Reden über Gott und Welt: Die „innere Gegenwart“ des Konzils
„Liebe Brüder
und Schwestern, morgen sind es 50 Jahre, dass Papst Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische
Konzil eröffnet hat und an diesem Tag beginnen wir auch ein ‚Jahr des Glaubens’, um
uns wieder neu in das Wollen dieses Konzils und in das Wollen des Herrn selbst hinein
zu geben, glauben zu lernen und aus dem Glauben zu leben“.
Papst Benedikt
XVI. am 10. Oktober des vergangenen Jahres: Er erinnert an das Konzil, aber er betont
auch den Zweck einer solchen Erinnerung: Es geht nicht um das Gestern, sondern um
uns, um heute.
„Johannes XXIII. hat das Konzil einberufen aus dem Bewusstsein
heraus, dass das Christentum müde geworden war und nicht mehr so recht in der Zeit
zu stehen schien, in Sprache und Formen der Vergangenheit zu gehören schien. So hat
er das Stichwort „Aggiornamento“ geprägt, das „wieder auf den Tag bringen“. Das heißt
nicht, es äußerlich irgendwie neu anstreichen, sondern es bedeutet seine innere Gegenwart
neu zu entdecken. Er wollte, dass die ständige und lebendige Gegenwärtigkeit des Glaubens
wieder sichtbar wird, dass er wieder heute lebt und Menschen und die Welt von heute
formt.“
Das Wort „heute“ fällt auffällig oft, wenn es um die Erinnerung
an das Konzil geht. Aber wie geht das? Was bedeutet diese „innere Gegenwart“ und wie
komme ich dazu? Es ist ein Thema, das wie kein zweites in der katholischen Kirche
so emotional diskutiert wird: Die Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils für
heute. Sich selbst „Reformer“ nennende berufen sich genauso wie Päpste, Theologen
und Pfarreien gleichermaßen auf den Aufbruch und die Texte, den Geist oder schlicht
auf „das Konzil“.
Eine wachsende Gruppe Gläubiger, weltweit mittlerweile die
Mehrheit, kennt das Konzil aber nicht mehr aus der eigenen Erinnerung, sie sind erst
nach dessen Ende geboren worden. Die Emotionalität, die mit der Debatte unter älteren
Generationen verbunden ist, ist ihnen fremd, sie gehen mit ganz eigenen Zugängen an
dieses Konzil heran. Das Angelicum – die Hochschule der Dominikaner in Rom – ist ein
Ort, an dem sich Studierende aus aller Welt die Konzils-Texte vornehmen und sie miteinander
diskutieren. Pater Carsten Barwasser doziert dort systematische Theologie. Er kennt
die Debatten der Studierenden um das Zweite Vatikanum:
„Für die ist das
Zweite Vatikanische Konzil primär ein historisches Ereignis, das schon ziemlich lange
vergangen ist. Es ist aber auch sehr spannend, die unterschiedliche Wahrnehmung und
den unterschiedlichen Wissensstand auch was die einzelnen Kulturen betrifft zu betrachten:
Wir haben hier am Angelicum Studierende aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa:
Die haben alle einen sehr unterschiedlichen Hintergrund, auch was Informationen und
Wissen um das Konzil betrifft. Ich finde es spannend, dass gerade Studierende aus
der so genannten ‚Dritten Welt’, also aus Asien und aus Afrika ein Gespür dafür haben,
was das Konzil auch für sie bedeutet. Gerade wenn man mit ihnen über die Pastoralkonstitution
Gaudium et Spes spricht, über die ‚Zeichen der Zeit’, von denen dort die Rede ist,
dann kommt da ganz viel herüber von ihren eigenen Erfahrungen, wo das Konzil auch
für sie mit spricht. Mir scheint, dass bei diesen Studierenden der pastorale Bezug
im Vordergrund steht und diese Wahrnehmung des Kontextes von Armut und Ausbeutung,
das ist denen wichtig, weil es die Situation ist, aus der sie kommen.“
Die
Lebenssituation prägt die Lesart, kein unbekanntes Phänomen, im Gegenteil. Aber die
Lektüre und das Studium sind nicht einfach. Ein Problem der Texte, das mit wachsendem
Abstand zu ihrer Entstehung noch größer wird, ist zum Beispiel die Sprache:
„Das
ist sicherlich ein allgemeines Problem der Konzilstexte, diese Texte sind ja von der
ganzen Entstehung her eine durchmischte Komposition aus ganz verschiedenen Quellen.
Von der Sprache her sind sie einerseits immer noch sehr dichte theologische Texte
aber dann – gerade auch bei Gaudium et Spes – gibt es den Versuch, dort auch mit einer
neuen Sprache hinein zu kommen, eine existenzielle oder personale Sprache sollte da
hineingebracht werden, wobei auch das mittlerweile wieder einen Fremdheitscharakter
hat. Sprachlich gibt es definitiv eine Hürde, weshalb auch viel mehr Menschen vom
Geist des Konzils reden oder von der Dynamik, ohne jemals einen Text gelesen zu haben.
Ich glaube schon, dass diese Sprache der Texte an sich sehr schwierig ist und ein
echtes Hindernis darstellt.“
Von den 16 Texten sind nicht alle gleich unzugänglich
oder schwierig; ein Ergebnis ihrer Geschichte und ihres Entstehens.
„Wirklich
einfach ist keiner dieser Texte. ‚Dei Verbum’ über die Offenbarung hat den Ruf, einer
der unorganischsten und unausgewogensten Texte des ganzen Konzils zu sein, der zu
stark einen Kompromisscharakter habe. Das ist sicherlich nicht ganz falsch, denn gerade
um dieses Thema Offenbarung, bei dem es um das Herz des Glaubens geht, ist ganz stark
gerungen worden. Man merkt diesem Text natürlich das Ringen an, insofern ist er nicht
einfach glatt und es kostet Mühe, in so einen Text hinein zu kommen, aber ich glaube,
dass sich das bei einem Text wie ‚Dei Verbum’ durchaus lohnt, weil gerade in diesem
Text eine ganze Reihe von wichtigen Inhalten drin steckt, wie zum Beispiel die Neufassung
des Offenbarungsbegriffes als Selbstoffenbarung. Gott offenbart nicht irgendwas, also
eine Tafel von Sätzen oder irgendwelche Dogmen, sondern er offenbart sich selbst.
Das heißt, in Christus findet Gottesbegegnung statt. Das deutlich zu machen ist sehr
wichtig, wenn es darum geht, sich die Texte des Konzils anzuschauen.“
Nun
hat sich der Planet aber weiter gedreht, neue Philosophie, die Postmodernität, die
Globalisierung: all das stellt neue Fragen. Geben denn die alten Texte Antworten auf
die neuen Fragen?
„Teilweise sicherlich nicht mehr. Das Konzil hat ja mit
seinem pastoralen Anspruch das ganze selber formuliert, es wollte zeitbedingte Antworten
formulieren, was damals sehr neu war: Die Wahrnehmung der eigenen Kontextualität und
Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit. Zu versuchen, die Zeichen der Zeit zu erkennen
und zwar das Jahr 1965 zu erkennen. Die Zeichen der Zeit von 1965 sind sicherlich
nicht mehr die Zeichen der Zeit von 2013, dennoch finde ich es – wenn man hinein schaut
in die Texte – erstaunlich, dass eine ganze Reihe von Fragen dort uns weiterhin beschäftigt:
Die Armut ist weiterhin ein Thema, die Frage von Arbeit und Ausbeutung aber auch die
Frage nach Frieden und Konfliktbewältigung ist weiterhin virulent. Inwieweit jetzt
die eher theologischen Texte wie ‚Dei Verbum’ oder ‚Lumen Gentium’ eine gewisse Tagesaktualität
haben, ist natürlich eine gute Frage. Insofern braucht es immer Übersetzungsarbeit
und ich glaube, dass es eine der Aufgaben von Theologie ist, zu übersetzen, also das
was damals geschrieben wurde in eine heutige Sprache und in heutige Kontexte hinein
zu übersetzen.
Das Konzil selbst hat sich ja auch so verstanden. Wenn
man mal an die Eröffnungsansprache von Johannes XXIII. im Jahr 1962 denkt: dort versucht
er, eine Marschrichtung vorzugeben für das Konzil. Da geht es ganz eindeutig um diese
Übersetzungsarbeit. Es geht nicht darum, etwas völlig Neues zu schaffen, sondern darum,
den Glauben selbst zu verheutigen; den Glauben der etwas ist, was uns von Christus
her vorgegeben ist, zu interpretieren in unserem heutigen Kontext und so zu verheutigen
– Aggiornamento – das Menschen einen existenziellen Bezug dazu finden können. Das
ist eine Aufgabe, die das Konzil in den 60ern versucht hat – sicherlich nicht immer
erfolgreich – aber es hat damit eine Richtung vorgegeben, die weiterhin für uns gültig
ist.“
Diese Übersetzungsarbeit ist zum Teil schon erfolgt: die Würzburger
Synode etwa oder die Versammlungen der lateinamerikanischen Bischöfe zuletzt in Aparecida
2007 haben das geleistet, um nur einige wenige zu nennen. Aber es lohnt sich trotzdem,
auf die Originale selbst zurück zu greifen, meint Dominikaterpater Carsten Barwasser:
„Weil
das Ereignis an und für sich, von seiner Dynamik her, vom Zusammenkommen dieser über
2.000 Bischöfe und Ordensoberen her, ein Ereignis ist, was es so nicht mehr gegeben
hat. Auch wenn Bischofssynoden in Rom oder auf Regionalebenen natürlich eine ganz
eigene Bedeutung haben. Ich glaube, dass das Zweite Vatikanische Konzil ein ganz eigenes
historisches Ereignis ist und deswegen Kirche erfahrbar macht, und zwar in einer Dynamik,
die man sonst Kirche vielleicht gar nicht zutraut, weil man sonst Kirche sehr oft
auf die Institutionen beschränkt. Insofern sind es gar nicht unbedingt die
Texte selber – auch wenn die weiterhin wichtig sind und gelesen werden sollten – aber
ihre Bedeutung bekommen sie unter anderem auch von diesem Ereignis selbst, von der
Dynamik dieses Zusammenkommens, der Kommunikation die dort stattgefunden hat zwischen
den verschiedenen Traditionen der Kirche und mit den jungen Kirchen. Es ist ein kommunikatives
Ereignis einer ganz eigenen besonderen Art gewesen. Das macht ein Stück von dem aus,
warum das Konzil bis heute weiterhin von Bedeutung ist und warum es sich lohnt, an
die Texte heran zu gehen und warum es dann doch nicht reicht, sich mit den nachfolgenden
Texten zufrieden zu geben.“
Wenn wir also auf der Suche nach der Lebendigkeit
des Konzils für die Kirche heute oder in den Worten von Benedikt XVI. nach der „inneren
Gegenwart“ sind, kann uns das Konzil bei den schwierigen theologischen, den Glauben
betreffenden, den menschlichen und ethischen Entscheidungen helfen?
„Ich
glaube, dass zumindest eine Grundrichtung, wie wir uns mit solchen Situationen auseinander
setzen, auch durchaus weiterhin noch in den Texten des Konzils zu finden ist, ohne
dass wir davon ausgehen können, dass wir dort Patentrezepte finden. Ich glaube, dass
es ohnehin ein grundsätzliches Problem ist, wenn man die Texte des Konzils nimmt und
sie dann eins zu eins umsetzt, als wären sie Rezepte für kirchliche Reformen oder
für kirchliche Erneuerung. Sie sind als theologische Texte und als lehramtliche Texte
Vorgaben und sie bilden einen Rahmen und zeigen eine Richtung an. Aber sie sind keine
Texte, die man einfach eins zu eins umsetzen kann.“