Europa: Keine Antwort auf Flüchtlingsdrama im Mittelmeer
Das Drama um die Flüchtlinge,
die über das Mittelmeer nach Europa kommen wollen, dauert weiter an: Erst am Donnerstag
berichtete Radio Vatikan, dass sich Italien bereit erklärt, 102 gerettete Bootsflüchtlinge
aus Afrika aufzunehmen. Die Menschen aus Eritrea und Äthiopien, darunter auch Schwangere
und Babys, waren vor Malta gestrandet und von den dortigen Behörden nicht aufgenommen
worden. In der Nacht auf diesen Freitag haben weitere 580 Flüchtlinge die sizilianische
Küste erreicht. Alleine etwa einhundert Flüchtlinge aus Syrien waren auf einem elf
Meter großen Kahn unterwegs. Und wieder stellt sich die Frage: Wie soll das weitergehen?
Klaus Barwig beschäftigt sich in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart mit
Migration und Flüchtlingsbewegungen. Er sagte im Gespräch mit Radio Vatikan:
„Zunächst:
Wenn Sie Zahlen nennen, derjenigen, die jetzt angekommen sind, dann muss man eigentlich
die Zahlen dazu nehmen, von all den Menschen, die nicht übers Meer kommen oder im
Meer untergehen. Damit zeigt sich die ganze Dramatik der Situation, der bisher Europa
nicht angemessen Herr geworden ist: Die Europäer sind offensichtlich nicht in der
Lage, an die Ursachen des Problems zu gehen. Und sie sind nicht in der Lage, sich
der Not und des Flüchtlingselends wirklich anzunehmen, das in Herkunftsländern herrscht.“
Europa
versucht ja, mit seinen Frontex-Truppen die Flüchtlingsströme zu kontrollieren. Frontex
hat sehr viel Kritik in den letzten Jahren auf sich gezogen. Wie sehen Sie Frontex
heute?
„Also wenn der Papst auf Lampedusa gesagt hat, ,niemand sieht sich
wirklich verantwortlich für diese Flüchtlingsdramen’, dann muss man das an einer Stelle
ein bisschen korrigieren: Frontex ist die Antwort Europas, die bisherige Antwort Europas
auf diese Flüchtlingsdramen. Ob das eine angemessene Antwort ist, das mag sehr stark
angezweifelt werden. Es gibt genügend Berichte, auch von Parlamentariergruppen, die
bestimmte Ereignisse nachrecherchiert haben, wo Frontex nicht geholfen hat, nicht
eingegriffen hat. So muss man sagen: Solange Europa als eine wesentliche Antwort auf
dieses Elend Frontex einsetzt, kann man sich den Eindrucks nicht erwehren, dass die
Festung Europa nach wie vor das Bild ist, das das ganze Drama prägt.“
Wenn
Sie, Herr Barwig, politische Verantwortung in Europa tragen würden, was würden Sie
tun? Was würden Sie den europäischen Staaten empfehlen?
„Es gibt keine Alternative
zur Öffnung. Wenn wir zum Beispiel Flüchtlinge aus Irak, die sich schon lange in Syrien
aufhalten, wenn wir diese Gruppen zum Beispiel ansehen, dann sind das ganz viele Menschen,
die sich westlichen Werten verschrieben haben, die Christen sind, die keine Chance
mehr haben auf Rückkehr, die seit Jahren schon in Syrien ausgeharrt haben und jetzt
übers Meer fliehen müssen. Es kann nicht sein, dass Europa solchen Leuten, gerade
denen, die sich westlichen Werten verbunden fühlen – verschlossen bleibt. Und es mutet
nachgerade makaber an, das, wer es dann geschafft hat, beispielsweise als irakischer
Christ in Deutschland anzukommen, mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit als Flüchtling
anerkannt wird. Leider mit dem Risiko, dass er vorher entweder im illegalen Transport
nach Deutschland erstickt, aufgegriffen wird oder im Meer ertrinkt.“
Der
Papst hat bei seinem Besuch auf Lampedusa vor rund vier Wochen die Verantwortlichkeit
für die Flüchtlinge eindeutig formuliert. Eine andere Frage ist ja, was wir alle tun,
damit diese Migration gar nicht erst entsteht. Was wir tun, damit die Menschen in
ihren Herkunftsgebieten menschenwürdig leben können. Wie beurteilen Sie die Aktivitäten
der Kirche in diesem Bereich?
„Also ich denke, dass Kirchen mit ihren internationalen
Wohlfahrtswerken sehr viel tun. Wenn man beispielsweise an die an den Brennpunkten
arbeitenden Jesuiten mit ihrem Jesuitenflüchtlingsdienst denkt, da wird sehr viel
gemacht. Und ich denke, auch die moralische Autorität des Papstes mit seinem symbolträchtigen
Besuch in Lampedusa wird sicher gehört. Nur was soll man mit hunderttausenden von
in Syrien gestrandeten irakischen Flüchtlingen machen? Wie soll man da, wie kann man
da vor Ort helfen? Da hilft nichts anderes als ein viel großzügigeres europäisches
System der Lastenteilung, des burdon sharing. Es kann natürlich nicht sein, dass man
Staaten wie Griechenland oder Situationen wie Lampedusa oder Malta sich zunächst selbst
überlässt. Man bekommt den Eindruck, das hat alles mit Abschreckung zu tun. Das kann
nicht die Antwort des reichen Europas gegenüber Menschen sein, die sich vielfach den
Werten dieses Europas verpflichtet fühlen, und die in ihren Herkunftsländern und in
den Ländern, in denen sie Zwischenstationen machen, nicht existieren können.“
Italien
hat ja nun zugestimmt, die 102 vor Malta gestrandeten Flüchtlinge aufzunehmen. Ist
das ein wichtiges Signal?
„Da sind die 102 hoffentlich nicht das letzte
Wort. Dann wäre es im Grunde reine Symbolpolitik. Da muss mehr passieren.”