Nord-Irland-Konflikt: „Insgesamt nimmt die Gewalt ab“
Gewalt-Nachrichten
aus Nordirland: Nach einem Protest pro-britischer Hardliner gegen eine Menschenrechtsdemonstration
im Belfaster Stadtzentrum kam es in der Nacht auf Samstag in Belfast wieder einmal
zu Krawall auf den Straßen. Nach Medienangaben wurden dabei mehr als 50 Polizisten
verletzt. Die deutsche Uschi Grandel berichtet für die Internetseite info-nordirland.de
schon lange über den Konfliktlösungsprozess auf der Insel und ist gerade selbst in
Nord-Irland unterwegs. Sie berichtet im Interview mit Radio Vatikan, wie es zu dem
Zusammenstoß kam. Die Loyalisten hatten zwar die Erlaubnis, am Freitag gegen die Demonstration
in Belfast zu protestieren, sie hielten sich aber nicht an die Auflagen:
„Dieser
Protest wurde erlaubt, allerdings sollten sie an der Seite demonstrieren und es sollten
nicht mehr als insgesamt sechs Gruppen mit nicht mehr als 75 Leuten dabei sein, damit
das ganze unter Kontrolle gehalten werden kann. Es war allerdings klar, dass die Hardliner
unter den Krawallmachern das nicht beachten: Relativ früh haben sie die Straße im
Stadtzentrum besetzt, an der die Demonstration entlanggehen sollte. Es gab ein riesiges
Polizeiaufgebot. Die Polizei hat versucht, Recht durchzusetzen – was sie in früheren
Jahren wohl kaum getan hätte. Sie hat die Loyalisten von der Straße vertrieben und
die Demonstration umgeleitet. Das war der Anlass für die Krawalle, die es dann später
gab: Da sind pro-britische Gruppen gezielt, wie sie es immer machen, gegen kleine
und isolierte irische Viertel in Stadtnähe vorgegangen.“
Diese Auseinandersetzung
war also absehbar…
„Ja, das war absolut absehbar. Im Sommer, der so genannten
,marching-season’, wo auch die Oranierorden ihre Märsche abhalten, gab es in Belfast
gewaltsame Auseinandersetzungen mit Loyalisten und auch Oranierorden, die bestimmte
Auflagen nicht akzeptieren wollten, die ihnen auf ihre Marschrouten auferlegt wurden.
Man muss aber dazu sagen, dass Belfast ein spezielles Thema ist: Es war lange die
Hochburg der absoluten britischen Hardliner. Es gibt andere Orte, wo Konflikte zum
Beispiel um Oranier-Märsche oder um Fahnen oder ähnliches, friedlich im Dialog ausgetragen
werden. Das ist meistens da, wo es irische Mehrheiten gibt, in Derry zum Beispiel.
Dort sind die Märsche dieses Jahr absolut friedlich abgelaufen, weil im Vorfeld geredet
wurde, weil man sich geeinigt hat, was in Belfast so leider nicht möglich war.“
Wie
ist denn die Lage aktuell in Belfast, auch für die Katholiken dort?
„Man
sieht in den Nachrichten immer nur die Randale und die Krawall-Macher. Die sind aber
nur ein ganz, ganz kleines Spektrum in Belfast. Im normalen Leben fallen die eigentlich
kaum auf. Das war jetzt diese Blockade in der Innenstadt, das haben die Touristen
auch gesehen, aber ansonsten sind solche Krawalle eigentlich eher sehr lokal in irgendwelchen
Vierteln und flammen mal über eine Nacht oder so auf. Ansonsten ist es aber in Belfast
ruhig, friedlich und im Moment sehr sonnig.“
Wie schätzen Sie die weitere
Entwicklung der Lage ein, ist davon auszugehen, dass es weitere Krawalle gibt?
„Ich
glaube, dass da noch etwas kommt, aber das ist auch nichts Neues. Ich glaube man muss
verstehen, dass dieser Konfliktlösungsprozess zu ungeheueren Fortschritten geführt
hat. Das Friedensabkommen ist 1998 unterschrieben worden, das ist also schon eine
Zeit lang her. Danach gab es noch ziemlich heftige Auseinandersetzungen.
Es
ging im Friedensprozess sehr viel um die Demokratisierung der Polizei und 2007 hat
die Partei Sinn Féin den Schritt getan, die Polizei anzuerkennen.Das war vorher nicht
der Fall. 2007 ist außerdem die Regionalregierung in Nordirland aufgestellt worden.
Sie arbeitet seither unter Führung von dem Minister und dem stellvertretenden ersten
Minister, die von Peter Robinson von der DUP (Democartic Unionist Party) als erster
Minister und von Martin McGuinness (Sinn Féin) als stellvertretendem ersten Minister
gleichberechtigt geführt wird. In diesen Etappen sind gewaltige Schritte nach vorne
gemacht worden – zur Stabilisierung und zur Beruhigung der Lage. Aber dieser Konfliktlösungsprozess
erfordert eine ganze Menge Themen: Auf der einen Seite eine Demokratisierung Nordirlands
in allen Bereichen, weil das Land durch diese über 30 Jahre Konflikt zum einen extrem
militarisiert ist, aber auch strukturell extrem auf Konflikt ausgerichtet war. Was
auch ein wichtiges Thema ist, ist die Aufarbeitung der Vergangenheit, dass man sich
wirklich als Gesellschaft klar wird über das, was passiert ist. Dass man sich gegenseitig
respektiert und dass es gleiche Bedingungen für jeden gibt. Da tun sich etliche von
den pro-britischen Unionisten sehr schwer, weil insbesondere ihre Führer die Lage
in Nordirland sehr lange kontrolliert haben. Für die heißt Gleichberechtigung Abgabe
von Macht. Das ist vor allem für die Oranierorden ein Problem, die ihren Einfluss
schwinden sehen. So kann man sehen, dass es Führungspersönlichkeiten gibt, im pro-britischen
Lager, die nicht auf Ausgleich setzen, sondern auf Eskalation, weil sie sich davon
erhoffen, dass sie sich in dem Machtkampf, der dort tobt, die Hardliner auf ihre Seite
ziehen und damit vielleicht Wähler fangen können. Es ist schade, dass es im Moment
keine Führungspersönlichkeit auf dieser pro-britischen Seite gibt, die aufsteht und
sagt: ,Leute, ihr lauft da in eine Sackgasse.’
Aber das ist ein Prozess,
der sich da abspielt. Der ist im Moment nicht mehr oder weniger gewaltsam, wie letztes
oder vorletztes Jahr. Der Gewaltlevel schwankt immer so ein bisschen, aber er nimmt
ins gesamt extrem stark ab – und das ist die positive Botschaft daran.“