guten Willens! Wenn ihr heute nach Hause zurückkehrt, dann werdet ihr dort eure Kinder vorfinden: Umarmt sie und sagt ihnen: das ist eine Liebkosung vom Papst. Dem Segen füge ich noch meinen Gutenachtkuss an.“

Eine Sendung von Aldo Parmeggiani.

(rv 18.08.2013 AP)







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