2013-06-24 16:51:19

Brasilien: „Allgemeine Unzufriedenheit“


RealAudioMP3 Wenige Wochen vor dem Weltjugendtag gehen die Demonstrationen in Brasilien weiter: Auch am Sonntag versammelten sich in mehreren Städten erneut Protestanten, um gegen Korruption und staatliche Verschwendung zu demonstrieren. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hatte sich am Freitag zum ersten Mal seit Beginn der Unruhen vor knapp zwei Wochen an die Bevölkerung gewandt und ihre Landleute zu Einheit aufgerufen. Weiter stellte sie Verbesserungen der öffentlichen Dienstleistungen und mehr Anstrengungen gegen die Korruption in Aussicht. Am Dienstag trifft sie sich mit Vertretern der brasilianischen Bischofskonferenz, wobei auch eine Lagebesprechung zum kommenden Weltjugendtag auf dem Programm stehen dürfte. Wir haben mit unserer Kollegin Bianca Fraccalvieri von der brasilianischen Redaktion von Radio Vatikan über die Hintergründe der Proteste und ihre Auswirkungen auf den kommenden Weltjugendtag gesprochen.

„Es begann mit der Unzufriedenheit über die Bustarife. Die Reaktion der Polizei war sehr gewalttätig auf einer der ersten Demonstrationen. Und viele Menschen sind auch auf die Straße gegangen, um einfach ihr Demonstrationsrecht wahrzunehmen. Doch dann sind andere Gründe für die Proteste hinzugekommen: Vor allem die Korruption, die enormen Kosten für die Organisation der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2014 und auch die Probleme zwischen der Rechtsprechung und dem Kongress. Es gibt viele Forderungen auch im Bereich des Gesundheitswesens und im Bildungsbereich.“

Grundton bei den Demos: die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit. Brasiliens wirtschaftlicher Aufschwung ging nicht mit einer flächendeckenden Entwicklung im sozialen System einher: Viele Probleme gibt es etwa in der Gesundheitsversorgung; das staatliche System ist finanziell und personell schlecht ausgestattet, was vor allem die armen Teile der Bevölkerung belastet. In diesem Punkt treffen sich auch die Anliegen der Bürger und der Kirche im Land, die sich für eine ganzheitliche Entwicklung Brasiliens ausspricht, die allen im Lande zugutekommt. Fraccalvieri:

„Brasiliens Entwicklungsmodell gründet sich auf den internen Konsum. Die Regierung hat einen Konsum stimuliert, bei dem man alles im Land in Raten kauft, alles, angefangen bei einem Hemd für 15 Euro, das man in drei Raten von fünf Euro bezahlen kann, bis hin zu einem Auto oder einem Haus. Das hat es den Ärmsten ermöglicht, dass sie ein etwas besseres Leben haben konnten. In anderen Bereichen aber haben wir keine Ergebnisse gesehen – nicht im Bildungsbereich und vor allem im Gesundheitsbereich.“

Präsidentin Dilma Rousseff hat für diesen Montag ein Treffen mit Vertretern der Lokalpolitik anberaumt, auf dem ein „nationaler Pakt“ auf den Weg gebracht werden soll. Mit Versprechungen gäben sich viele Leute nicht mehr zufrieden, so Fraccalvieri, sie forderten jetzt spürbare Verbesserungen. Auch die katholischen Bischöfe des Landes sehen ein neues Bewusstsein in der brasilianischen Gesellschaft erwacht. Ein erster Schritt der Regierung auf die Demonstranten zu sei gewesen, die geplante Erhöhung der Bustarife zurückzunhemen, so Fraccalvieri; zum Sprachrohr der Forderung hatte sich die Bewegung „Movimento Passe Livre“ (MPL) gemacht, deren Vertreter Rousseff an diesem Montag traf. Schnelle Kompromisse bei den anderen Punkten werde es aber wohl kaum geben – dazu seien die Forderungen zu komplex und auch regional zu vielfältig, meint Fraccalvieri:

„Es ist eine generelle Unzufriedenheit, und in jeder Stadt, in der man demonstriert, demonstriert man auf Grundlage der lokalen Realität. Was man also in Curitiba fordert, ist nicht dasselbe, was man in Rio will oder in Brasilia. Es gibt also eine Reihe von Motiven. Und das Problem, das wir jetzt haben, sind auch die fehlenden Anführer der Proteste, denn die Regierung kann nicht mit einer bestimmten Gruppe sprechen, es geht um so viele Dinge.“

Inwiefern die Proteste die Durchführung des Weltjugendtages Ende Juli in Rio de Janeiro gefährden könnten, ist kaum abzusehen. Das lokale Organisationskomitee und der Vatikan sind jedenfalls nach wie vor zuversichtlich, dass alles nach Plan ablaufen kann und dass die Sicherheit des Papstes, der Pilger und der Bevölkerung nicht gefährdet wird. Erfahrung mit Massen-Events hat Rio de Janeiro schon – doch auch die brasilianische Regierung mit Massenprotesten? Dazu Fraccalvieri:

„Das Problem ist, dass das etwas Unbekanntes ist bei uns. Die letzte Volksbewegung dieser Art gab es im Jahr 1992, das Volk geht also schon jahrzehntelang nicht mehr auf die Straße… Bei den aktuellen Protesten gab es bisher zwei Tote, viele Festgenommene und Verletzte, weil die Polizei ziemlich heftige Methoden einsetzt. Bei den ersten Protesten gab es keinen Vandalismus, doch nachher schon. Ein Gruppe ,Black Block‘ hat damit begonnen und ja, da gab es viele Probleme, vor allem in São Paolo, Rio, Brasilia und Fortaleza.“

Aus Sorge vor Eskalationen hatte die brasilianische Protestbewegung „Movimento Passe Livre“ (MPL) weitere Demonstrationen für das vergangenen Wochenende in São Paulo abgesagt. Extreme Rechte und militante Gruppen, die „außer Gewalt und Plünderungen nichts anderes im Sinn“ hätten, drohten sich unter die friedlichen Proteste zu mischen, gab die Bewegung an. In Rio nahmen am Sonntag 4.000 Menschen an einer Demonstration gegen Korruption teil, in Fortaleza gingen 500 Menschen. Auch außerhalb des Landes zeigten sich Brasilianer mit ihren Landsleuten solidarisch und gingen auf die Straße, darunter in Toronto, Buenos Aire, Mexiko Stadt, London, Paris und Bologna. Insgesamt haben die Proteste in Brasilien inzwischen ein wenig abgenommen; allerdings wird in sozialen Netzwerken zu einem Generalstreik für den 1. Juli aufgerufen.

(rv/diverse 24.06.2013 pr)







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