Die nuklearen Desaster Japans: Die Wunden sind immer noch offen
Japan erhöht die Warnstufe
in Fukushima: Wegen eines Lecks an einem der Wassertanks rief die Regierung des Landes
einen „ernsthaften Zwischenfall“ aus. Nach dem Erdbeben im März 2011 und der folgenden
Kernschmelze wird konstant Wasser in die Reaktoren gepumpt, das dann verseucht wieder
heraustritt und in Wasserbehältern aufbewahrt wird. Einer dieser Behälter verliert
nun offenbar viel Wasser. Fukushima ist aber nicht das einzige Atom-Thema, das Japan
derzeit umtreibt. Der alte und neue Premierminister Shinzo Abe überlegt, den Artikel
Neun der Verfassung zu ändern: Dieser Artikel verbietet dem Land, eine Armee zu unterhalten:
„Das Recht des Staates auf Kriegsführung wird nicht anerkannt“.
Kardinal Peter
Turkson, der Präsident des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden, war zu
Beginn des Monats zu Besuch in Japan. Er gedachte dort mit der Kirche den Atombombenabwürfen,
traf sich mit anderen Religionsgruppen und kam mit Eindrücken zu Frieden und Versöhnung
zurück. Er war auf Einladung der katholischen Kirche zu den Gedenktagen zu Hiroshima
und Nagasaki dorthin gereist.
„Ich denke, dass die Wunde immer noch offen
ist, obwohl es die Sorge gibt, dass jetzt wo die letzten Opfer sterben, die Gesellschaft
immer weniger sensibel wird, was die Auswirkungen der Bombardierung angeht. Japan
erinnert sich sehr wohl, dass es das einzige Land ist, das jemals einen Atombombenabwurf
erlitten hat. Die Narben kann man immer noch sehen und diese Narben kann man auch
nicht einfach wegwünschen. Mit den Gedenkfeiern jedes Jahr werden die Geschichten
neu erzählt und auch wieder durchlebt. Wo immer ich hinkomme berichte ich, dass Japan
das einzige Land ist, das von Frieden spricht, ohne damit auf Abschreckung als Fundament
zu setzen. Japan spricht nicht über Frieden, weil es Waffen hat, die es anderen Waffen
entgegensetzen kann, sondern weil es keine Waffen hat, die das können. Japans Sprechen
über Frieden ist also die ehrlichste Weise auf der Welt, das zu tun. Leider ist das
im Augenblick unter so viel Druck.“
Nach den Erfahrungen des Krieges und
den furchtbaren Erlebnissen der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki wollte das Land
den Pazifismus, das scheint die Regierung nun ändern zu wollen. Premier Abe scheint
sogar über eigene Atomwaffen nachdenken zu wollen.
„Als zum Beispiel in
Hiroshima das Gedenken veranstaltet wurde, gab es zwei Demonstrationen, zwei Protestgruppen
im Hintergrund. Die eine war eine rechtsgerichtete Partei, die Japan zurück in seine
militarisierte Macht führen will. Die anderen fürchteten, das Japan seine Lektion
immer noch nicht gelernt habe, ihr Slogan war „Nein zum Atom“ und sogar auch „Nein
zu Atomstrom“. Durch die jüngsten Lecks an den Reaktoren in Fukushima wird diese Position
noch einmal stärker. Die Frage nach Nuklearenergie ist in Japan sehr lebendig, auch
verbunden mit den Bombardierungen.“
Hier treffen sich zwei Erfahrungen,
die Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und den Frieden in der Geschichte eines
Landes verbinden, berichtet Turkson. Noch immer gebe es Menschen, die bereit sind,
der angeblich preiswerten Energieform Atomstrom wegen Risiken in Kauf zu nehmen, und
das kollidiere mit der historischen Erfahrung.
„An einem Ort wie Japan zum
zweiten Mal Opfer von Strahlung zu werden bringt starke Erinnerungen zurück. Japan
ist eine Insel und deswegen sehr verwundbar, es ist sehr klein, kann aber große Teile
des Pazifischen Ozeans mit dem auslaufenden Wasser verseuchen. Die ganze Welt muss
jetzt solidarisch zu Japan stehen, wenn das Land eine Lösung für sein Atomproblem
sucht, was ja auch das Problem von vielen anderen Ländern ist.“
„Wahrer
Friede und wahres Glück kommen von Gott“: Eine der Botschaften, die Kardinal Turkson
in seinen Predigten in Japan wiederholte. Religion kann ihre Rolle bei der Suche nach
Lösungen spielen, wenn man sich zusammen tut.
„In Kyoto haben wir an einer
Zeremonie an einem Shinto-Schrein teilgenommen, zu der viele Vertreter verschiedener
Religionen zusammen kamen. Genauso in Hiroshima. Es gibt internationale Gruppen, die
die Kraft der Religionen fördern wollen, gemeinsam den Frieden zu schaffen. Darüber
hinaus pflegt Japan aber auch durch seine eigene lange Tradition die Werte Toleranz
und gegenseitigen Respekt, die es den Religionen erlauben, zusammen für Frieden zu
beten. Das haben wir in Hiroshima und in Nagasaki getan. Und das haben wir dort auch
gefeiert: Man kann nicht den Frieden fördern, ohne diesen gegenseitigen Respekt zu
pflegen und ohne Religionsfreiheit. Wir haben also als Religionsvertreter zwei der
wichtigsten Zutaten für den Frieden gefeiert: Toleranz und gegenseitigen Respekt.“
Japan
stehe unter Druck, von Korea und China in der eigenen Nachbarschaft, was auch militärische
Auswirkungen habe, besonders was Nordkorea angehe. Gleichzeitig brauche die Wirtschaft
Energie und das in einem Land, das kaum eigene Rohstoffe habe. Das habe zum Imperialismus
der Vergangenheit geführt und zur Abhängigkeit vom Atomstrom heute. Friedliche Lösungen
seien dringend notwendig, so Turkson, und hier komme die Religion ins Spiel: Anschließend
an das Gedenken an die Opfer der Atombomben zeige sich, wie der Frieden in der Region
gefördert werden könne und was für eine Rolle Religion spiele.