Seligsprechung eines
Mafiagegners in Palermo: Am Samstag wurde ein Priester seliggesprochen, den die Cosa
Nostra hingerichtet hat. Don Pino Puglisi. Eine sizilianische Hoffnungsgeschichte.
Es ist der 15. September vor zwanzig Jahren, abends, im Stadtviertel Brancaccio von
Palermo. Die Nachbarn von Pfarrer Giuseppe (gemeinhin „Pino“ genannt) Puglisi hören
irgendwelche seltsamen Geräusche vor ihrem Haus. Herr de Pasquale aus dem zweiten
Stock erinnert sich: „Ich bin herunter gerannt, wir alle liefen durcheinander, wir
glaubten, Don Pino hätten einen Schlaganfall gehabt. Auf dem Pflaster lag er, es war
ein bisschen Blut zu sehen. Wir haben sofort einen Krankenwagen gerufen, meine Frau
hat mit Don Pinos Bruder telefoniert, und seltsamerweise war der Krankenwagen praktisch
sofort zur Stelle, so etwas erleben wir hier sonst nie. Ich bin mit eingestiegen,
habe während der Fahrt Don Pinos Hand gehalten – er lebte noch – und immer wieder
gesagt: Halten Sie durch! Aber Don Pino sprach nicht, er hatte nur sein gewohntes
Lächeln auf den Lippen. Wir waren dann auf der Notaufnahme, dort haben sie alles Mögliche
versucht, aber er starb ihnen unter den Händen. Und erst danach haben sie entdeckt,
dass der Leichnam ein Einschussloch hinter dem Ohr hatte.“
Don Pino ist erschossen
worden. Von wem? Der Verdacht liegt nahe hier in Palermo: von der Mafia. Die hatte
der mutige Pfarrer mit seiner Jugendarbeit schließlich herausgefordert. Herr de Pasquale
hatte den Pfarrer am Abend vor dem Mord kurz gesprochen: „Er wirkte ein bisschen besorgt.
Ich fragte ihn, ob es irgendwelche Probleme gäbe, aber er sagte Nein, zerbrich dir
nicht den Kopf. Dabei wussten wir, auch wenn er nie darüber sprach, dass er Todesdrohungen
von der Mafia bekam. Wir hatten ja fast dieselbe Telefonnummer, nur die Ziffer am
Schluss war eine andere, und ein paar Mal haben auch wir telefonisch Drohungen gegen
Don Pino bekommen.“ Da hatte sich die Mafia offenbar verwählt.
Don Pino: ein
Sizilianer. Die Mutter ist Schneiderin, der Vater Schuster, Pino wird Messdiener,
spürt die Berufung zum Priestertum. 1960 wird er geweiht, Jahrzehnte der Pfarreiarbeit
beginnen. 1992 gründet er das Pfarreizentrum „Vaterunser“: Hier treffen sich die Jugendlichen
nach der Schule, machen Hausaufgaben, spielen Fußball. So müssen sie nicht mehr auf
der Straße herumhängen, wo es keine Arbeit gibt. Aber die jungen Leute kaufen auch
für Ältere ein oder holen ihre Rente bei der Bank ab – Dinge, die bisher in der Regel
die Mafia organisiert hatte. Don Pino will damit das Stadtviertel wiederaufbauen,
ohne Mafia. Er selbst sagt damals in einem Interview: „In unserer Zone gibt es viele
Arme: Da leben fünf, sechs Menschen in einem einzigen Zimmer zusammen.“ Die Graviano-Brüder,
die Mafiabosse des Viertels, lassen dem Priester Signale zukommen, um ihn einzuschüchtern
– doch der wehrt sich in einer Predigt während der Sonntagsmesse, er nennt die Brüder
beim Namen. Etwas Unerhörtes. Nach dem Mord an Don Pino wird seine Beerdigung zu einer
Massendemo gegen die Mafia. „Die Prozesse sind alle mit Schuldsprüchen zu Ende gegangen“,
berichtet der Anklagevertreter, „die Graviano-Brüder wurden als Auftraggeber verurteilt,
zusätzlich die Killer, die inzwischen beide die Tat bereut haben und mit der Justiz
zusammenarbeiten. Öffentlich von den Graviano-Brüdern in diesem Viertel zu sprechen,
wie das Don Pino getan hatte, war etwas Revolutionäres. Sie und ihre Leute hatten
dieses Viertel vor zwanzig Jahren völlig in der Hand. Was Don Pino getan hat, war
seelsorglich, aber auch noch mehr als das: Er hat einem ganzen Stadtviertel einen
Ausweg aus der Misere gezeigt – das war einer der Gründe für den Mord an ihm.“
„Man
hat mir immer gesagt, dass Gott alles vergibt“, sagt heute einer der Killer von Don
Pino. „Aber in diesem Fall hatte ich doch Zweifel, ob Gott einem wie mir so etwas
vergeben könnte.“ 46 Morde hat der „pentito“, der reuige Mafioso, der Polizei gestanden.
Die hat im Gegenzug dafür gesorgt, dass seine Frau und seine drei Kinder weit von
Palermo entfernt ein neues Leben anfangen können. Der frühere Killer lebt unter Polizeischutz,
Fotos gibt es praktisch keine von ihm. An Don Pino kann er sich genau erinnern. „Wir
haben ihn vor seinem Haus erwartet. Als er ankam, sind wir aus dem Auto gestiegen.
Er schien sofort zu verstehen, dass er sterben musste. Aber er wirkte gefasst, in
Frieden mit Gott.“ Erst hatte man Don Pino mit dem Auto anfahren wollen, damit die
Sache aussah wie ein Unfall. Aber dann kam da diese Predigt, in der Don Pino die Bosse
beim Namen nannte. Die entschieden daraufhin, ihn richtiggehend hinzurichten. „Man
kann geteilter Meinung über die reuigen Mafiosi sein, und wie reuig sie nun wirklich
sind“, sagt der Ankläger aus den Graviano-Prozessen, Doktor Patronaggio. „Aber eines
ist sicher: Ohne solche „pentiti“ können wir kaum die Wahrheit herausfinden und prozesssicher
machen. Dass einer der Killer heute speziell den Mord an Don Pino bereut, das nehme
ich ihm durchaus ab. Aber er war damals eben in einer Situation, in der er Mordaufträge
auszuführen hatte; er war ein Killer und kein Boss.“
„Lange Zeit war die Mafia
im Stadtviertel Brancaccio das einzige, was funktionierte“, erzählt heute jemand aus
dem Brancaccio-Viertel, der auch eine kleine Mafia-Vergangenheit hinter sich hat.
„Pater Puglisi aber startete ein Gegenprogramm zu dieser Kultur des Todes. Vor Don
Puglisi gab es hier nur Mafia. Eine ganze Generation hatte nur die Mafia als Bezugspunkt.
Und Don Puglisi hat die Cosa Nostra auf die einfachste Weise bekämpft, die sich nur
denken lässt. Er hat mir einen schönen Lederfußball geschenkt und dazu gesagt: Geh
mal da rüber zu diesen Jungs auf der Straße, und organisiert ein Match. Später, als
ich Medizin studierte, sagte er mir: Falls ich mal umgebracht werde, dann sorg du
doch bitte für eine Autopsie!“ Der Ankläger aus das Graviano-Prozessen sieht heute
zwei Gründe für den Mord an Don Pino Puglisi. Als erstes einen Grund, der mit der
Arbeit des Geistlichen in Brancaccio zu tun hatte. „Und zweitens, viel wichtiger,
den allgemeinen Angriff der Mafia auf die Kirche. Papst Johannes Paul II. hatte bei
einem Besuch in Sizilien starke Worte gegen die Mafia gefunden, die antwortete mit
Bomben auf 2 römische Basiliken und, im September, schließlich mit dem Mord an Don
Pino Puglisi.“
Das führt uns zurück in dieses Jahr 1993 – da war die Erinnerung
noch frisch an die Ermordung der zwei Richter Falcone und Borsellino im Jahr zuvor.
Am 9. Mai feierte Papst Johannes Paul II. eine Messe im Tal der Tempel von Agrigento
– und rief dabei spontan aus, mit zornrotem Gesicht: „Gott hat gesagt: Du sollst nicht
töten! Kein Mensch, auch nicht die Mafias, darf dieses heiligste Gesetz Gottes mit
Füßen treten. Ich sage den Verantwortlichen: Bekehrt euch! Eines Tages kommt das Gericht
Gottes!“ „Bis dahin hatte die Mafia offenbar die Kirche als heilig und unberührbar
eingestuft“, urteilt der bekannte Anti-Mafia-Priester Don Luigi Ciotti. „Jetzt aber
wird die Kirche auf einmal als Gegner wahrgenommen. Der Papst hatte an die Gewissen
der Menschen gerührt. Darum dann die Reaktion der Mafia... Die Kirche muss sich auch
weiter einmischen, sie darf nicht vergessen. Seit damals ist das auch der Kirche immer
stärker klar. Auch wenn es immer noch Grauzonen gibt. Immer noch zu viele, die lau
sind und übervorsichtig.“
Alessandro Maria Minutella ist Pfarrer in Sankt Don
Bosco in Palermo: der Pfarrei, wo Puglisi einstmals seine ersten Schritte als Seelsorger
gemacht hat, sozusagen. „Ich glaube, diese Seligsprechung macht Don Pino zu einem
Modell nicht nur für die Kirche von Palermo – denn er war ja, das zu betonen scheint
mir wichtig, nicht in erster Linie ein Anti-Mafia-Priester, sondern er war ein Priester,
der das Evangelium in einer antichristlichen Umwelt ernst genommen hat. Und als solcher
ist er überall ein Modell, dem man nacheifern kann, wie allen Märtyrern. Oft hat er
gesagt: Wenn jeder in seinem Bereich etwas tut, dann kann sich alles ändern! Das war
der wichtigste Schlag gegen die Mafia, die oft vom Immobilismus lebt, vom Fatalismus...“
Der Leichnam des neuen Seligen ruht im Dom von Palermo – nicht weit vom Sarkophag
des mittelalterlichen deutschen Kaisers Friedrich II. „Er war ein sanftmütiger und
freundlicher Mann, freundschaftlich, immer lächelnd.“ Das sagt ein Professor, der
den neuen Seligen gut kannte, am Rand der Feiern in Palermo. „Er hat sein Lächeln
auch im Angesicht seiner Mörder nicht verloren. Ich glaube, dieses Lächeln ist das
Schönste an seinem Martyrium: Er ist nicht im Hass gestorben. Er ist nicht gestorben,
weil er die Mafia gehasst hätte, im Gegenteil, er hatte immer seine Türen auch für
die Mafiosi weit offen. Er hasste die Sünde, nicht die Menschen, die sie begehen.
Er liebte die Menschen, und das drückte sich in seinem Lächeln aus.“
An diesem
Samstag also ist Don Pino in der Höhle des Löwen, in Palermo ins Buch der Seligen
eingetragen worden. Auch Papst Franziskus hat von Rom aus daran erinnert: Don Puglisi
habe die jungen Leute der „Malavita“ entzogen; man habe ihn mundtot gemacht, doch
eigentlich habe er, der Priester, gewonnen. „Bitten wir den Herrn, dass er das Herz
dieser Mafiosi bekehre! Sie können aus Menschen, die eigentlich einander Brüder sein
sollten, doch keine Sklaven machen! Wir müssen zum Herrn beten, damit diese Mafiosi
sich zu Gott bekehren! Loben wir Gott für das leuchtende Zeugnis von Don Puglisi,
und ziehen wir unsere Schlüsse aus seinem Beispiel!“